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"The Last of Us Part II" im Test: Schockierend gut
Dass "The Last of Us Part II" der größte Titel auf der PlayStation 4 sein wird, zeichnete sich schon in der Vorschau ab. Dass er so brutal wird nicht.
Machen wir es zu Anfang mal kurz, bevor wir in die Tiefe gehen: "The Last of Us Part II" ist das beste Game, das die PlayStation 4 in ihrer bisherigen Karriere hatte und vermutlich auch haben wird. Keine Frage, "God of War", "Red Dead Redemption 2" oder "Grand Theft Auto V" geleten ebenso wie der überarbeitete Vorgänger "The Last of Us Remastered" als Meilensteine auf der Sony-Konsole, "The Last of Us Part II" setzt aber in allen Belangen, vom Gameplay bis zur Grafik, von der Story bis zum Realismus, noch eine Schippe drauf.
Selten wird ein Spiel einem langen Vorab-Hype gerecht, in Fall von Naughty Dogs neuem Titel hätte man sich aber ein solches Spiel in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Sieben Jahre nach dem ersten Teil auf PlayStation 3 und sechs Jahre nach der PS4-Version sind im Spiel selbst fünf Jahre vergangen. Die Protagonisten Ellie und Joel haben in der von infizierten "Kannibalen" gebeutelten Welt so etwas wie eine Heimat gefunden. Anfangs wird man in eine gewohnte Situation geworfen: Joel als Beschützer, Ellie als Beschützte. Doch die Ausgangslage ändert sich so schnell wie auch dramatisch.
Im Kern ist das Game mit einer Spielzeit von rund 25 bis 30 Stunden, wenn man es halbwegs zügig angeht, kein Marathon-Titel. Dennoch braucht man seine Zeit dafür, um die Geschehnisse zu verarbeiten und das Erlebte einordnen zu können. "The Last of Us Part II" ist nämlich nicht nur grandios erzählt, sondern auch schockierend und gewalttätig. Zwar geht es in der Theorie in beinahe jedem Shooter oder Splatter-Game brutaler zu, die hier gezeigten Szenen, egal ob Gameplay oder Zwischensequenzen, sind aber derart realistisch, langsam und detailliert, dass sie nicht einfach im restlichen Spiel untergehen.
Warum die Gewalt so schockierend ist
Als Spiele-Tester ist man dabei eigentlich einiges gewohnt, doch auch das Gespräch mit Kollegen zeigt: Kaum jemand musste bei der einen oder anderen Szene nicht ebenso schlucken. Es sind dabei zwei Aspekte, die das Spiel von anderen Games mit hohem Gewaltfaktor unterscheidet. Zum einen sind Szenen extrem detailliert: Egal ob im Nahkampf oder in einer Videosequenz, man sieht den Kämpfenden die Todesangst an, hört ihre Schluchzer und ihr Keuchen und kann erkennen, wie tödlich der Angriff gerade ist. Blut, Gedärme, Tränen, mit kalter Präzision werden die Details des Todes dargestellt.
Ähnlich verhält es sich auch bei Videosequenzen und Geschehnissen, bei denen man als Spieler nicht aktiv beteiligt ist. So lassen sich Folter, Mord und Brutalität auch unter den computergesteuerten Figuren des Spiels in aller Klarheit beobachten. Und Sequenzen wie eine Hinrichtung auf einer Lichtung, auf der eine Person erst gehängt und dann ausgeweidet wird, verlangen einen durchaus starken Magen. Ein emotionsloses Durchschießen und -kämpfen durch Gegnermassen wie in "Uncharted"-Spielen ist hier nicht zu finden, beinahe jede kämpferische Begegnung hinterlässt beim Spieler Spuren. Verstärkt wird der Eindruck zum anderen auch noch dadurch, dass es hier nicht nur "Gut und Böse", sondern zahlreiche Zwischenstufen gibt.
