Brisante Aussagen

"Verschwörungsschwurbler" – WHO-Bericht im ORF regt auf

Ein Bericht über den WHO-Pandemievertrag schlägt ungeahnte Wellen. Die Wortwahl des ORF sei "zum Kotzen", ärgern sich Kritiker.

"Verschwörungsschwurbler" – WHO-Bericht im ORF regt auf
Auch FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch hatte im "Verschwörungsschwurbler"-Beitrag des ORF einen Auftritt.
Screenshot ORF

Wutentbrannt und fassungslos lässt ein ORF-Beitrag über die laufenden Verhandlungen zum Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation WHO einige Zuseher zurück. Darin war gleich zwei Mal von "Verschwörungsschwurblern" die Rede. Kritiker fühlen sich durch die Wortwahl des Rundfunkes beschimpft und vernadert.

Die Aufreger-Stellen wurden im einleitenden Segment zum ZIB2-Interview mit Ilona Kickbusch ausgestrahlt. Nach der Erklärung der Intentionen und den Inhalten des aktuellen Entwurfes des Pandemievertrags wurde darin auch auf die Flut an Fake News eingegangen, die von einigen sehr lauten Kritikern verbreitet wird.

"Parallelwelt", "mittendrin die FPÖ"

Im ORF wurde dazu unverhohlen von einer "Parallelwelt der Verschwörungsschwurbler" gesprochen, die eine "WHO-Diktatur" befürchte. Befeuert würden diese Ängste zusätzlich durch Rechtsaußenparteien, hieß es weiter: "Mittendrin die FPÖ".

Dazu folgte ein Ausschnitt einer Rede vor dem Nationalrat von FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch (55), die darin behauptet, die WHO brauche "nur auf ein Knopferl drücken und sagen: So, in Österreich gibt es jetzt einen Lockdown, weil wir das so wollen."

Diese Aussage entbehrt jeder faktischen Grundlage. Dem zuständigen ORF-Redakteur konnte man den Frust darüber direkt anhören: "Wen schert's, dass nie vorgesehen war, dass die WHO den Staaten etwas aufs Auge drücken kann und im letzten Vertragsentwurf sogar explizit ausgeschlossen wird, dass die WHO eine Impfpflicht, Reisebeschränkungen oder Lockdowns verhängen kann", stellte er in seinem Beitrag klar.

Tatsächlich wurde der Vertragsentwurf in den laufenden Verhandlungen schon stark abgeschwächt. Zum Abschluss legte der ORF-Mann noch einmal nach: "Anders als von Verschwörungsschwurblern behauptet, herrscht im Vertragsentwurf nicht das Muss, sondern das Soll", sagte er, ehe er "zurück zu den ernsthaften Diskussionen um den Vertragstext" überleitete.

"Systempropaganda", "Diskurs-Jordan"

Die Wortwahl sorgt nun für Erregung: "Das ist SO zum Kotzen!", machte ein Zuseher direkt im Anschluss seinem Ärger auf X Luft. "Systempropaganda", "Hetze", schimpfte ein anderer.

Doch Kritik an der Art des Berichts gibt es auch vom anderen Ende des politischen Spektrums: "Ich weiß nicht, ob das im Öffentlichrechtlichen so g'scheit ist", geht der Grüne Nationalratsabgeordnete Georg Bürstmayer auf die Bezeichnung "Verschwörungsschwurbler" ein.

Er hätte sich eine andere Formulierung gewünscht: "'Anhängern von Verschwörungserzählungen' hätte zwar ein bissl mehr Zeit gekostet, aber nicht so viele Menschen aufgebracht."

Unter seinem Beitrag gibt es aber auch Gegenstimmen: "Schwurbler sind nun einmal Schwurbler... Die Wahrheit wird man wohl noch vertragen..." und "Die, die sich darüber aufregen, sind ohnehin schon über den Diskurs Jordan gegangen", ist darunter zu lesen.

