Rede gegen Schubladisierung
"Was ist, wenn Mustafa Tiroler Dialekt redet?"
Bundespräsident Van der Bellen hielt zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele eine Brandrede gegen Schwarz-Weiß-Denken und Spaltung der Gesellschaft.
Am Mittwochvormittag hielt Bundespräsident Alexander Van der Bellen die traditionelle Eröffnungsrede zu den Bregenzer Festspielen, die heuer zum 78. Mal über die Seebühne gehen – heuer mit der Aufführung von Carl Maria von Webers "Freischütz" im Zentrum.
Die Eröffnung der Bregenzer Festspiele sei für ihn jedes Jahr aufs Neue eine Gelegenheit, "kurz ein bisschen unbequem zu werden", begann das Staatsoberhaupt – und nutzte die Gelegenheit für eine Brandrede gegen die "Schubladisierung" der Gesellschaft.
Wir leben in einer Zeit, in der beinahe alles entweder aufregt oder frustriert – egal ob Klima, Politik, die EU oder das Gendern, begann VdB und fragte das Publikum, woran das liege.
"Endgenervt" vom Schwarz-Weiß-Denken
Ob Österreich zu "müde" sei, um sich für etwas zu engagieren, zu begeistern? Nein, meint der Bundespräsident: Vielleicht seien wir nur "endgenervt" von der Art und Weise, wie wir darüber sprechen.
"Die Welt, über die wir öffentlich sprechen, ist ganz einfach. Sie ist blitzschnell erklärt. Sie ist eindeutig. Etwas ist entweder schwarz oder weiß, groß oder klein, oben oder unten, gut oder böse." Dazwischen gebe es nichts.
In dieser Welt sei man "Entweder-Oder". "Entweder Klimaterrorist oder Luftverpester. Entweder Wutbürger oder Gutmensch. Entweder Schwurbler oder Schlafschaf. Entweder Freund oder Feind."
Diese "Schublade auf Schublade zu-Mentalität" sei praktisch, aber gefährlich, mahnt VdB. "Es stellt uns an gegenüberliegende Pole und verhindert nicht nur, dass wir uns zusammentun. Es verhindert oft sogar, dass wir uns vernünftig verständigen."
"Wir müssen verdammt gut aufpassen, was und warum und wen wir da jeden Tag schubladisieren", appelliert VdB.
Wie gehen Lederhose und Gendern zusammen?
Und konfrontiert das Publikum – darunter etliche Vertreter der türkis-grünen Regierung wie Vizekanzler Werner Kogler, Außenminister Alexander Schallenberg, Finanzminister Magnus Brunner, Wirtschaftsminister Martin Kocher, Gesundheitsminister Johannes Rauch und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer – mit einigen Beispielen aus der Vorurteilsskala:
Ich frage Sie:
In welche Schublade kommt denn bei Ihnen zum Beispiel jemand, der eigene Biogurken erntet und ein Schweinsschnitzel dazu isst?
Oder eine Person, die täglich in die Arbeit radelt und im Sommer mit dem alten VW-Bus durch Italien fährt?
Wie sieht es mit jemandem aus, der Mustafa heißt und im harten Tiroler Dialekt redet?
Oder jemand, der bei jedem Zeltfest vorne dabei ist, in der Kantine dann aber strikt das Veggie-Menü bestellt?
Was ist mit jemandem, der überzeugt Krachlederne trägt – und genauso überzeugt gendert?
Oder jemandem, dem Grenzen wichtig sind, und der sich für die örtliche Flüchtlingsfamilie einsetzt?
„Nicht jeder, der auf einem Rad sitzt, ist ein Ökofanatiker. Und nicht jeder, der ein Schnitzel isst, ist ein Klimasünder“
Es sei also doch nicht alles einfach schwarz-weiß, resümiert der Bundespräsident: Nicht jeder, der auf einem Rad sitzt, ist ein Ökofanatiker. Und nicht jeder, der ein Schnitzel isst, ist ein Klimasünder.
Wo ist unsere Gelassenheit geblieben?
Er frage sich in letzter Zeit vermehrt: "Wo ist unsere Gelassenheit geblieben?" Wir seien doch "immer gut damit gefahren, wenn bei uns alles ein bisschen entspannter war".
Leider gebe es Kräfte, "die unsere wunderbare österreichische Widersprüchlichkeit nicht als Brücke zueinander nutzen, sondern als Instrument der Spaltung", sagt VdB. Aber: "Spaltung ist kein Naturgesetz", mahnt der Präsident. Sie passiere auch, "weil so viele mitspielen". Und er appelliert: "Spielen Sie da nicht mit."
„Spaltung ist kein Naturgesetz. Sie passiert auch, weil so viele mitspielen“
Van der Bellens klare Botschaft: "Verachtung ist kein Wahlprogramm. Und Hass keine Lösung für Probleme."
Er ruft auf zur Überwindung der "Schubladisierung": "Lassen Sie sich nicht einteilen, kategorisieren und an den Rand drängen. Und holen auch Sie nach Möglichkeit all jene wieder heraus aus den Schubladen, in die Sie sie gesteckt haben. Damit wir wieder normal miteinander reden können – über Klima, Politik, Demokratie. Wer weiß – am Ende kommt vielleicht heraus: Es gibt mehr, das uns verbindet als das uns trennt."