Nicht jeder Feind, der auf uns losgeht, ist ein Bösewicht und nicht jeder, der es scheinbar gut meint, ein Freund. Nicht einmal unsere Protagonisten scheinen über weite Strecken überhaupt etwas Gutes im Sinn zu haben, was moralisch ebenso aufwühlt. Umso mehr Überwindung braucht es, überhaupt in "The Last of Us Part II" zu kämpfen. Tut man es doch, warten aufwühlende Überraschungen: Kameraden suchen nicht einfach nach einer getöteten Figur, sondern flehen mit dem Namen desjenigen um ein Lebenszeichen. Und ganz besonders hart trifft den Spieler die Keule, wenn man erfährt, dass die Suchenden in Wahrheit die verzweifelten Kinder sind, die ihren Vater verloren haben.
Rache-Geschichte mit großen Emotionen
Die Entwickler spielen diese Karten aus, ohne sie überzustrapazieren - genau das macht sie so effektiv. Die Handlung funktioniert übrigens durch Rückblenden auch, wenn man den ersten Teil nicht gespielt hat. Um einige Details und Wendungen, vor allem aber die Beziehungen zwischen den Figuren zu verstehen, wird dies aber dringend empfohlen. Auch, weil die den "The Last of Us"-Kennern bekannten Emotionen und der Druck zwischen den beiden Protagonisten neue Höhen erreichen und teils ebenso gefühlsmäßig mitreißen, wie es die Gewaltszenen tun.
Lassen wir die Gewalt ab diesem Punkt beiseite. "The Last of Us Part II" erzählt auf dermaßen vielen Ebenen eine so gewaltige Story von Liebe, Freundschaft, Verrat und Rache, dass jeder Kinofilm dabei blass aussieht. Auch die übrige Aufmachung ist perfekt darauf abgestimmt, von den ruhigen Gitarrenklängen bis hin zu den vielen moralischen Dilemmas, von der frei belegbaren und präzisen Steuerung bis zur detaillierten, extrem scharfen sowie realistischen Grafik. Auch die Sprecher liefern egal ob Englisch oder Deutsch Großartiges. Was das Spiel leistet, dürfte das technische Ende der Fahnenstange der aktuellen Konsolengeneration sein.
Ganzn ohne typische Game-Muster geht es aber nicht: "The Last of Us Part II" lässt es ruhig und beschaulich angehen, um gegen Ende hin immer gewaltigere Konflikte auflodern zu lassen und das Ende vielleicht einen Tick zu überhastet einzuläuten. Dazwischen findet das Spiel den bekannten Mix aus actiongeladenen Gefechten, abwechslungsreichen Rätselpassagen und ruhigen Erzählmomenten. Wer sich abseits der Missionen etwas ablenken will, findet genug Tätigkeiten in der Umgebung: Weitläufige Gebiete offenbaren sich auch ohne offener Spielwelt und es ist immer wieder eine Freude, einfach einen etwas abgelegenen Ort zu besuchen, um andere Überlebende zu beobachten und zu belauschen.
Absolut beeindruckende Grafik
Besonders beeindruckend sind Mimik, Gestik und Körpersprache aller vorkommenden Figuren. Sie sind keine schlichten Dekorationen, um Dialoge voranzutreiben, sondern verziehen Münder und runzeln Stirnen, wenn ihnen etwas nicht passt, lassen ihrer Wut ebensolche Gesten folgen oder wirken gebrochen, wenn sie ihrer Trauer nachgeben. Gleiches Lob gilt übrigens auch den Umgebungen und der gesamten Spielwelt und vor allem den Gebäuden: Jedes betretbare Objekt überrascht mit akribisch genauer Einrichtung, Tiere begeistern mit natürlichem Verhalten (beim Reiten spielt sich der Titel übrigens noch besser als "Red Dead Redemption 2") und generell sticht die Grafik-Qualität fast alles aus, was Sony bei seinem PlayStation-5-Event an Games für die nächste Konsolengeneration gezeigt hat.
