Ukraine
Kurz über Putin-Krieg: "Da kommt Gewaltiges auf uns zu"
Altkanzler Sebastian Kurz kennt Wladimir Putin persönlich. Jetzt packt er in der Schweiz über seine Begegnungen mit dem Kreml-Despoten aus.
Der Krieg in der Ukraine wurde auch für zweifachen Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz bei seinem Auftritt am Swiss Economic Forum im Schweizer Interlaken Thema. Nicht mehr an politische Ämter gebunden, zeigte sich der frühere Volkspartei-Chef ungeahnt ungezwungen.
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Trotz seiner relativ kurzen Amtszeiten als Regierungschef kam Kurz viel in der Welt herum, neben US-Präsident Donald Trump traf er auch den russischen Langzeit-Staatschef Wladimir Putin persönlich. Im Talk mit den beiden Moderatoren erinnerte er sich an die Zeit zurück und packte über Details dieser Unterredungen aus:
Kurz packt über Putin aus
"Immer wenn ich Präsident Putin damals getroffen habe, war eines der ersten Themen, das er angesprochen hat, genau, dass […] es Versprechungen gab, die nicht eingehalten wurden; dass die NATO immer weiter vorrückt Richtung Russland; dass die Europäische Union die Erweiterung immer weiter vorantreibt in Richtung Russland", schildert Kurz und zeichnet dabei das Bild eines zutiefst gekränkten Mannes, der sich vom Westen bedroht fühlt.
"Unsere Sicht der Dinge – dazu stehe ich auch – war immer klar, dass ein Land, ein souveränes Land sich aussuchen darf, ob es einen westlichen oder östlichen Weg einschlagen will." Das habe den Umgang mit Wladimir Putin nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 auch so schwierig gemacht.
"Hat niemand vorhersehen können"
"Österreich, ich persönlich, Vertreter eines kleinen neutralen Landes, damals mit militärisch überschaubaren Möglichkeiten, waren nicht diejenigen, die gesagt haben: Jetzt braucht’s ein Power-Play und wir suchen die Auseinandersetzung! Sondern wir waren immer der Meinung, der Dialog ist vielleicht der bessere Weg."
Ob das auch der Richtige war, das hätte damals niemand beantworten können. Vielleicht hatte der Kreml-Despot diese Bemühungen als Schwäche empfunden, andererseits hätte vielleicht ein ständiges "harte Stirn bieten" zu einer weiteren Eskalation führen können.
Kurz weiter: "Was ich nur festhalten möchte: im Jahr 2014, ich war damals Außenminister, habe ich das Leid in der Ukraine vor Ort gesehen, als es hier schon Aggressionen seitens der Russen gab. Aber diese Eskalation, ein Vorrücken auf Kiew, hat damals so niemand vorhersehen können."
Kurz in großer Sorge
Er blicke jedenfalls mit Sorge in Richtung Ukraine und Moskau. Der frühere türkise Strahlemann sieht dunkle Wolken heraufziehen: Neben dem unendlichen Leid in der Ukraine könne dieser Angriffskrieg Auswirkungen haben, "die wir jetzt noch gar nicht in dem Ausmaß im Blick haben."
Er verweist auf die dadurch ausgelöste Lebensmittelknappheit und mögliche Hungerkrise in Afrika und dem Mittleren Osten: "Da kommt, glaube ich, Gewaltiges auf uns zu!"
Vision einer gemeinsamen Zukunft
Darüber hinaus würden wir gerade eine Spaltung der gesamten Welt in Ost, West und einigen Ländern, die versuchen, mit beiden irgendwie klarzukommen, sehen. "Das ist eigentlich nicht die Welt, in der ich leben möchte." Er sei ein großer Befürworter der Globalisierung.
Seine Vision: "Ich hoffe sehr, dass dieser Krieg ein Ende findet, dass dieses Gegeneinander überwunden wird und dann eigentlich der stärkere Weg eines Miteinander global fortgesetzt werden kann."
Der Weg dahin dürfte ein steiniger werden. Als erste Etappe wünscht sich der Altkanzler zumindest einen haltenden Waffenstillstand zwischen Russland und Ukraine.
"Eine absolute perfekte Lösung kann es niemals geben", schätzt er. Ein Blick auf die Konflikte Russlands mit Nachbarstaaten in den letzten Jahrzehnten zeige, dass diese oft in einem "Frozen Conflict, aber nie in einem guten, friedlichen Miteinander" enden würden. "Insofern glaube ich nicht an die schnelle, einfache, positive Lösung, aber ich habe zumindest ein Stück weit Hoffnung."
Niemand will Eskalation
In jedem bewaffneten Konflikt gebe es die Gefahr, einer Eskalation weit über die Grenzen hinaus. Im konkreten Fall habe er aber den Eindruck, dass weder Russen noch Amerikaner oder Europäer eine solche herbeiführen möchten.
"Ob das dann dafür reicht, dass Friedensbemühungen erfolgreich sind, das weiß ich genauso wenig wie Sie." Seine Hoffnung sei, dass es im Istanbuler Prozess zu einem vernünftigen Dialog kommen könne. "Ich glaube, dass die Chance, dass dieser Weg stattfindet, größer ist, als, dass es zu einer noch weiteren Eskalation kommt.