Spieletests
"Tin Hearts" im Test – so gut wie einst "Lemmings" war
"Tin Hearts" sieht fantastisch aus und spielt sich wie ein "Lemmings"-Ableger. All das ist verpackt in einer überraschend emotionalen Geschichte.
Das magische Puzzle-Adventure "Tin Hearts" für Nintendo Switch (Testversion) und PC ist nun endlich erschienen, Versionen für PlayStation 4 und 5, Xbox Series X/S und One folgen im Mai. Im Test bestätigt sich der gute Eindruck, den wir bereits von zwei Anspiel-Möglichkeiten gewinnen konnten. Schon im September 2022 fiel "Heute" das Spiel auf – und wir waren vom Fleck weg verzaubert. Nun zeigt sich, dass die Entwickler von Rogue Sun weiter ausführlich am Spiel gearbeitet haben und es zu einem der größten und besten Puzzle-Games überhaupt avanciert. Unter anderem kamen jetzt eine ausführliche Handlung und eine deutsche Vertonung des Zinnsoldaten-Puzzlers hinzu. Aber auch sonst macht alles richtig gute Figur im Spiel.
Sowohl spielerisch als auch grafisch überzeugt das Game, das von ehemaligen Mitgliedern der Lionhead Studios entwickelt wurde, gewaltig. "Tin Hearts" steckt Spielerinnen und Spieler in die Haut des Erfinders Albert Butterworth, der in einer fiktiven Version des Viktorianischen Zeitalters lebt und bei seinen Basteleien auf Hightech-Gerätschaften zurückgreifen kann. Daraus entfaltet sich eine zweigleisige Story: Einerseits erleben wir Alberts Familiengeschichte durch das Lösen der Puzzle-Aufgaben, andererseits führen wir eine eigentlich bösartige Zinnsoldaten-Truppe an, die im Titel ganz anders rüberkommt. Eigentlich böse? Während die Soldaten als boshafte Figuren vorgestellt werden, wachsen sie dem Spieler schnell ans Herz.
Die Soldaten gehen unbeirrt ihren Weg
Die süßen Bewegungen, ihr liebevoller Detailgrad und die tollen Animationen bis hin zum Zerspringen in Einzelteile beim Absturz von der Spielkarte sind detailverliebte Vorkommnisse. Das Gameplay selbst lässt sich recht einfach beschreiben und erinnert etwas an die "Lemmings"-Spiele: Die Zinnsoldaten sollen vom Spieler vom Startpunkt zum Endpunkt auf einer Karte manövriert werden, wobei zwischen den beiden Punkte jede Menge Hindernisse und Gefahren auf die Truppe lauern. Zu Beginn gestaltet sich das Vorhaben absolut simpel, denn anfangs besteht die Aufgabe einzig daraus, eine kleine Zauberbox zu öffnen, aus der dann die Zinnsoldaten heraus hüpfen. Ab diesem Zeitpunkt gehen die Soldaten unbeirrt ihren Weg.
Und dieser Weg führt sie geradeaus weiter, bis sie auf Hindernisse stoßen oder abstürzen. Herzerwärmend: Liegt ein Objekt im Weg, das die Zinnsoldaten überklettern können, zeigen die kleinen Soldaten niedliche Stolper- und Taumel-Animationen. Der Spieler selbst darf in den Marsch eingreifen, indem er eine vorgegebene Anzahl an Dreiecken, die die Soldaten umleiten, platzieren soll. Klingt alles einfach, kann aber schnell recht komplex werden. Mit jedem Level wird nämlich nicht nur der Weg zum Ziel länger und mit mehr Hindernissen gepflastert, sondern auch die Anzahl und Auswahl an Umleitungs-Elementen steigt an. Nicht schon kompliziert genug? Bis zum Ende hin führt das Spiel sehr komplexe und knackige Parcours ein.
Puzzle-Profis werden auf Probe gestellt
Puzzle-Fans wird es freuen, dass auch viele der platzierbaren Objekte nur an bestimmten Plätzen, im Spiel als kleine Holzelemente dargestellt, verwendet und gedreht werden dürfen. Das Game streut dazu auch noch nette Gimmicks ein, etwa dass Klötze in den Levels erst gesucht oder unter Zeitdruck ausgetauscht werden müssen. Das Game versucht aber trotz schnell steigender Schwierigkeit, auch Anfänger gut zu bedienen. So gibt es neben der Möglichkeit, die Zeit schneller oder langsamer ablaufen zu lassen auch eine Option, mit der der weiterführende Weg der Zinnsoldaten eingeblendet wird. Allerdings schaltet das Spiel mit der Einblendung des Wegs in die Pause, allzu simpel darf man es sich nicht machen.
