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Tunesien: Warum ein Jude für Islam-Partei kandidiert

In Tunesien stehen Gemeindewahlen an. Die islamistische Ennahdha-Partei stellt in einem Ort erstmals einen jüdischen Kandidaten auf.

Heute Redaktion
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Simon Slama und seine Familie sind die einzigen Juden, die noch in der tunesischen Stadt Monastir leben. Einst lebten dort eine Gemeinde von 520 jüdischen Familien. Doch anstatt wegzuziehen wie so viele andere will Slama in der Gemeindepolitik mitmischen. Dafür kandidiert er ausgerechnet für die islamistische Partei Ennahdha.

Slamas Kandidatur für die Ennahdha-Partei sorgt in dem weitgehend muslimischen Land für eine Sensation und auch einige Kontroversen. Der 56-jährige Slama selbst findet nichts besonderes an seiner Kandidatur: "Ich sehe keinen Unterschied zwischen der islamischen und jüdischen Religion. Wir sind alle eine Familie und alle tunesische Staatsbürger", sagte er der Nachrichtenagentur Associated Press (AP).

Jüdischer Kandidat als "Propaganda-Aktion"

Die Ennahdha-Partei habe er sich ausgesucht, weil sich ihr angesichts der derzeitigen Krise in Tunesien viele Menschen zuwenden würden. Die Ennahdha würde Slama aus purer Machttaktik aufstellen, unterstellen Kritiker. So wolle die islamistische Partei ihr Image aufbessern und "wie eine tolerante und offene Partei wirken", vor allem im Ausland. Zudem wolle man sich lediglich von der Muslimbruderschaft und anderen islamistische Bewegungen abgrenzen.

Der örtliche Ennahdha-Parteichef Adel Messaoud erklärt, die Kandidatur Slamas wirke zwar auf den ersten Blick "ein wenig bizarr", gehe jedoch völlig konform mit den Parteistatuten. Beim letzten Kongress habe man beschlossen, "die politischen Aktivitäten von den ideologischen Aktivitäten zu trennen". Slama sei im Ort bekannt und sehr geschätzt. Es habe in Tunesien zudem in der Vergangenheit bereits jüdische Minister sowie jüdische Lokalpolitiker gegeben, betonte Messaoud.

"Diese Stadt hat den Geist meiner Vorfahren"

Der 56-Jährige Slama betreibt in seiner Heimatstadt ein Geschäft, in dem er Nähmaschinen verkauft und repariert. nach seinem Studium in Straßburg kehrte er in seine Heimatstadt Monastir, etwa 170 Kilometer südlich der Hauptstadt Tunis, zurück. Zur gleichen Zeit verließen viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde den Ort.

Moez Dali, ein Kunde in Slamas Geschäft sagte gegenüber AP-Reportern: "Jeder kennt Slama." Über dessen Familie sagt er: "Sie kommen zu unseren Hochzeiten, wir zu ihren. Es gibt keine Unterschiede zwischen uns. Letzten Endes ist er auch ein Tunesier aus Monastir."

Jahrhundertelange jüdische Geschichte

Tunesien war einst Heimat von rund 100.000 Juden. Mit dem Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er Jahre verließen viele jüdische Familien das Land. Der aufkeimende arabische Nationalismus sowie der Antisemitismus im Zuge der israelischen Staatengründung trieben viele Juden in Tunesien und anderen arabischen Ländern dazu, auszuwandern.

Neben Israel wanderten viele tunesische Juden auch nach Frankreich aus. Derzeit leben laut Schätzungen noch etwa 1.500 Juden in Tunesien.

Die Gemeindewahlen sind die ersten seit der Revolution von 2011, der als Arabischer Frühling bald die restliche arabische Welt ergreifen sollte. Im Gegensatz zu vielen anderen arabischen Staaten endeten die Volkserhebung in Tunesien nicht in Blut und Unterdrückung sondern in einem - wenn auch fragilen - demokratischen System. (red)

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