Welt
"Richard Gere der Karibik" übernimmt Ruder auf Kuba
Die Ära der Castros ist vorbei. Miguel Díaz-Canel wurde als neuer Präsident der kommunistischen Karibik-Insel Kuba bestätigt.
Erstmals seit knapp sechs Jahrzehnten wird die Karibikinsel Kuba nicht mehr von einem Castro regiert: Miguel Díaz-Canel hat am heutigen 19. April, einen Tag vor seinem 58. Geburtstag, von Raúl Castro (86) das Präsidentenamt übernommen.
Díaz-Canel ist kein Unbekannter, seit fünf Jahren war er als Erster Vizepräsident an der Seite von Raúl Castro tätig und wurde schon länger als dessen Nachfolger aufgebaut. So hätte er ohnehin das Amt auch im Falle von Krankheit oder vorzeitigen Todes des 86-jährigen Staatschefs übernommen. Als im November 2016 Revolutionsführer Fidel Castro verstarb, zeigte sich Díaz-Canel bei dessen Begräbnis an Seiten der trauernden Familie.
Für die Kubaner stellt der Machtwechsel also eher einen fließenden Übergang dar. In diesem Sinne scheint deshalb fraglich, dass sich trotz des Generationswechsel an der Staatsspitze am politischen Kurs viel ändern wird.
Raúl Castro, der 2008 offiziell seinem Bruder als Kubas Präsident nachgefolgt war, hat sich aber nicht gänzlich aus der Politik zurückgezogen. Er wird weiterhin den Vorsitz der Kommunistischen Partei – der einzigen Partei des Landes – innehaben. Castros Abgang wird also einer auf Raten, wie Kuba-Experte Bert Hoffmann* sagt.
Was bedeutet der Machtwechsel für Kuba?
Damit geht die Ära Castro nach knapp 60 Jahren zu Ende. Der erwartete Nachfolger Miguel Díaz-Canel entstammt nicht mehr der Generation der Revolution von 1959. Doch dieser Abgang erfolgt nur schrittweise, langsam und sehr kontrolliert.
Geht Raúl Castro jetzt in den Ruhestand?
Auf keinen Fall. Sein Mandat als Erster Sekretär der Kommunistischen Partei geht noch bis zum Jahr 2021, und es scheint nicht so, als ob er diese Position früher räumen wird. Damit bleibt er auch Vorsitzender des Politbüros, dem obersten Machtzentrum des politischen Systems. Zudem ist Castro weiter der einzige Vier-Sterne-General der Armee.
Zwölf Jahre war er an der Macht – Ihre Bilanz?
Die fällt zwiespältig aus. Er hat eine bemerkenswerte Reformagenda angestossen – vor allem wirtschaftlich. Raúl Castro weitete die Zulassung selbstständiger Arbeit aus. Brachliegendes Staatsland wurde an Bauern verpachtet. Die Staatsbetriebe sollten effizienter werden. Doch die Reform ist stecken geblieben.
Inwiefern?
Die Zahl der registrierten "Arbeiter auf eigene Rechnung" ("trabajadores por cuenta propia") stagniert bei unter 600.000 – bei einer Bevölkerung von elf Millionen Menschen. Bed & Breakfasts und Restaurants in Privathäusern gehören schon zu den Erfolgreichsten des neuen kubanischen Unternehmertums. 35 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung ist in keinem formellen Arbeitsverhältnis mehr, viele Menschen gehen einer Beschäftigung in Grauzonen und im Schwarzmarkt nach. Allein zwischen 2009 und 2016 sind ein Viertel aller Arbeitsplätze im Staatssektor weggefallen.
Jetzt übernimmt Miguel Díaz-Canel. Wer ist der Neue?
Seinen Aufstieg ins höchste Staatsamt verdankt er unmittelbar Raúl Castro. Dennoch war es eine Überraschung, als Castro ihn vor fünf Jahren zu seinem Stellvertreter im Staats- und Ministerrat machte. Über Nacht wurde dieser zum hochrangigsten Politiker seiner Generation. Seitdem hat ihn Raúl systematisch als seinen Nachfolger aufgebaut und in Szene gesetzt. Díaz-Canel ist auf jeden Fall kein charismatischer Führer, sondern eher ein loyaler Parteikader.
Wofür steht der 57-Jährige?
Das weiß kaum jemand. Bisher hat er wenig eigenes Profil gezeigt. Er verkörpert den lange versprochenen Generationswechsel. Umso wichtiger ist es der kubanischen Führung allerdings, Erwartungen auf weitergehenden Wandel zu dämpfen und die Geschlossenheit der Elite zu demonstrieren. Díaz-Canel ist weit von der Machtfülle entfernt, die die Castros besaßen, und muss balancieren. Eigene Handlungsmacht wird er erst mit der Zeit entwickeln können.
Die Herausforderungen für Díaz-Canel?
Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage wird die neue
Regierung Raúl Castros Reformagenda wieder aufgreifen
müssen, da der Lebensstandard der Kubaner sonst weiter
abzusinken droht. Unmittelbaren Handlungsbedarf gibt es bei der
Zusammenführung der beiden im Land zirkulierenden
Währungen – dem kubanischen Peso (CUP) und dem an den US-Dollar gekoppelten konvertiblen Peso (CUC). Der Wechselkurs
liegt bei 25:1, sodass eine durchschnittliche CUP-Monatsrente nur
für etwa vier bis fünf Liter Speiseöl im Devisenshop ausreicht. Die
Herausforderung: Das völlig verzerrte Lohn- und Preisgefüge
wieder in den Griff bekommen. Die sozialen Kosten der nötigen
Währungsreform sind aber nur schwer abzusehen.
Was bedeutet der Machtwechsel für Kubas Außenpolitik?
Kuba wird seinen Kurs breit gestreuter Aussenbeziehungen
fortsetzen. Dem Land bleibt wenig anderes übrig. Zum einen
haben sich die Beziehungen zu den USA nach dem Tauwetter zu
Barack Obamas Zeiten mit Donald Trump wieder verschlechtert.
Die diplomatischen Beziehungen bestehen zwar fort, doch die
Atmosphäre zwischen Washington und Havanna ist eisig
geworden. Zum anderen befindet sich Kubas wichtigster
Verbündeter Venezuela in einer tiefen Krise. Die Beziehungen zu
Europa werden deshalb wichtiger, auch wenn Kuba ein
schwieriger Partner bleibt.
*Der Kuba-Experte und Politikwissenschaftler Bert Hoffmann leitet das Berliner Büro des Giga-Instituts für Lateinamerika-Studien. (red)