Spiele-Test
"The Invincible" ist als Game so schön wie das Kultbuch
Der Science-Fiction-Roman "The Invincible" gilt als Jahrhundertwerk des Autors Stanisław Lem. Nun gibt es auch ein darauf basierendes Game.
Weder über den Roman "The Invincible" von Autor und Zukunftsforscher Stanisław Lem aus dem Jahr 1964 (!), noch über das gleichnamige Game für PC, PlayStation 5 und Xbox Series X|S darf man zu viel verraten, denn Spoiler nehmen den Werken ihren besonderen Reiz. Deswegen ganz Spoiler-frei: Auch das auf dem Roman basierende Spiel aus den Häusern Starward Industries (mit einigen Ex-"The Witcher"-Machern) und 11 bit studios geht es um einen fremden Planeten namens Regis III, auf dem wir nicht nur die Umgebung erkunden, sondern auch nach unseren mysteriös und spurlos verschwunden Crew-Mitgliedern suchen sollen. Das Game orientiert sich stark am Buch, aber nicht komplett. So finden sich bekannte Wendungen und Geschichten wieder, teils gibt es aber ganz neue Persönlichkeiten und Ereignisse.
Spieler übernehmen in "The Invincible" die Rolle der Astrobiologin Yasna, die mit ihrem Team auf Regis III landet. Was als Erkundungsmission begann, nimmt aber schnell eine unheimliche Wendung, denn plötzlich kann sich Yasna an nichts erinnern, ihre Kameraden sind wie vom Erdboden verschluckt und auch zahlreiche technische Gerätschaften streiken. Nur mit Müh und Not kann Yasna daraufhin mit einem Tagebuch nachvollziehen, dass die Crew ein Lager am Planeten aufschlagen wollte – von da an versucht man sich an einer verzweifelten Spurensuche, wobei das Tagebuch ein Kernelement des Gameplays ist und als Nachschlagewerk sowie Hinweisgeber dient. Der Roman wie das Spiel überzeugen aber nicht nur erzählerisch und ersteres mit einem visionären Konzept, über das man staunt.
Bildgewaltige Umsetzung für den Science-Fiction-Roman
Autor Lem schaffte es wie kaum ein anderer, über zu damaligen Zeiten unvorstellbare Technologien und Ereignisse zu schreiben – und beim Leser gleichzeitig das Erzählte in fantastischen Bildern vor dem geistigen Auge erscheinen zu lassen. Riesige Fußstapfen also für die Game-Entwickler, die diese Science-Fiction-Story nun in bildgewaltige Szenen pressen mussten, um dem Werk gerecht zu werden. Die gute Nachricht: Das ist eindrucksvoll gelungen! "The Invincible" spielt sich atemberaubend schön, fast schon in einer ganz eigenen Grafik-Liga, denn der Mix ist so einzigartig wie spannend. Gestochen scharf darf man die Planetenoberfläche, die oft an eine rote und mit Schluchten durchzogene Wüste erinnert, bestaunen, während die Gerätschaften mit großen Tasten und Anzeigen einen "Star Trek"-Retro-Look bieten.
Scanner, Sonden, Fahrzeuge und Maschinen wirken wie aus der Zeit gefallen und erinnern teils stark an alte Tiefsee-Tauchglocken oder Geigerzähler. Das zeigt sich nicht nur spielerisch, sondern auch beim Gameplay interessant, denn statt einfach einen Knopf zu drücken oder über ein Display zu wischen muss man hier wortwörtlich zupacken und Schalter per Hand umlegen, Maschinen per Hand reparieren und Fahrzeuge ebenso per Hand bedienen. Dass aber alles altbacken beim Design ist, heißt nicht, dass es nicht hochmodern umgesetzt wurde. So beeindrucken die Effekte gewaltig – Licht spiegelt sich in Scheiben und Blech, Kratzer zeigen sich auf Instrumenten und Fahrzeugen und an unserem Raumanzug, an dem wir aus der Ich-Perspektive sogar herunterblicken darf, ist jede Schraube und jedes Ventil zu sehen.
