Viele Länder dafür
Tauziehen um Neuwahlen – die geheimen Pläne der ÖVP
Die ÖVP ist offiziell bemüht, die ausgebrochene Debatte um vorgezogene Neuwahlen zu beenden. Doch so ganz will ihr das nicht gelingen.
Die türkise Regierungsriege befindet sich derzeit in Klausur im Hotel Steigenberger in Krems (NÖ). Dort sollen die Inhalte des "Österreichplans von Bundeskanzler Karl Nehammer sowie die Regierungsarbeit bis zum Herbst" besprochen werden, wie es offiziell von der Partei hieß.
Mehr als 500 Kilometer entfernt in Bregenz sieht man dieses "bis zum Herbst" offenbar nicht so in Stein gemeißelt. Der Vorarlberger Landeshauptmann und ÖVP-Chef Markus Wallner kann sich vorgezogene Nationalratswahlen nämlich durchaus vorstellen: "Natürlich werden alle möglichen Szenarien in einem Wahljahr durchdiskutiert und da ist noch nichts entschieden. Aber eine Diskussion darüber zu führen – das ist schon sinnvoll, das sollen die Parteien auf Bundesebene tun und sich dann auch rechtzeitig entscheiden." Wichtig sei ihm, dass die Regierung Stabilität vermittle und alles nutzt, um bis zu einem Wahltermin zu arbeiten.
„Eine Diskussion über Neuwahlen zu führen, ist schon sinnvoll.“
Landeschef gegen Super-Wahlsonntag im Juni
Wallner ist allerdings gegen die Zusammenlegung von Nationalrats- und EU-Wahl am 9. Juni, wie das manche in der Partei offenbar auch überlegen. Deren Kalkül: Die Wähler könnten ihren Zorn auf die Regierung am Stimmzettel für die EU-Wahl deponieren und bei der Nationalratswahl milder gestimmt sein. Dieses Argument lässt der Ländle-Chef nicht gelten: "Gemeinsame Wahltage kommen nicht in Frage. Ein guter Respektabstand zwischen diesen beiden Wahlgängen ist etwas, das mir ein Anliegen ist. Da müssen schon ein paar Wochen dazwischen liegen, weil die Vermischung von allem, das geht in unserem Bundesland nicht." Ein eigenständiger Wahltag sei strategisch, aber auch für die Bevölkerung wichtig.
Angst vor Schlappe bei EU-Wahl
Mit seiner Meinung ist Wallner im Westen nicht alleine. Auch in Tirol gibt es Stimmen, die eine Vorverlegung der Wahl ins Frühjahr fordern. Die dritte Landespartei, die die Westachse komplett macht, ist Salzburg. Dort fürchtet man – wie in vielen anderen Ländern auch –, dass es bei der EU-Wahl eine veritable Wählerohrfeige für die Volkspartei setzt. Diese Befürchtung dürfte auch durch die Nominierung von Reinhold Lopatka als ÖVP-Spitzenkandidat nicht kleiner geworden sein. Nach einer solchen Schlappe hätte man dann über den ganzen Sommer eine mediale Debatte über die Eignung von Karl Nehammer als Spitzenkandidat. Dazu kommt, dass dieser sich noch nie einer Wahl gestellt hat.
Dass die ÖVP aus Rücksicht auf Steiermarks Landeshauptmann Christopher Drexler auf eine Vorverlegung verzichtet, halten mehrere Insider für eher unwahrscheinlich. Der Hintergrund: Die Steiermark wählt im Spätherbst. Drexler will in diese Wahl nicht mit einer neuen Bundesregierung – wie immer diese aussieht – ziehen. Drexler soll übrigens der einzige türkise Landeschef gewesen sein, der sich Sonntagabend beim Treffen im Kanzleramt dezidiert gegen eine vorgezogene Wahl ausgesprochen hat. Die parteiintern mächtige niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat offenbar dem Kanzler den Termin für die Wahl freigestellt. Sie werde jede Entscheidung loyal mittragen, heißt es.
Kanzlerrede am 26. Jänner als Anfang vom Ende?
