"Heute"-Reportage

Vandalenakt macht Grenzübergang wieder monatelang dicht

Eine versuchte Verkehrsberuhigung endete im Burgenland mit einer mysteriösen Serie an Vandalenakten gegen die umstrittene Lösung des Bürgermeisters.

Leo Stempfl
Vandalenakt macht Grenzübergang wieder monatelang dicht
Der Grenzübergang Schattendorf war in letzter Zeit länger gesperrt als geöffnet.
Leo Stempfl

"Vom Stacheldrahtzaun ist nichts mehr zu sehen", heißt es auf einer kleinen Infotafel mitten im Grün. Vom Bauzaun aber sehr wohl. Er steht an der Grenzübergangsstelle Schattendorf im Burgenland und ist das Ergebnis einer jahrelangen Provinz-Posse, die noch lange kein Ende gefunden hat.

Wer am nächsten Bahnhof ­– den sich die Gemeinde mit dem Nachbarort Loipersdorf teilt – ankommt, ist jedenfalls oft der Einzige, der aus der alten Diesellok steigt. Ein einzelner Bundesheer-Soldat beobachtet von seinem Jeep aus die Passagiere. Auf der Straße in den Ort hinein gibt es keinen Gehsteig, die Autos brausen mit 100 Sachen an einem vorbei. Und doch gibt es in der 2.400-Einwohner-Gemeinde eine Fußgängerzone. Landesweit ist es wohl nach der Mariahilferstraße die bekannteste – und sogar Staatsgrenzen überschreitend die wohl umstrittenste.

Europäische Integration stößt an ihre Grenzen

Eigentlich wollten Schattendorf und das ungarische Ágfalva (Agendorf) ihre "jahrzehntelange Trennung mit all seinen negativen Begleiterscheinungen" beenden, wie man auf einer weiteren Tafel im Ort erfährt. Mit EU-Geldern wurde die historische Straßenverbindung wiederhergestellt, die Region sollte dadurch kulturell, gesellschaftlich und politisch näher einander rücken. Stichwort Europäische Integration. Kaum ein Jahrzehnt später möchte hier aber keiner der Passanten mehr seine Meinung zum Grenzübergang kundtun. Schnellen Schrittes stapfen sie an diesem Nachmittag in Richtung Ungarn, wirken dabei genervt, weichen dem nett fragenden Reporter gezielt aus. Nicht wenige legen den unnötig kompliziert gewordenen Weg per E-Scooter zurück.

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    Ankunft am Bahnhof Loipersdorf-Schattendorf.
    Ankunft am Bahnhof Loipersdorf-Schattendorf.
    Leo Stempfl

    Während an der Hauptstraße Schattendorfs die fürs Burgenland typischen Langhäuser dominieren, befindet sich in unmittelbarer Grenznähe der historische Ortskern. Pfarrkirche, Kindergarten, Schwimmbad, eine Straße weiter die Volksschule, Neue Mittelschule, Polizeiinspektion – und das Gemeindeamt. Dort sitzt seit Juni 2022 Bürgermeister Thomas Hoffmann. Der Landesbedienstete (und SPÖ-Funktionär, versteht sich) wurde mit einer überwältigten Mehrheit von 82 Prozent gewählt. Denn er versprach den Bürgern eine Lösung für die Causa Prima.

    Auslöser war die zunehmende Verkehrsbelastung entlang des kleinen Grenzübergangs. Auto-Kolonnen fuhren morgens und abends aus Ungarn in Richtung Mattersburg, Baden und Wiener Neustadt, untertags nahmen Burgenländer die Abkürzung nach Sopron, um dort billig zum Friseur, Arzt oder einkaufen zu gehen. Temporäre Fahrverbote zur Rush Hour brachten keine Besserung.

