Nahost-Konflikt

"Unvorstellbar, keine Worte" – UNO-Experte entsetzt

Israel will trotz katastrophaler Lage und breiter Kritik die Militäroffensive auf Rafah starten. Österreichs UNO-Hochkommissar ortet eine Katastrophe.

Newsdesk Heute
"Unvorstellbar, keine Worte" – UNO-Experte entsetzt
Der österreichische UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, am Donnerstag in der "ZIB2".
Screenshot ORF

Israels Verteidigungsminister Yoav Galant hat bei einem Truppenbesuch im umkämpften Gazastreifen einen baldigen Beginn der geplanten Militäroffensive in der Stadt Rafah angedeutet – trotz gigantischer internationaler Proteste und einer katastrophalen humanitären Situation im Gazastreifen. "Es gibt keinen sicheren Hafen für Terroristen in Gaza", sagte er am Mittwoch laut einer Mitteilung der israelischen Regierung.

"Selbst diejenigen, die denken, dass wir verzögern, werden bald sehen, dass wir jede Region erreichen werden", hieß es. Zwar erwähnte er die im Süden Gazas gelegene Stadt Rafah nicht namentlich, die "Times of Israel" wertete seine Äußerung aber als Hinweis auf die geplante Offensive in Rafah. Galant könnte sich dabei auf Berichte bezogen haben, wonach Verbündete Israel gedrängt haben, eine Invasion in Rafah aufzuschieben, schrieb dazu die "New York Times".

"Dann ist das eine Katastrophe"

Von einer drohenden "Katastrophe" sprach der österreichische UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, am Donnerstagabend in der "ZIB2" bei ORF-Moderatorin Marie-Claire Zimmermann. "Wenn man sich die humanitäre Situation ansieht, so ist die äußerst prekär", so Türk. Vor allem im Norden des Gazastreifens sei es fast unmöglich, noch an Hilfe zu gelangen. "Humanitäre Hilfe kommt nicht in dem Ausmaß hinein, in dem es notwendig ist", so Türk. Die UNO versuche seit Wochen und Monaten den Zugang zum Gazastreifen und innerhalb die Verteilung zu ermöglichen, ohne große Erfolge.

"Das Wichtigste ist, dass die Hilfe hineinkommt und nicht von einem auf den anderen Moment wieder abgeschaltet wird", so der UNO-Hochkommissar. Selbst vor dem 7. Oktober, dem Tag des Hamas-Angriffs auf Israel, sei Unterernährung im Gazastreifen ein großes Problem gewesen, nun sei es zu einer extremen Verschlechterung gekommen, schilderte der Experte die Lage. "Wenn eine solche Militäraktion durchgeführt wird in Rafah, dann ist das eine Katastophe", so Türk. Er wisse nicht, "welche Worte" man überhaupt noch dafür verwenden könne, was im Gazastreifen drohe.

"Auf engstem Raum zusammengepfercht"

"Unvorstellbar", sei ein solcher Plan, wenn man "1,5 Millionen Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht hat", die kaum humanitäre Hilfe bekommen könnten, dann sei es ihm "unmöglich", überhaupt an das Ausmaß der Katastrophe zu denken. "Es scheint mir fast unmöglich, so etwas durchzuführen", so Türk zu einer möglichen Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge. Das Wichtigste sei, einen Waffenstillstand aus humanitären Gründen umzusetzen, "ich kann nur hoffen, dass die Vernunft durchbricht", so Türk. "Ich kann mir nicht mehr vorstellen, wie sehr noch die Menschen leiden müssen, bevor man sich zur Vernunft besinnt."

"Es stimmt nicht, dass ich das Leid von Israelis nicht hervorgestrichen habe", wehrte sich Türk gegen Kritik von israelischer Seite. Die Angriffe auf Israel seien schärfstens zu verurteilen, die Geiseln der Hamas müssten sofort und ohne Bedingungen freigelassen werden. "Es ist klar, dass Israel die eigene Bevölkerung schützen muss", so Türk, aber es könne nur in dem Ausmaß geschehen, in dem man Völkerrecht und vor allem internationale humanitäre Völkerrecht beachte. Diese Regeln sehe er derzeit "von beiden Seiten nicht" eingehalten. "Wir kommen an die Grenzen von dem, was wir tun können", so Türk abschließend.

Rätselraten über Offensive und Evakuierung

In Rafah an der Grenze zu Ägypten suchen derzeit nach Schätzungen 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum und unter elenden Bedingungen Schutz vor den Kämpfen in den anderen Gebieten des Gazastreifens. Israels Streitkräfte erklärten laut der "Times of Israel" am Mittwoch, dass ein großer Teil der Menschen vor einer Militäroperation auf "humanitäre Inseln" im Zentrum des abgeriegelten Küstengebiets gebracht würden.

Ihre Umsiedlung in ausgewiesene Gebiete werde in Abstimmung mit internationalen Akteuren erfolgen, wurde der Sprecher der Armee, Daniel Hagari, zitiert. Wann die Evakuierung stattfinden soll und wann die Offensive auf die Stadt beginnen werde, sagte er nicht.

BILDERGALERIE: So sieht es in der Hölle von Gaza aus

1/9
Gehe zur Galerie
    Das israelische Militär fliegt nun fast täglich Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen.
    Das israelische Militär fliegt nun fast täglich Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen.
    REUTERS

    Rafah-Offensive als "eine rote Linie"

    Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hatte sich kürzlich entschlossen gezeigt, die geplante Militäroffensive gegen die Hamas in Rafah trotz internationaler Warnungen bald zu beginnen. "Wir sind einem Sieg sehr nahe", sagte der Rechtspolitiker in einem von "Bild", Welt TV und "Politico" geführten Interview.

    "Politico" berichtete am Mittwoch zudem, ranghohe US-Beamte hätten ihren israelischen Amtskollegen mitgeteilt, dass die Regierung von US-Präsident Joe Biden es unterstützen würde, wenn Israel gezielte Schläge gegen die Hamas in Rafah vornimmt, solange von einer großangelegten Invasion abgesehen wird. Biden hatte eine Rafah-Offensive am Wochenende zu einer "roten Linie" erklärt.

    Diese Storys solltest du am Donnerstag, 21. November, gelesen haben

    Auf den Punkt gebracht

    • Trotz internationaler Warnungen und katastrophaler humanitärer Situation im Gazastreifen plant Israel eine Militäroffensive in der Stadt Rafah zu starten
    • Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte warnt vor einer bevorstehenden Katastrophe und drängt auf einen Waffenstillstand aus humanitären Gründen
    red
    Akt.
    An der Unterhaltung teilnehmen