Über den Pandemievertrag

Die Verhandlungen begannen noch während der Corona-Pandemie Jahr 2021 mit dem Ziel, international besser auf mögliche neue Viren-Ausbrüche vorbereitet sein. Das Vertragswerk soll bei der WHO-Jahrestagung Ende Mai/Anfang Juni in Genf verabschiedet werden, der Inhalt sollte längst stehen. Tut er aber nicht. Drei Jahre später werden große Differenzen unter den 194 WHO-Mitgliedsstaaten sichtbar.

Worüber gestritten wird

Am späten Montagabend war dann Ilona Kickbusch vom Zentrum für Globale Gesundheit – sie war selbst lange Zeit für die WHO beratend tätig – in der ZIB2 zur Causa geladen. Der größte Knackpunkt sei die "globale Verteilungsgerechtigkeit", dieses brisante Streitthema habe man bereits bei der Verteilung der Corona-Impfstoffe gesehen, so die Expertin. Rote Linien für den globalen Norden und Süden gebe es genug.

Expertin packt zu Gerüchten über Vertrag aus

"Überhaupt nicht der Fall" sei, dass der Pandemievertrag in nationales Recht eingreifen könne, wie der WHO gezielt vorgeworfen werde. Der Vertrag werde "von souveränen Mitgliedsstaaten verhandelt", die selbst entscheiden würden, was sie zu tun bereit seien, so Kickbusch. "In keiner Weise" werde der WHO "irgendeine Macht zugesprochen", dass sie Lockdowns verhängen, Schulen schließen oder Länder zur Abgabe von Medikamenten zwingen könne, so die Expertin. "Hier wird sehr systematisch fehlinformiert", so die Expertin, es handle sich um "Fake News".

Vielmehr gehe es darum, dass Länder besser und schneller Hilfe bekämen, aber auch gegenseitig besser unterstützen könnten, so Kickbusch. Die WHO habe generell eine koordinierende Funktion, wenn Länder "ihr diese zugestehen" würden. Etwa, wenn man Medikamente abgebe, dann würde die WHO diese nach einem "Bedürftigkeitsschema" verteilen. Es gebe nun zwei Optionen, so Kickbusch, nämlich eine Einigung auf den Pandemievertrag in letzter Sekunde oder eine Verlängerung der Verhandlungen um Wochen. Kickbusch ging aber nicht davon aus, dass die Verhandlungen um Jahre verlängert würden – oder gar scheitern könnten.

Verschwörungsmythen und Falschmeldungen

In der öffentlichen Meinung tut sich der Pandemievertrag schwer. Im Netz kursieren viele Verschwörungsmythen und Falschmeldungen, die besagen, dass die WHO mit dem Pandemievertrag die Souveränität der Mitgliedsstaaten untergraben wolle. Ein aktueller APA-Faktencheck hat sich mit den gängigsten Mythen befasst – befeuert werden die Vorwürfe zu großen Teilen nicht nur von Corona-Leugner, sondern auch rechtsextremen Kreisen. Österreich unterstützt den Pandemievertrag, doch macht FPÖ dagegen Stimmung.

Staaten entscheiden souverän

Ohnehin kann die WHO nicht so einfach über die souveränen Staaten drüberfahren und die dortige demokratische Ordnung oder Parlamente aushebeln, wie die Freiheitlichen das gerne darstellen.

Durch Artikel 19 ihrer eigenen Verfassung macht die Weltgesundheitsorganisation klar, dass alle rechtlich bindenden Vereinbarungen erst Gültigkeit in einem Mitgliedsstaat erlangen, wenn die Inhalte über die dortigen verfassungskonformen Abläufe auch angenommen werden.

Stimmt ein Mitgliedsstaat nicht zu, müssen zwar die Gründe dargelegt werden, andere Konsequenzen sind in der WHO-Verfassung nicht vorgesehen. Auch im Entwurf des hier kritisierten Pandemievertrages findet sich gleich zu Beginn ein Verweis auf Artikel 19. Die Souveränität der Mitgliedstaaten wäre somit als Leitprinzip verankert.

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