Österreich
Birgit (48): "Mein größter Wunsch wäre ein Job"
Alleinerzieherin Birgit lebt von Notstandshilfe. Am Monatsende bleibt der Floridsdorferin wenig Geld übrig.
"Ich war noch nie auf Urlaub", erzählt Birgit (48). Gemeinsam mit ihrem Sohn Daniel Jackson (8) und ihrem älteren 19-jährigen Sohn wohnt sie in in Floridsdorf. Einfach hat es die alleinerziehende Mutter nicht. Daniel Jackson hat das Down-Syndrom. "Ich bin seit vier Jahren arbeitslos. Davor habe ich im Lager gearbeitet", erzählt Birgit. Rund 860 Euro Notstandshilfe beziehe sie im Monat, erzählt sie: "Das deckt gerade einmal die Fixkosten." Nur mit dem Kindergeld für ihren achtjährigen Sohn geht es sich bis zum Monatsende mit Ach und Krach aus. "Mein Sohn braucht eine Brille und orthopädische Schuhe, das ist alles teuer", erzählt die Alleinerzieherin, die zurzeit in einer AMS-Schulung ist. Ihre größte Sorge? "Dass ich keinen Job finde." Wegen ihres Kindes habe sie oft genug gehört, "dass sie mich nicht brauchen können".
"Wünsche mir, dass ich nicht mehr vom Amt abhängig bin"
Ihr nächstes Problem: "Die AMS-Schulung muss ich wahrscheinlich unterbrechen, weil ich im Sommer keine Betreuung für meinen Sohn finde", so Birgit. Ihre ganze Freizeit widmet sie ihrem Sohn. Was sie sich wünscht? "Einen Job, eine Ferienbetreuung für Daniel Jackson und dass ich nicht vom Amt abhängig bin", so Birgit. Und: "Ich hatte noch nie einen Urlaub." Eine Woche am Bauernhof mit ihrem Sohn wäre ihr Traum.
Fenninger: "Zumutung, dass Menschen in Österreich ums Überleben kämpfen"
"Österreich ist ein reiches Land – aber nicht für alle", sagt Erich Fenninger, der Direktor der Volkshilfe Wien. "Armut wird vererbt", so Fenninger. Manche Familien müssten mit vier bis acht Euro pro Tag auskommen, um sich und ihre Kinder zu ernähren. "Es ist eine unfassbare Zumutung, dass Menschen in Österreich jeden Tag ums Überleben kämpfen", sagt er. Und: "Wenn der Kühlschrank am Monatsende leer ist, wissen die Kinder, dass das Geld wieder ausgegangen ist. Kinder leiden unter diesem massiven Druck."
Kinderarmut enge Kinder und Jugendliche ein, "Kinder sind nicht schuld", betont Fenninger. Auch die gesundheitliche Dimension stelle Alleinerziehende und Kinder vor ein Problem. "Armut tut weh. Chronische Erkrankungen sind ausgeprägter." Und: Die rund 800 bis 1.500 Euro pro Schuljahr seien "für Eltern, die im Mangel leben", eine große Summe. "Schulverweigerung ist ein Symtpom, die Ursache dafür ist meist materieller Mangel", so der Volkshilfe-Direktor. "Niemand ist Schuld an seiner Herkunftsfamilie. Armut engt Kinder vom ersten Tag an ein."
Sozialarbeiterin Judith Ranftler erzählt von einer Alleinerzieherin, die mit 1.100 Euro pro Monat im Drei-Personen-Haushalt auskommen muss. "Da bleiben dann 300 bis 400 Euro für den alltäglichen Bedarf über. Am Monatsende wird es knapp", sagt sie. Die Mutter sage: "Arm wäre ich dann, wenn ich kein Herz habe." Luxus wäre für sie, "wenn ich am Ende des Monats weiß: Mein Geld kommt, aber ich habe noch immer 150 Euro vom Vormonat übrig."
Fenninger: "Diebstahl über Jahre hinweg"
Diese Kinder seien "Menschen, die behindert werden – aufgrund des Mangels der Eltern". "Dass Kinder reduziert aufwachsen, ist ein Diebstahl, der über Jahre hinweg stattfindet", so Fenninger. Die aktuellen Pläne der Bundesregierung kritisiert Fenninger scharf.
Während man für ein Kind zukünftig nur 215 Euro erhalten soll, sind es beim zweiten Kind nur mehr 130 und ab dem dritten gar 43 Euro. "Diese Vorschläge bedeuten viel weniger Geld für mindestens 45.345 Kinder und sind ein Bekenntnis zur Verschärfung von Kinderarmut." Der Direktor appelliert an die Bundesregierung: "Sehen Sie den Tatsachen ins Auge! 324.000 Kinder in unserem Land leben bereits jetzt in Armut. Mit der Kürzung der Mindestsicherung tragen Sie dazu bei, dass es diesen Kindern noch schlechter als ohnehin schon geht."
In zwei Wochen will die Volkshilfe ein eigenes Modell präsentieren, das zeigt, wie man die Kinderarmut in Österreich abschaffen könnte.