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"Tiny Tina’s Wonderlands" im Test: Fantasy-Furore
Drachen! Orks! Goblins! Fette Schwerter! Dicke Wummen! "Tiny Tina’s Wonderlands" ist mehr als ein "Borderlands"-Abklatsch. Der Shooter-Hit im Test.
Was der "Borderlands 2"-DLC "Tiny Tina's Sturm auf die Drachenfestung" begonnen hat, setzt nun der neue Loot-Shooter "Tiny Tina's Wonderlands" von Gearbox Interactive auf PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series und PC fort. Im Mittelpunkt steht wieder die quirlige Tina, die sich eine neue Fantasy-Welt ausgedacht hat und den mit durchgeknallten Waffen ausgestatteten Spieler mit flotten Sprüchen beim Ballern begleitet. Ein "Borderlands"-Abklatsch ist das Game aber nicht, auch wenn an allen Ecken und Enden des Games der Einfluss durchaus erkennbar ist.
Auch "Tiny Tina's Wonderlands" funktioniert nach dem Prinzip der Vorgänger: Unsere witzige Spielleiterin Tiny Tina versetzt uns als Spielfigur in ihr vollkommen durchgeknalltes "Pen and Paper"-Spiel, in dem sie die Regeln festlegt und und als Spieler gleichzeitig mit allen möglichen Gefahren konfrontiert, die so eine Fantasy-Welt zu bieten hat. Dass das Game ein moderneres "Borderlands" im Fantasy-Gewand ist, zeigen nicht nur die ikonische Cel-Shading-Optik, sondern auch wahnwitzige Waffen und flotte Sprüche bis hin zu tiefstschwarzem Humor und bekannten Charakteren.
Wir eilen Königin Arschgaul zu Hilfe
Allen voran der überbegeisterte Allzweckroboter Claptrap, um den sich auch einige der Missionen drehen werden, entdecken "Borderlands"-Spieler jede Menge alte Bekannte wieder. Abseits davon darf man mit Kobolden Revolutionen niederschlagen, gegen feuerspeiende Drachen ins Feld ziehen oder sich auf die Suche nach der mächtigsten Waffe der Welt begeben. Die Haupthandlung dreht sich dabei um unseren Heldenkampf gegen den bösen Dragon Lord, der gegen Königin Arschgaul anrückt. Ja, es stimmt, die Ausdrücke und der Witz sind oft unterirdisch und an der Grenze des guten Geschmacks.
"Tiny Tina's Wonderlands" bietet gleich mehrere spielbare Klassen. Die größte Neuerung dabei ist, dass man nicht aus fixen Klassen auswählen muss, sondern sich seine Figur aus einer groben Auswahl von Magier über Fern- bis hin zu Nahkämpfern sucht und dann die Werte großteils nach eigenem Geschmack anpassen kann. Danach kann man auch noch aus einer gefühlten Tonne an optischen Details feilen, von den Haaren über das Gesicht bis hin zur Haut – und neben dem männlichen und weiblichen darf man der Spielfigur auch ein non-binäres Geschlecht verpassen.
Unglaubliche Abwechslung bei den Klassen
Sechs verschiedene Spieltypen stehen zur Auswahl, wenn man die Klassen grob aufteilen will. Dabei ergeben sich durchaus sehr unterschiedliche und abwechslungsreiche Spielweisen. Der "Grabspross" beispielsweise nutzt Gesundheit für verschiedenste Attacken und saugt mit ausgeteiltem Schaden diese auch wieder ein, der "Killomant" wiederum kann sich unsichtbar machen und mit einer magischen Klinge zuschlagen. Auch alle anderen Figuren besitzen je zwei verschiedene aktive Fähigkeiten, das Ausprobieren lohnt sich. Ebenfalls neu ist, dass jede Figur eine passive Fähigkeit bekommen hat.