    Burgenland III

    Der weitere Verlauf der Geschehnisse hätte Potenzial für eine Folge "Die 4 da"

    • 5. August 2022: Bürgermeister Hoffmann spricht erstmals von einem Schranken, der nur mehr Einheimische aus Schattendorf und Agendorf durchlassen soll. Das Innenministerium schiebt dem Vorhaben aus EU-rechtlichen Bedenken rasch einen Riegel vor. Hoffmann kontert mit der Drohung einer Totalsperre.
    • 17. Februar 2023: Nach langem Hin und Her gibt es doch noch eine Einigung. Am Grenzübergang soll eine mit Pollern geregelte Fußgängerzone entstehen. Bewohner der beiden Grenzorte können eine Genehmigung zum Befahren beantragen, die 160 Euro kostet, wobei 140 als Einkaufsgutscheine zurückfließen.
    • 1. März 2023: Die Grenze ist erstmals für die auf 12 Wochen angesetzten Bauarbeiten gesperrt. Pendler fahren mit einem Auto – teils in Fahrgemeinschaften – zum Übergang, gehen zu Fuß nach Österreich und steigen hinter den Bauzäunen in ein anderes Auto ein.
    • 3. Juli 2023: Die Poller-geregelte, 140.000 Euro teure "FuZo" geht in Betrieb. Die Eröffnung wird von Demonstrationen begleitet, die Agendorfer Bürgermeisterin zeigt sich deutlich verstimmt.
    • 9. Juli 2023: Nur wenige Tage später wird die Grenze abermals für den Autoverkehr gesperrt. Jemand hat mit einem Hammer die für die Erfassung der ortsbezogenen Vignetten installierten Lasergeräte demoliert, Autos können nicht mehr passieren. Die Reparatur wird fünf Monate dauern.
    • 2. August 2023: Die Anwaltskanzlei NZP NAGY Legal bringt beim österreichischen Verfassungsgericht einen Antrag auf Normenkontrolle und Beschwerde bei der EU-Kommission ein. Gegen die Gemeinde Schattendorf wurde zusätzlich eine Amtshaftungsklage vor dem Landesgericht Eisenstadt anhängig. Der Streitwert betrug 27 Cent – die Spritmehrkosten, die ungarischen Pendlern für den Umweg entstehen. Der Zivilprozess findet zwei Monate später statt und wird im Jänner 2024 zugunsten der Gemeinde entschieden.
    • 1. Dezember 2023: Die ersten Autos können wieder hinüberrollen.
    • 30. März 2024: Über das Osterwochenende kommt es zu einem abermaligen Vandalenakt. Diesmal bohrten Unbekannte gezielt die Sicherheitsschleife im Asphalt vor den Pollern an. Seitdem (Stand Mitte Mai 2024) ist die Grenze abermals für Autos gesperrt.

    Wer steckt dahinter?

    Die Lücke neben dem Bauzaun ist gerade groß genug, dass ein Fahrrad oder Moped durchpasst. Letztere werden vom diensthabenden Bundesheerler durchgelassen, sofern besagte Ausnahmegenehmigung vorgewiesen werden kann. Die meiste Zeit blickt der Grenzsoldat ohnehin auf sein Handy; die Lage sei ruhig, versichert er im Gespräch.

    Grundsätzlich sei die Poller-Regelung innerhalb der Bevölkerung mit "Wohlwollen" aufgenommen werden, sagt Bürgermeister Thomas Hoffmann. Immerhin wurde der Transitverkehr aus dem Ort verbannt, das ist unbestritten. Eine einfache Reparatur der Anlage sei nicht zielführend, schon wenig später würden die Vandalen wohl wieder zuschlagen. Die Gemeinde hat deswegen beim Innenministerium um eine Genehmigung zur Videoüberwachung angesucht. Erst, sobald diese da ist, könne die Anlage "wie bisher" wiedererrichtet werden, um den gewollten "Nachbarschaftsverker" zu ermöglichen. Wer dahinterstecken könnte? "Irgendwer, der mit der Geschichte nicht zufrieden ist."

    leo
    Akt.
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