Ukraine
Verwundbar – Europa ist von diesen Pipelines abhängig
Europa wird über verschiedenste Pipelines mit Gas versorgt. Die Energieversorgungsstruktur ist laut Experten verwundbar.
Am Dienstag wurden drei Lecks in den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 entdeckt. Die Lecks sollen durch Explosionen entstanden sein – die EU spricht von Sabotageakten. Es kursieren verschiedene Theorien, wer hinter diesem Sabotage-Akt stecken könnte.
Experten schließen weitere Angriffe mit Drohnen auf Pipelines nicht aus. Gasunterbrüche seien nichts Neues – gezielte Sabotage hingegen schon, sagt Norbert Rücker, Energieexperte bei Julius Baer. Nord Stream selbst mobilisiert derzeit Experten, um das Leck zu untersuchen und zu reparieren. Wie vernetzt und fragil das Gasnetzwerk zu Europa ist, zeigt die obere Karte.
Gasleck schreckt die Welt auf
Blubberndes Wasser in der Ostsee schreckt die Welt auf: Die 1.224 Kilometer lange Gas-Pipeline, die sich auf dem Meeresgrund von Russland nach Deutschland erstreckt, ist offensichtlich kaputt. Erdgas tritt aus und bedroht Mensch und Umwelt. Das Leck sei in dänischen Hoheitsgewässern geortet worden, informierte die Pipeline-Betreiberin Nordstream, die ihren Sitz in Zug hat. Im Umkreis von fünf Seemeilen (gut neun Kilometer) der Schadensstelle ist die Schifffahrt derzeit verboten und es gilt ein örtliches Flugverbot.
Gas fließt schon seit einigen Wochen nicht mehr durch die Röhre, die vor rund zehn Jahren in Betrieb genommen wurde und seither jedes Jahr 59 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland aufs europäische Festland transportierte. Das Gas, das jetzt austritt, sei jenes, das noch in der Leitung drin war, nachdem Russland und Deutschland in den letzten Monaten die Ventile geschlossen haben, sagt ein Sprecher von Nordstream auf Anfrage von "20 Minuten".
Gravierende Folgen für die Umwelt
Das in der Ostsee austretende Gas (Methan) sei sehr schädlich, sagt Amandine Peltier von Distran Switzerland, Herstellerin von Ultrasound-Kameras zur Ermittlung von Gasleitungs-Schäden. "Das Methan kann Fische töten, und Schiffe müssen die Zone meiden wegen späterer Explosions- und Unfallgefahr."
Wenn das Gas die Wasseroberfläche erreiche und in die Atmosphäre gelange, treibe es die globale Erderwärmung voran, da Methan 80 Mal stärker erwärme als CO2. In rund einer Woche werden sich die Röhren geleert haben, schätzen die dänischen Behörden, dann ist alles Gas ausgetreten und die Röhren füllen sich mit Wasser.
Gewisse Gefahr geht von Ankern aus
Noch kennt Nordstream das Ausmaß des Schadens nicht: "Wegen der Sperrzone dürfen wir uns dem Leck nicht nähern – doch wir sind bereit, sobald die Sperre aufgehoben wird und das Wetter es zulässt", sagt der Sprecher. Spezialisten würden jetzt aufgeboten. Von Schiffen aus und mit unbemannten Unterwassergeschossen werde dann untersucht, was die Ursache ist, wie groß der Schaden ist und wie er behoben werden kann. Die EU vermutet Sabotage. Es kursieren mehrere Theorien darüber, wer der Urheber ist.
Was Nordstream sagt: "Grundsätzlich ist sei es sehr schwierig, die Pipeline zu beschädigen." Eine gewisse Gefahr gehe von Schiffsankern aus – doch es gebe kaum Schiffe mit solchen Ankern in der Ostsee, welche in der Lage seien, das betonverkleidete Stahlrohr zu beschädigen. Zudem gibt es für Schiffe Verbotszonen und Zonen, in denen sie keine Anker werfen dürfen oder die Nordstream informieren müssten. Weitere potenzielle Gefahren: auf dem Meeresgrund liegen gebliebene Munition aus dem Zweiten Weltkrieg sowie Meeresströmungen. Doch diese Risiken wurden vor der Installation intensiv untersucht, heißt es bei Nordstream. Weitere Gefahren wären Erdbeben oder Vulkane – letztere sind in der Ostsee nicht bekannt.
"Es muss physisch auf das Rohr eingewirkt worden sein"
Es lasse sich derzeit nur spekulieren, sagt Michael Schmid vom Verband der schweizerischen Gasindustrie. Nach den Bildern zu urteilen, müsse physisch auf die Gasrohre eingewirkt worden sein, denkbar sei auch ein Materialschaden, weniger ein Cyberangriff. Sicher ist: Es handelt sich um ein Stahlrohr mit 1,153 Metern Durchmesser, verkleidet mit einer Betonschicht.
"An sich ein gewöhnliches Stahlrohr", sagt Schmid, "aber technisch sehr anspruchsvoll gefertigt, dicht gegenüber elektrischen Spannungen und mit einer speziellen Beschichtung, die bewirkt, dass das Gas optimal fließt". Die Röhren würden regelmäßig kontrolliert durch so genannte "Molche": Metallzylinder, die mit Kameras und Sensoren ausgerüstet durch die Leitungen fahren und den Zustand von innen her inspizieren.
"Die Nordstream-Doppelröhre ist eine wichtige Versorgungsachse, aber nicht unentbehrlich und nicht die einzige", sagt Michael Schmid. Deutschland bekommt von Russland schon seit einigen Wochen kein Gas mehr, nachdem infolge der Wartungsarbeiten die Kapazität zunächst reduziert worden war. Europa bezieht heute noch insgesamt neun Prozent seines Gases aus Russland – 2021 waren es im Schnitt 29 Prozent. Man beobachte die Situation natürlich genau seitens des Gasindustrieverbands, sagt Schmid.