Es sind aber auch die kleinen Details, die man so kaum von anderen Spielen kennt. Wer will, kann sich die Steuerung komplett selst belegen und fast sämtlichen Info-Einblendungen am Bildschirm nach Belieben ein- oder abschalten. Dialoge wurden ins Gameplay integriert und passieren aus einem natürlichen Rhythmus heraus, statt gezwungen zu einem Punkt gehen zu müssen, um mit einer Person zu sprechen. Reitet oder rennt man wiederum aus einer dunklen Umgebung in den hellen Sonnenschein, brauchen die Augen etwas, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Und in keiner Sekunde des Spiels zickte die Kamera herum, sondern fing immer das Geschehen in aller Herrlichkeit ein. Was hier technisch umgesetzt wurde, ist schlicht und einfach ein Meisterwerk.
Wie auch in Teil 1 unterscheiden sich die verschiedenen Umgebungen mit Fortlauf des Spiels sehr voneinander und offenbaren eine noch wildere und überwuchertere Welt, als man sie kannte. Gänzlich neu ist allerdings, dass man sich nun auch ehr stark vertikal umsehen kann: Durch neue Kletter- und Abseilmechaniken lassen sich ebenso wie durch Schwimmen und Tauchen ungeahnte Höhen und Tiefen erreichen, was nicht nur das Erkunden großartig macht, sondern auch in Kämpfen für taktische Vorteile sorgen kann. Wobei Kämpfen meist gar nicht nötig ist: Geschickte Spieler schaffen es, die meisten Feinde im Spiel zu umschleichen, auch wenn diese deutlich intelligenter geworden sind.
Extrem packende Kämpfe
Entscheidet man sich für die Konfrontation, stehen anfangs nur wenige Waffen und Möglichkeiten zur Verfügung, die das Spiel dann sukzessive auf Pistole, Armbrust, Sprengfallen, Molotov-Cocktails und Co. ausbaut. Klasse: Die immer mehr werdenden Waffen haben alle verschiedene Abweichungen, was sie einzigartig und nicht jeden Schuss zum Treffer macht. Im Kampf gibt es verschiedene Möglichkeiten: Entweder man geht gegen die menschlichen Gegner leise und mit heimlichen Angriffen vor, oder man versucht, sie zu traktieren, bevor es in den brutalen Nahkampf geht, wo man zum Ausweichen und Kontern flinke Finger braucht. Bei den Infizierten wiederum kommt man mit der direkten Variante kaum weiter: Hier gilt immer noch das Prinzip Ablenken und auf den richtigen Moment für einen leisen Angriff warten. Einige Feinde lassen letztlich dann auch nur eine Option übrig: Zu flüchten und zu hoffen, dass man nicht verfolgt wird.
Sowohl KI-Koop-Partner als auch menschliche Feinde und Monster haben im zweiten Teil dazugelernt. So können einige der Infizierten nicht mit Flaschen einfach weggelockt werden, sondern verfügen über genug Intelligenz um den Werfer zu finden oder Fallen zu stellen. Menschliche Kontrahenten wiederum sind weder blöd noch harmlos: Im hohen Gras oder hinter Mauern versteckt wird der Spieler nicht unsichtbar. Die Gegner können Ellies Bewegungen sehen und hören - und entdecken sie dementsprechend trotz Tarnung. Außerdem geben sich menschliche Feinde nun Zeichen, um etwa den Suchradius zu verkleinern oder Verstärkung zu rufen. Flüchtet man, durchsuchen die Feinde Stück für Stück die Umgebung, statt stupide zum Alltag zurückzukehren.