Diese passiven Skills werden als "Großtat" bezeichnet – der "Grabspross" kann dabei einen Begleit-Kämpfer herbeirufen, der "Killomant" hat dafür eine höhere Chance auf kritische Treffer. Alle Skills unterscheiden sich sehr deutlich von jenen anderer Figuren, das Game schreibt Abwechslung in Sachen Spielweise groß. Zur Auswahl stehen bei den Figuren übrigens auch der mit Gift hantierende Sporenhüter, Eis- und Frostattacken setzt der BRR-Serker ein, der Klauenbringer zieht mit einem Wyvern-Begleiter und Effektschaden ins Feld und der Zauberschuss feuert sein ganzes Arsenal an Magie ab.
Schlankerer, aber smarter neuer Skill-Tree
Was wie eine kleine Neuerung klingt, verändert das Spiel nun komplett, denn ab dem Start darf man nun selbst fast frei bestimmen, welche Klasse man wie ausbauen, beziehungsweise welche Fähigkeiten man nutzen will. Im weiteren Spielverlauf teilt sich jede Klasse zudem in eine weitere Unterklasse und sorgt so für neue Ausrichtungen, auch komplette Klassenwechsel sind möglich. Das spielt sich fantastisch: Einerseits wurde der Skill-Tree deutlich verschlankt, andererseits bietet er mehr Möglichkeiten und verhindert auch, dass man sich verlevelt oder auf eine bestimmte Klasse festgefahren ist.
Im Vergleich zu einem "Borderlands" halten bei der Charaktererstellung übrigens auch sogenannte "Schicksalsschläge" Einzug. Sie sind witzige Rollenbezeichnungen für die Figuren wie "Dorftrottel" und verändern die Statuswerte der Figur. So startet man etwa mit mehr Stärke oder Geschicklichkeit, muss dafür aber auf ein paar Punkte Gesundheit oder Magie verzichten. Auch das ist nichts, das sich im Spielverlauf nicht ändern lässt (schließlich lassen sich neue Punkte mit jedem Levelaufstieg verteilen), sondern bietet eine weitere Möglichkeit, sich die Figur ganz nach eigenen Geschmack zu erschaffen.
Plot-Twists, Action und fantastische Nebenaufgaben
Beim Gameplay spielt sich "Tiny Tina's Wonderlands" fast ident mit den "Borderlands"-Games – was kein Fehler ist, denn die zocken sich bekanntlich großartig: Jede Menge verrückter Feinde werden mit einem gigantischen Waffenarsenal plattgemacht, tonnenweise Beute wird eingestreift und alles wird in actiongeladene Quests verpackt, die noch dazu mit humorvollen Geschichten und Dutzenden Nebenaufgaben verpackt werden. Ein bisschen Grind darf natürlich nicht fehlen. Doch nicht nur die Hauptgeschichte begeistert dabei mit Plot-Twists und Action, auch daneben lohnt sich das Umschauen.
Vollkommen verrückt sind die Nebenaufgaben ausgefallen, bei denen regelmäßig langweilig wirkende Aufgaben zu den chaotischsten Unternehmen werden. Da heuern wir schon mal einen Kobold als Liebesboten für eine Bäuerin an, nur damit sich diese in das Wesen statt in den Schwarm verliebt oder gehen mit Claptrap auf die Suche nach der mächtigsten Waffe der Welt, die sich als kurioses Objekt herausstellt. Begleitet wird dies nicht nur von jeder Menge Loot abseits der Hauptquest, sondern auch von beinahe fantastischen Sprechern, die jederzeit daran erinnern, dass wir ein Spiel in einem Spiel zocken.
Zaubersprüche ersetzen die "Borderlands"-Granaten
Rund 15 Stunden ist man damit beschäftigt, nur die Pflicht-Missionen zu erfüllen, mit Side-Quests geht es schnell zum Dreifachen über. Damit ist "Tiny Tina's Wonderlands" überraschend lang ausgefallen, wobei man jede Spielminute mit Lachern genießen kann. Und je länger man spielt, umso mehr werden auch die Unterschiede zu einem "Borderlands" deutlich. So dreht sich die Geschichte nun nicht nur um ein Fantasy-Setting, sondern neben den zufallsgenerierten Schusswaffen kommen nun auch (ebenfalls zufallsgenerierte) Zaubersprüche ins Spiel.
