Gesundheit
"Unverständlich", "Blindflug" – Medizinerin teilt aus
Die Regierung hat die Pandemie in Österreich offiziell abgesagt, doch immer noch leiden zahlreiche Bürger unter Long Covid.
Auch nach Ende der Pandemie leiden viele Menschen weltweit noch an Long Covid – anhaltende Beschwerden lange nach der Infektion. Während in den USA jetzt mehr als eine Milliarde Dollar für die Erforschung von Therapien locker gemacht wird, wird im Wiener AKH derweil die Long Covid Ambulanz mit Ende August dichtgemacht. Es ist dann die dritte dieser temporär eingerichteten Spezialambulanzen, die geschlossen wird.
Welche Auswirkungen das hat und was das für die Patienten bedeutet, erklärte Kathryn Hoffmann vom Public-Health-Zentrum der MedUni Wien Mittwochnacht in der ZIB2 mit ORF-Moderator Armin Wolf.
Für die Medizinerin sind die Folgen der Infektion fast schlimmer als die akute Infektion selber. Das Coronavirus würde im menschlichen Körper Verheerendes anrichten können. Sars-CoV-2 greife das Immunsystem, Nervensystem und Gefäße an, verursache eine Vielzahl an Problemen.
Unter den postviralen Schäden seien Herzrasen, Schwindel und Schmerzen sowie Lungenprobleme die häufigsten Symptome. Zahlreiche internationale Überblicksstudien gehen von etwa 10 bis 20 Prozent der Infizierten aus, die diese Long-Covid-Symptome entwickeln. In Österreich fehlt es an aussagekräftigen Daten, doch Hoffmann rechnet hierzulande mit rund einer halben Million Betroffener in unterschiedlichsten Ausprägungen – inklusive jener, bei denen diese Leiden bereits wieder vergangen sind. "Selbst wenn es wieder weggeht, das dauert Wochen oder Monate."
Doch wie geht sich das mit den angeblich nur 500 Long-Covid-Patienten aus, die offiziell deswegen auch im Krankenstand sind? Die MedUni-Professorin erklärt, dass die meisten Long-Covid-Patienten "nicht per se nicht arbeitsfähig" wären. Viele würden sich "durchschleppen", dafür aber ihr Sozialleben hintanstellen. Ebenso würden Kinder und Pensionisten in dieser Zahl nicht erfasst.
Frauen seien, wie fast immer, wenn es um das Immunsystem gehe, davon häufiger betroffen, erklärt Hoffmann. Das unter anderem, weil einer der Schutzfaktoren vor Long Covid ausreichende Ruhe nach der Infektion sei. Da müsse man sich immer die Frage stellen, inwieweit die Betroffene nicht etwa durch Beruf und Familie eine Doppelbelastung habe und deshalb eventuell zu früh wieder durchstarten wollte.
Eine Heilung gibt es derzeit noch nicht, nur symptommildernde Medikamente. "Aber mit einer guten Diagnostik kann man sehr wohl schon lindern", so die Medizinerin. Die schwerste Verlaufsform sei das Chronische Fatigue Syndrom mit dem Kardinalssymptom einer Belastungsintoleranz. Schwer betroffene Personen können ihren Alltag nicht mehr bewältigen.
Hierbei sei das Allerwichtigste, dass Ärzte dieses gleich zu Beginn diagnostizieren oder ausschließen würden, denn betroffene Patienten bräuchten erst eine sogenannte Pacing-Therapie – also ein Schongang, der jede Überlastung vermeidet. Dahingehend sei Aufklärung unter der Ärzteschaft wichtig.
Generell brauche es für die Behandlung von Long Covid Symptomen Fachwissen aus vielen Sparten der Medizin und ein Personal, das sich genau mit diesen Symptomen auskennt. Das könnten niedergelassene Ärzte nicht leisten, deren Aufgabe sieht Hoffmann eher bei einer guten Differenzialdiagnose. Wenn dann ein postvirales Syndrom übrig bleibt, sollten Patienten für eine Therapie an spezielle Anlaufstellen verwiesen werden. Dahingehend sei die Schließung der Long-Covid-Ambulanzen ein Fehler.
Eine neue Viruswelle, das zeigen die weiterlaufenden Abwassermessungen, ist bereits langsam im Anrollen. "Es kommt eine Welle, es gibt eine neue Variante", es werde neue Infektionen geben – und damit wieder zahlreiche neue Long-Covid-Fälle.
Das Ende der Meldepflicht für Corona-Infektionen ist für die Expertin "vollkommen unverständlich", Österreich sei dadurch "im Blindflug" und entgegen der WHO-Empfehlungen unterwegs. Die Weltgesundheitsorganisation rate allen Staaten, die Virusausbreitung weiter genau zu beobachten.