Zumindest eine Vorentscheidung über eine Vorverlegung könnte am 26. Jänner fallen. Da hält Kanzler Karl Nehammer in Wels (OÖ) seine programmatische Kanzlerrede. Viele in der Partei sehen darin so etwas wie den indirekten Wahlkampf-Auftakt. Sie bezweifeln, dass danach Tempo und Dynamik bis in den Herbst zu einem regulären Wahltermin aufrechterhalten werden kann. Auch sie präferieren daher ganz klar einen früheren Wahltermin.
Diskussionen in der ÖVP über SPÖ-Chef Babler
Immer wieder ist in der Partei auch zu hören, dass man mit einem Vorziehen die SPÖ und ihren immer noch relativ neuen Parteichef Andreas Babler auf dem falschen Fuß erwischen könnte. Dem halten andere im Gespräch mit "Heute" – und mit Verweis auf dessen jüngstes ZiB2-Interview – entgegen, dass man Babler noch möglichst viele derartige Auftritte absolvieren lassen sollte. Denn diese würden ihm mehr schaden als nützen.
Grüne wollen durchdienen
Und was sagt der grüne Koalitionspartner? Von dem heißt es, man wolle konstruktiv bis zum regulären Ende der Legislaturperiode weiterarbeiten, immerhin gebe es noch einiges zu erledigen – Stichwort Klimaschutzgesetz. Ob die ÖVP bei ihrer Entscheidung darauf Rücksicht nimmt, ist allerdings fraglich. Dass es tatsächlich, wie immer wieder kolportiert, einen "Neuwahl-Deal" zwischen den Koalitionsparteien gibt, laut dem Neuwahlen nur in Abstimmung mit dem Koalitionspartner ausgerufen werden dürfen, wird in den Parteien nicht offiziell bestätigt. Die ÖVP müsste sich allerdings wohl einen guten Grund einfallen lassen, warum sie die Regierung vorzeitig sprengt. Nur taktische Überlegungen kommen bei den Wählern erfahrungsgemäß nicht gut an – frag nach bei Wilhelm Molterer und seinem Slogan "Es reicht".
Fakt ist jedenfalls: Grundsätzlich ist für einen Neuwahlbeschluss zunächst eine Mehrheit im Plenum des Nationalrats nötig, die eine vorzeitige Auflösung des Parlaments beschließt. Theoretisch könnte der Nationalrat auch durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag der Regierung aufgelöst werden, was in der Zweiten Republik jedoch noch nie vorgekommen ist. Angesichts der Regierungsbeteiligung der Grünen ist es auch mehr als zweifelhaft, ob Alexander Van der Bellen diesem Vorschlag nachkommen würde.
Fristenläufe und Laufen um Unterschriften
Nach dem Neuwahlbeschluss muss die Wahl von der Bundesregierung durch Verordnung im Bundesgesetzblatt ausgeschrieben werden. Diese muss den Wahltag enthalten, der von der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates festgelegt wird. Zudem muss die Verordnung den Stichtag enthalten, der am zweiundachtzigsten Tag vor dem Wahltag liegen muss. Von ihm aus beginnen diverse Fristen zu laufen, also etwa jene zur Bestellung der Sprengelwahlleiter, der Beisitzer und zur Konstituierung der Wahlbehörden. Aber auch diverse Voraussetzungen des Wahlrechts, der Wählbarkeit oder auch das Sammeln der Unterstützungserklärungen der kleineren Parteien bestimmen sich von ihm aus.
Vom Neuwahlbeschluss bis zur Wahl dauert es also rund drei Monate. Wollte man also am letzten Mai-Wochenende (Sonntag, 26.5.) wählen, dann würde der Stichtag auf den 5. März fallen. Für einen Urnengang am ersten Mai-Wochenende (Sonntag, 5. Mai) fiele der Stichtag auf den 13. Februar. Will man gleichzeitig mit der EU-Wahl auch den Nationalrat wählen, läge der Stichtag am 19. März.
Eine Zusammenlegung von Nationalratswahl und EU-Wahl wäre zwar rechtlich möglich, ein derartiger Superwahlsonntag würde aber Experten zufolge administrativ eine gewaltige Herausforderung darstellen. Für die beiden bundesweiten Wahlen gebe es unterschiedliche Gruppen von Wahlberechtigten und Fristenläufe.