Leser packen aus
"Wegen meiner Sexsucht habe ich mich prostituiert"
Ein zwanghaftes Verlangen nach Sex kann für Betroffene eine schwere Belastung darstellen. Vier Personen erzählen, wie sie mit ihrer Sucht umgehen.
Immer mehr Menschen lassen sich wegen Sexsucht behandeln, wie Ahmed Ben Hassouna, Facharzt in der Abteilung für Suchtmedizin am Universitätsspital in Lausanne, feststellte. Diese Beobachtungen teilen die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Machte die Sexsucht 2019 noch 14 Prozent Beratungsfälle aus, waren es 2023 bereits 22 Prozent. Auch bei der Suchthilfe ags ist das Thema präsent. "Unser Online-Selbsttest wird viel ausgefüllt. In den Beratungszahlen schlägt sich das aber bisher nur in geringem Ausmaß nieder."
Es ist ein Thema, das sich oft im Verborgenen abspielt. Offizielle Zahlen zu "zwanghaftem Sexualverhalten", das erst seit 2022 von der WHO als psychische Erkrankung anerkannt wird, gibt es bislang nicht. Im Schweizer Monitoring-System für Sucht und nichtübertragbare Krankheiten (MonAM) fehlt ein Indikator zur Sexsucht, auch Sucht Schweiz erhebt bislang keine Statistiken dazu.
Für viele Betroffene aber bedeutet die Sucht ein Leben im Ausnahmezustand. Betroffene aus der 20-Minuten-Community erzählen, wie die Sucht ihr Leben beeinflusst.
Z.T. (21), weiblich
"Aufgrund meiner Sexsucht habe ich mich 'prostituiert' – gleich mit 18 habe ich mich auf einer Plattform für Sugardaddys angemeldet. So kann ich Sex haben und verdiene zusätzlich noch Geld. Ich treffe circa fünf bis sechs Männer pro Woche. Datingplattformen finde ich zu anstrengend: Ich möchte nicht zuerst tagelang schreiben, bis es zum Sex kommt. Täglich schaue ich Pornos und befriedige mich fünf bis sechs Mal mit dem Vibrator. Doch die Sucht ist auch anstrengend. Zurzeit habe ich keinen Freund. Aber ich frage mich, ob ich überhaupt jemanden kennenlernen kann, der damit klarkommt und meinem Trieb gerecht werden kann. Nur meine beste Freundin weiß von meiner Sucht. Sie hat mich dazu gebracht, mit einer Psychologin darüber zu sprechen. Nächste Woche habe ich den ersten Termin."
Anonym (39), männlich
"Meine Sexsucht hat sich durch ein Kindheitstrauma entwickelt. Es begann bereits in meiner Kindheit und je älter ich wurde, desto ausgeprägter wurde die Sucht. Ich habe ein gestörtes Sexualverhalten: Nüchtern geht es nicht – ich brauche entweder Alkohol oder Drogen. Am liebsten habe ich täglich mehrmals Sex. Es belastet mich, weil ich weiß, dass der Grund für meine Sucht einen negativen Ursprung hat. Ich bin froh, habe ich professionelle Hilfe an meiner Seite."
Angela Keiser (35)
"Ich bin sexsüchtig, aber würde es nicht ändern wollen. Am liebsten habe ich mehrmals täglich Sex. Mein Partner ist nicht so wie ich. Deshalb muss ich oft warten, bis mein Freund wieder darauf Lust hat – daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Wir haben jedoch eine gute Kommunikation und können über alles sprechen. Er weiß, dass ich gern mehr hätte, aber er kann es nicht ändern. Manchmal ist es schon eine Belastung, weil ich dann ein wenig gereizt werde, wenn ich keinen Sex bekomme."
M.B. (43), männlich
"Vor allem wegen Inhalten auf Social Media fühle ich mich ständig sexuellen Reizen ausgesetzt. Zudem habe ich gemerkt, dass ich immer abgestumpfter werde: Ein sexy Bild reicht nicht mehr aus. Die Gedanken rund um Sex waren für mich schon immer präsent. Ich könnte täglich mehrmals Sex haben, bei meiner aktuellen Freundin ist das anders. Manchmal frage ich mich, ob mit mir etwas nicht stimmt. Meine Ex-Frau hat mir gar einen Freipass gegeben und gesagt, ich könnte mit einer Prostituierten Sex haben, solange ich es ihr nicht sage. Aber eigentlich will ich das gar nicht. Treue ist mir wichtig. Nun ist die Frage, wo fängt Untreue an und wo hört sie auf? Ob es besser ist, wenn ich oft Pornos anschaue und zu diesen Frauen masturbiere? Ich weiß es nicht. Bisher habe ich noch nie mit jemandem darüber gesprochen."
Auf den Punkt gebracht
- Immer mehr Menschen lassen sich wegen Sexsucht behandeln, wie Ahmed Ben Hassouna, Facharzt in der Abteilung für Suchtmedizin am Universitätsspital in Lausanne, feststellte
- Offizielle Zahlen zu "zwanghaftem Sexualverhalten", das erst seit 2022 von der WHO als psychische Erkrankung anerkannt wird, gibt es bislang nicht
- Betroffene aus der 20-Minuten-Community erzählen, wie die Sucht ihr Leben beeinflusst
- Einige berichten von zwanghaftem Sexualverhalten und den Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Beziehungen