Dafür hat man allerdings nun auch im Kampf mehr Möglichkeiten: Geschossen wird nicht mehr nur stehend, sondern auch liegend, und zwar in verschiedenen Positionen wie am Bauch oder am Rücken. Auch der KI-Begleiter ist eine Hilfe und überrascht mit selbstständigen Deckungs- und Schuss-Entscheidungen. Je nach Schwierigkeitsgrad enden Kämpfe gegen mehr als einen Gegner aber trotzdem meist schnell zum Nachteil des Spielers. Schon im normalen der fünf Schwierigkeitsgrade werden Fehler bestraft und man stirbt den Bildschirmtod. Wo Feinde sind, ist auch Gefahr, das macht "The Last of Us Part II" eindeutig klar. Leise, schnell und schlau gilt es sich zu bewegen, wenn man weiter am Leben bleiben will. Besonders gemein: Manchmal hilft auch das nichts. Nämlich dann, wenn ein Hund von der Leine gelassen wird und sich in der Spielfigur verbeißt.
Gute Anpassungsoptionen
Nicht nur die Auswahl an Waffen wächst mit Fortdauer des Spiels, auch die Anpassungsmöglichkeiten tun es. Es ist der einzige Bereich, der nicht ganz realistisch aufgrund des Ablaufs wirkt. Spieler können sich Fähigkeiten wie ruhigeres Zielen, schnelleres Kriechen oder besseres Hören durch das Sammeln von Büchern und Pillen freischalten. Die Bücher schalten dabei Fähigkeitenbäume wie "Tarnung" oder "Überleben" frei, die Pillen die einzelnen Skills. Realistischer und logischer wäre hier wohl gewesen, die Fähigkeiten der Spielfigur zu verbessern, wenn bestimmte Aktionen wie Zielen, Verstecken oder Kämpfen öfters aus ausgeführt werden.
Besser ist dies bei den Werkbänken gelungen, an denen man Waffen aufrüsten kann. Das ist bitter nötig, denn Objekte wie Messer und Keulen nutzen sich im Kampf schnell ab und gehen kaputt. Versieht man an den Bänken Pistolen und Gewehre durch den Einsatz von gefundenen Schrauben und Schrott mit Zielhilfen und Co. mekt man in den nächsten Kämpfen sofort, wie sich Genauigkeit, Rückstoß, Stabilität oder Schaden verändert haben. Neben Notizen mit Hintergrundgeschichten lassen sich des Weiteren jede Menge Items finden, die man zu neuen Gegenständen wie Schalldämpfern oder Heilmittel kombinieren kann. Das läuft zwar sehr simpel ab, hat aber einen schlauen Hintergrund.
Im Inventar-Rucksack ist realistischerweise nicht allzu viel Platz. Wer glaubt, sich einfach mit jeder Menge Molotow-Cocktails und Medi-Kits für den nächsten Kampf ausrüsten zu können, wird hier von der harten Spielwelt eingebremst: Resourchen sind nicht nur schwer zu finden, sondern auch die mitnehmbaren Gegenstände stark beschränkt. Das sorgt dafür, dass man sich nie übermächtig oder perfekt gerüstet fühlt, ohne dabei unfair zu werden. Etwas upgegradet wurden auch die Rätsel: Tresore haben nicht mehr ihre Kombinationen in der Nähe herumliegen, sondern müssen auch mal per Gehör oder Gehirnschmalz geöffnet werden. Und Umgebungsrätsel fordern nun auch Geschicklichkeit und Timing zum Erreichen des Zielorts.
Ein Meisterwerk des Gamings
Wer "The Last of Us Part II" bis zum Ende durchspielt, landet im New Game+, wo man sofort vom Beginn weg über alle Waffen und Items verfügt. Bis dahin schockt, begeistert und erstaunt das Spiel über gut 30 Stunden auf einem Niveau, das die Regisseure von Blockbuster-Kinofilmen vor Neid erblassen lässt. Sollte es ein "The Last of Us Part II Remastered" irgendwann für die PlayStation 5 geben, fragt man sich schon jetzt zwangsläufig, wie man das technisch noch toppen will. Nie sah ein Spiel dermaßen gut aus und bewegte gleichzeitig die Spieler mit der Handlung so sehr. Es ist ein Meisterwerk der Videospielwelt, nicht nur auf der PlayStation 4.