In späteren Levels werden dann Puzzle-Profis auf die Probe gestellt, denn plötzlich lassen sich viele der Umleitungs-Elemente überall in der Spielwelt und nicht nur an vorgegebenen Stellen platzieren. Gerade zu Beginn ist aber viel Freiraum zum Lernen. So muss man anfangs nicht zwingend alle Figuren ins Ziel bringen und darf auch einige am Weg "verlieren" oder kann sogar die Zeit einige Momente zurückdrehen, um doch noch die Zinnsoldaten vor dem Abgrund zu retten. Und bei den zusätzlich in der Spielwelt verwendbaren Geräten geht es detailverliebt zu: Ballone können unsere Zinn-Armee über Abgründe tragen, Kanonen die Soldaten in die richtige Richtung schießen. Solche Ideen haben die Entwickler zuhauf in das Game gepackt.
Lernen beim Spielen statt Text-Langeweile
Genial: Anleitungen und Tutorials kommen ohne Textwüsten aus, man lernt beim Spielen. Mit Vorankommen im Spiel werden auch immer neue Werkzeuge und Fähigkeiten freigeschaltet, die es ermöglichen, immer tiefer in die 3D-Welt von "Tin Hearts" einzutauchen, durch die sich die niedlichen Zinnsoldaten bewegen. Schnell wird aus dem anfänglichen Tisch, über den die Soldaten laufen, eine riesige Miniaturwelt mit mehreren Ebenen und verbundenen Pfaden. Grafisch sieht das Spiel übrigens extrem gut aus und auch sonst kam es zu fast keinerlei Bugs oder Pannen. Im Gegensatz zur vorigen Preview-Version gibt es nun in der finalen Version auch mehr Handlung samt deutscher Vertonung und mit Helen und Rose auch neue Charaktere.
Vom niedlichen Look darf man sich aber nicht täuschen lassen, denn was kindgerecht und märchenhaft beginnt, nimmt schnell eine düstere Wendung. Einerseits erfährt die Familie des Erfinders ein tragisches Schicksal, andererseits wollen fiese Mächte seine Soldaten für finstere Zwecke nutzen. Das Spiel vermittelt dabei die Emotionen des Erfinders gut, zeigt sich im Verlauf oft dunkel, traurig und bedrohlich. Und entsprechend reagieren auch die marschierenden Soldaten, die bei Wut des Erfinders kräftig aufstampfen oder bei Traurigkeit sich schleppend dahinbewegen. Noch tragischer aber: Während Albert immer besessener von seiner Soldaten-Welt zu sein scheint, scheint diese gleichzeitig das Familienglück völlig zu zerstören.
"Tin Hearts" im Test – so gut wie einst "Lemmings" war
Das Zusammenspiel aus Rätsel-Lösen und Aufdecken der Story ergibt einen motivierenden Mix, bei dem Spieler mit einer überraschend tiefgreifenden und emotionalen Geschichte belohnt werden, die sich über mehrere Generationen und Zeitalter erstreckt. Entsprechend wechseln auch die Puzzle-Elemente detailreich ab, etwa von mechanisch angetriebenen Maschinen zu später elektrisierten Brücken und sogar Kanonen. Und auch die Story und die Umgebungen wechseln ab, von glücklichen Kindheiten geht es zu düsteren Erlebnissen und vom wohligen Wohnhaus in die chaotische Werkstatt. Manchmal aber etwas unübersichtlich ist, dass man sich die Bauteile für den Parcour erst in den teils sehr großen Räumen zusammensuchen soll.
Bei der Steuerung gibt es nichts zu klagen, denn die erklärt sich von selbst: Mit den Joy-Con-Sticks bewegt und dreht man sich, mit den Buttons legt man die Bauteile zurecht. Später kommen dann immer mehr Fähigkeiten dazu, bei jeder wird aber der Einsatz und der entsprechende Button vom Spiel gut vorgestellt. Ganz große Klasse ist auch der Soundtrack, der vom Komponisten Matthew Chastney stammt, der etwa schon am Film "Joker" arbeiten durfte. "Tin Hearts" macht riesigen Spaß, bietet aber auch knackige Kopfnüsse und eine überraschend emotionale Handlung. Vor allem aber schafft es das neue Spiel, das wunderbare Gameplay der alten "Lemmings"-Titel zurückzubringen und in neue, moderne Technik zu verpacken.