Kreml-Kritikerin im ORF
"Wladimir Putin hat alle Grenzen überschritten"
Wie zuvor der verstorbene Alexei Nawalny sitzt auch der Kreml-Kritiker Wladimir Kara-Mursa in russischer Haft. Seine Ehefrau attackiert Putin scharf.
Alexei Nawalny ist am Freitag im russischen Straflager mit dem inoffiziellen Namen "Polarwolf" in der sibirischen Arktisregion Jamal ums Leben gekommen. Der durch wiederholte Einzelhaft geschwächte Politiker soll bei einem Rundgang auf dem eisigen Gefängnishof zusammengebrochen und trotz Wiederbelebungsversuchen gestorben sein. Nawalny war zum Zeitpunkt des Todes 47 Jahre alt. Die Behörden verweigern den Angehörigen trotz auch internationaler Proteste bis heute Zugang zu seiner Leiche. Nawalnys Team, das dem russischen Machtapparat Mord vorwirft, sieht darin einen Vertuschungsversuch.
Dem ebenfalls in einer russischen Strafkolonie sitzenden Oppositionellen Wladimir Kara-Mursa, auf den ebenfalls Giftanschläge verübt wurden, drohe wohl das gleiche Schicksal, befürchten nun Beobachter. Der russisch-britische Politiker und Journalist und Freund des ermordeten Putin-Kritikers Boris Nemzow lag im Jahr 2015 nach einem Giftanschlag tagelang im Koma, erholte sich daraufhin in den USA, bis er 2017 wieder vergiftet wurde und ein Nervenleiden davontrug. Nach Beginn von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wurde Kara-Mursa verhaftet.
"Vergiftet, gefoltert und dann tatsächlich umgebracht"
Weil Kara-Mursa den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine kritisiert hatte, wurde er wegen "Hochverrats" zur Höchststrafe von 25 Jahren Strafkolonie verurteilt. Der 42-Jährige soll bis heute in einem Hochsicherheitsgefängnis im sibirischen Omsk in Einzelhaft untergebracht sein. Nicht schweigen will die Frau des Inhaftierten, Kreml-Kritikerin Jewgenija Kara-Mursa. Am späten Dienstagabend packte sie wortgewaltig und beeindruckend in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Armin Wolf über die Zustände in Russland und unter Machthaber Putin aus.
"Ich glaube nicht, dass wir irgendwelche Zweifel haben können", so Kara-Mursa dazu, dass Putin für den Tod von Nawalny verantwortlich sei. "Wladimir Putin hat in diesem Jahr alle Grenzen überschritten", sagte sie zum Jahr des Starts des Ukraine-Angriffs. Nawalny sei nicht der erste Kritiker gewesen, der "vergiftet, gefoltert" und "dann tatsächlich umgebracht" worden sei. "Weil sie wahre russische Patrioten im reinsten Sinne des Wortes sind", erklärte Kara-Mursa die Rückkehr ihres Mannes und auch von Nawalny nach Russland trotz drohender Inhaftierung.
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"Mörderisches Regime, das nur zu stehlen und zu töten weiß"
Sie wollten "durch ihr Beispiel zeigen, dass man seine Angst überkommen kann", so Kara-Mursa über Nawalny und ihren Mann. Wladimir sei in eine Gefängniskolonie mit einem "Sonderregime" verlegt worden, in die schärfste Form der Inhaftierung. Er sei auf vier Quadratmetern in Isolationshaft, zuletzt gesprochen habe sie mit ihm im Sommer 2023. Jedes ihrer drei Kinder habe nur fünf Minuten Zeit bekommen, am Telefon mit ihrem Vater zu reden, für sie selbst sei keine Zeit geblieben. "Vor einer Woche feierten Wladimir und ich unseren 20. Jahrestag", so Kara-Mursa, die Gefängnisbehörde habe keinen Anruf erlaubt.
Die Bilder des Tages
"Ich denke, ich habe jeden einzelnen Tag Angst um ihn. Aber ich kann auch nicht zulassen, dass die Angst um sein Leben mich daran hindert, die Arbeit fortzusetzen, die ihm so wichtig ist", so Kara-Mursa. "Es ist ein mörderisches Regime, das nur zu stehlen und zu töten weiß". Sie könne nur jeden Tag etwas dazu beitragen, dass dieses System zusammenbreche und "die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden". "Ich glaube, dass Wladimir Putin gedenkt, Russland so lange zu regieren, solange er lebt", so die Kreml-Kritikerin. Manchmal glaube er offenbar, "dass das für immer ist", so Kara-Mursa. Vom Westen erwarte sich Kara-Mursa "Einigkeit in der Unterstützung der Ukraine" und "dass Wladimir Putin für seine Verbrechen bezahlt".