Das Spiel lebt von seinen Bildern und seiner Handlung
Dass Spieler alle Handgriffe auch noch selbst vornehmen müssen, klingt nervig, spielt sich aber grandios. Nie hat man sich so sehr ins All und auf einen fremden Planeten versetzt gefühlt, als wenn man das Messgerät manuell justiert, Schalter umlegt, Türen per Hand öffnet oder einfach nur sieht, wie das Sichtglas des Helms beschlägt, wenn man sich anstrengt. Und das ist es letztlich auch, was die Spieler in "The Invincible" erwartet: Man sucht die Umgebung ab, interagiert mit bekannten und fremdartigen Objekten und versucht, den vermissten Crew-Mitgliedern auf die Spur zu kommen. Viel Platz für spielerische Action bleibt da nicht. Man darf zwar kurz sprinten, Instrumente und Geräte aufstellen und mit Fahrzeugen herum manövrieren, das Spiel lebt aber vielmehr von seinen Bildern und seiner Handlung, als vom Gameplay.
Und in Sachen Handlung trumpft auch das Spiel groß auf, denn aus der Such- und Rettungsmission wird schnell ein Kampf ums Überleben, der allerdings zuvor noch einige unerwartete Wendungen nimmt, die absolut Hollywood-reif ausgedacht und umgesetzt wurden. So groß die Fragen im Spiel aber auch so, sind umfassend werden sie auch beantwortet – Spieler können gleich mehrere Enden freischalten und bleiben bei der Frage, was eigentlich passiert ist, nicht im Regen stehen. So anspruchsvoll die Thematik und Handlung ist, so simpel ist wiederum die Steuerung ausgefallen. Unsere Protagonisten wird mit dem Stick (auf Konsole) oder Tasten in alle Richtungen fortbewegt, nutzbare Objekte lassen sich ebenfalls mit den verknüpften Buttons aktivieren und zwischendrin darf man auch einen Kollegen im Weltall anfunken.
Knallharte Entscheidungen zerren an den Spieler-Nerven
Doch auch wenn der spielerische Freiraum sehr begrenzt ist, kann "The Invincible" zwei Dinge besonders gut: Einerseits unterhält es hervorragend mit der dichten Atmosphäre und den fantastischen Dialogen, andererseits gibt es uns in Schlüsselmomenten die volle Kontrolle und verlangt uns knallharte Entscheidungen über Leben und Tod unserer Kameraden ab. Diese Entscheidungen schalten schlussendlich auch die verschiedenen Enden des Titels frei – sie können von scheinbar kleinen Dingen wie der Verweigerung des Befehls eines Vorgesetzten bis hin zu dramatischen Situationen reichen, in denen wir vor die Frage gestellt werden, ob wir bereits sind, das Leben eines Crew-Mitglieds zu opfern, um unserem drohenden Tod zu entkommen. Je nach Entscheidung durchleben die Charaktere einen Wandel.
Verweigern wir Befehle, wird unsere Protagonistin forscher, erkundet die großen (aber begrenzten Gebiete) auf eigene Faust und stellt auch mal in emotionalen Momenten die gesamte Mission des Spiels infrage. Tun wir dagegen jederzeit, wie uns von höherer Stelle befohlen wird, wird auch Yasna skrupelloser den Entscheidungen gegenüberstehen, die Einzelnen ihrem Schicksal überlassen, um die Mission nicht zu gefährden. Diese Entwicklung ist aber nicht nur bei unserer Protagonistin zu beobachten, denn unsere Entscheidungen haben auch Auswirkungen auf den Gemütszustand und die Beziehung mit den anderen, wenigen Figuren. Schade für alle Spieler, die des Englischen nicht so mächtig sind: Die hervorragende Sprachausgabe gibt es nicht auf Deutsch, man muss sich dann mit den Untertiteln begnügen.
"The Invincible" ist als Game so schön wie das Kultbuch
Die von den Entwicklern "Atompunk" getaufte Atmosphäre macht "The Invincible" zu einem unglaublichen Abenteuer. Wichtig war es den Machern dabei, "realistische Interaktionen mit analogen Technologien in einer futuristischen Retro-Geschichte" umzusetzen – ein Vorhaben, das grandios gelungen ist. In der Ego-Perspektive erkundet man den Planeten und bleibt dabei spielerisch sehr begrenzt, denn Sprünge und Attacken sind nicht möglich. Dennoch aber zieht das Game die Spieler sofort in seinen Bann, denn kaum ein Titel ist so spannend erzählt und (für Science-Fiction-Verhältnisse) so realistisch umgesetzt. Nicht nur Fans des Science-Fiction-Legende Stanisław Lem bekommen mit "The Invincible" einen echten Gaming-Leckerbissen, auch Neulinge erhalten eines der besten Weltall-Spiele aller Zeiten serviert.