Die Magie ersetzte die "Borderlands"-Granaten und die Sprüche lassen sich per Button-Druck aktivieren. Im Gegensatz zu den Waffen braucht Magie keine "Munition", sondern die Sprüche lassen sich nur nach einer Abklingzeit erneut abfeuern, das verringert auch den Grind deutlich. Die Zaubersprüche zeigen sich dabei in den unterschiedlichsten Ausführungen, aber allesamt im Fantasy-Design: Mal schleudern wir Blitze auf unsere Feinde, mal kreieren wir mächtige Feuerbälle und mal lassen wir Angreifer einfach erstarren. Die Zaubersprüche richten Schaden an und lösen auch Effekte aus.
Grafisch das beste "Borderlands" alller Zeiten
So können die neuen Zaubersprüche Gegner beispielsweise vergiften, ihre Rüstungen unbrauchbar machen oder immer mehr Effektschaden ansammeln. Generell ist das Gameplay um unnötig komplizierte Mechaniken erleichtert worden: Man scrollt kaum mehr durch Items und Waffenlisten oder Zaubersprüche, sondern kann fast alles mit einem Knopfdruck auslösen und mit einem weiteren wechseln. Ein Manko gibt es dann aber doch: Rüstungen und Ringe liefern uns zwar nette Boni wie mehr Schaden oder Gesundheit, verändern aber das Aussehen unseres Charakters kaum, da wurde mit der Detailliebe gespart.
Optisch aber gibt es mit den nutzbaren Skins was auf die Augen – auch sie sorgen dafür, dass man die eigene Spielfigur noch deutlicher personalisieren darf. Grafisch sieht "Tiny Tina's Wonderlands" mit seinem Cel-Shading-Look sowieso wie das beste "Borderlands" aller Zeiten aus. Neu ist letztlich auch das Aufleveln des Charakters: Pro Aufstieg dürfen wir einen Skill-Punkt in ein klassisches Fähigkeiten-System investieren, das unsere beiden aktiven Skills stärkt. Außerdem aber darf man einen Helden-Punkt nutzen und erstmals direkt in die Statuswerte der Figur investieren.
Einige Altlasten wird der Loot-Shooter nicht los
Eine Besonderheit zeigt sich noch beim Herumlaufen in der Spielwelt: Während Feuergefechte und Kämpfe in der Ich-Perspektive ablaufen, wechselt das Spiel bei längeren Laufwegen zwischen Schauplätzen zu einer Vogelperspektive. Ein nettes Detail und eine Tabletop-Hommage, was nicht unerwähnt bleiben soll. Flüssigkeitsklekse und Co. auf der Spielkarte erinnern zusätzlich daran, dass man ein "Pen and Paper"-Game in einem Videospiel-Gewand zockt. Etwas frustrierend ist dagegen weiter – vor allem für einen Loot-Shooter – ein ziemlich immer überfülltes und unübersichtliches Inventarsystem.
Schade ist auch, dass nicht ein bisschen mehr aus dem Nahkampf herausgekitzelt wurde. So gibt es zwar Schwerter und Co., sie zeigen aber eine etwas seltsame Timing-Vorgabe und lassen Angriffe nur ausführen, aber Attacken nicht parieren. Coole Grafik, derbe Sprüche, jede Menge Witz und viel Action: Auch im Fantasy-Setting weiß der neue Loot-Shooter zu begeistern und modernisiert viele "Borderlands"-Mechaniken, ohne sie von Bord zu werfen. Einige Altlasten wie ein mühsames Inventarsystem werden da noch mitgeschleppt. Dennoch spielt sich "Tiny Tina's Wonderlands" fantastisch und furios.