Wien
Geflüchtete als Helferin: Ana nahm Ukrainerin (17) auf
Während der Jugoslawienkriege musste Ana S. ihre Heimat verlassen. Heute schenken sie und Mann Vladimir selbst einer Geflüchteten ein Zuhause.
Die Bilder, die sich nach dem Angriff der russischen Truppen in der Ukraine verbreiteten ließen kaum jemanden kalt. Bei Ana (53) und ihr Mann Vladimir (55) kamen alte Erinnerungen wieder hoch. Während der Jugoslawienkriege flüchtete Ana aus Kroatien nach Österreich. Vladimir kam bereits vor dem Krieg aus Bosnien hierher. Nur für kurze Zeit – das war damals die Annahme. "Als die Kinder hier Fuß fassten, merkte ich immer mehr: Wir sind hier zuhause", erzählt Ana.
"Als wir Daryna gesehen haben, waren wir einfach nur glücklich"
Die Flucht, anfängliche Schwierigkeiten in einem neuen Land mit unbekannter Sprache – damit sind auch viele Menschen aus der Ukraine nun konfrontiert. Und das Wiener Paar wollte nicht untätig bleiben: "Man sieht die Bilder im Fernsehen, aber tut nichts. Wir wollten die Komfortzone verlassen, denn wir haben den Platz und die Möglichkeiten", so Ana. Die beiden haben zwei Söhne (28, 30) groß gezogen, beide sind bereits außer Haus. Ana arbeitet als Buchhalterin, Vladimir in einer Spedition. Nun sollte jemand bei ihnen einziehen, der dringend Schutz sucht.
Nach einem kurzen Aufnahmeprozess, Gesprächen und Besuchen von SOS Kinderdorf kam es zum ersten Treffen mit Daryna. Die 17-jährige war aus Kiew geflüchtet und wurde seitdem von den Behörden betreut. "Als wir sie gesehen haben, waren wir einfach nur glücklich und wollten sie am liebsten sofort mitnehmen", strahlten die Gasteltern, wenngleich auch Zweifel aufkamen. "Natürlich fragt man sich auch, ob man dem gewachsen sein wird, ob es ihr bei uns gefallen wird", gibt Ana zu.
Doch die Zweifel dauerten nicht lange an. Auch Daryna konnte den Einzug kaum erwarten: "Ich habe mich auch sehr gefreut, sie waren wirklich nett", erzählt sie. Nach weiteren Treffen und Gesprächen war es so weit und das Mädchen bekam ein neues Zuhause – weit entfernt von der Heimat, Bomben und Krieg.
Kontakt zur leiblichen Familie: "Wollen nicht konkurrieren!"
Darynas Familie befindet sich immer noch in Kiew. Sowohl ihr Vater, als auch der 18-jährige Bruder wurde bereits für den Militärdienst verpflichtet, ihre Mutter harrt weiter bei der restlichen Familie aus. Die eigene Tochter in Sicherheit zu wissen, ist für sie das Wichtigste. "Wir telefonieren regelmäßig miteinander, auch mit den Gasteltern", erzählt Daryna, die nach Kursen in Kiew bereits Deutsch spricht. "Manchmal schicken sie uns Blumen, das freut uns wirklich sehr", sagt Ana und ergänzt: "Eine gute Beziehung zu Darynas Eltern ist uns wichtig, denn wir wollen keinesfalls mit ihnen konkurrieren", stellt sie klar.
Kommt das Thema auf ihre leibliche Familie, wird Daryna ruhig, spricht kaum darüber. "Sie tragen diesen Krieg mit Würde, Jammern nicht", erklärt die Gastmama. Viel lieber spricht die 17-jährige von ihren Zielen, Plänen und Träumen.
"Werden nach Kriegsende gemeinsam in der Ukraine tanzen"
Denn für Daryna fängt nun in Wien ein neues Leben an. Das SOS-Gastfamilienprogramm ist keine kurzfristige Initiative, sondern – wenn gewünscht – auf Jahre ausgelegt. Nachdem die 17-jährige in der Ukraine bereits die Matura absolviert hat, studiert sie nun im Fernstudium Medizin. In ihrer Freizeit findet der Teenager Ablenkung von Sorgen und Problemen in der Kreativität. "Sie bastelt kleine Stofftiere und spielt gerne Klavier", erzählt Gastmama Ana und lacht: "Das freut uns, denn wir sind alle nicht kreativ. Von Daryna können wir einiges lernen."
Das Wiener Paar ist mittlerweile zu "Ukraine-Fans" geworden, wie beide begeistert berichten. "Wir gehen gerne ukrainisch essen, haben viel über Kultur und Traditionen gelernt. Wenn der Krieg aus ist, wollen wir in das Land reisen und alle gemeinsam dort tanzen!"