Europa ist blockiert
"System hat Löcher": Darum bricht Asylwesen zusammen
Seit Merkels Aussage 2015 - "Wir schaffen das!" - hat sich Europas Haltung zur Migration verändert. Jetzt gilt eher: Wir schaffen das nicht mehr.
"Wir schaffen das!", sagte Angela Merkel Ende August 2015 in Bezug auf die steigende Zahl von Geflüchteten, die damals nach Europa kamen. Viel hat sich seither in Europa geändert. Bei den Europawahlen waren die Rechtspopulisten mit ihrem Wunsch nach härteren Asylregeln die klaren Gewinner. Viele Europäerinnen und Europäer scheinen mittlerweile eher zu denken: "Wir sind geschafft!"
Auch liberale Staaten ändern Kurs
Mittlerweile sind laut Sarah Progin, Professorin für Migrationsrecht an der Universität Neuenburg, viele Mitgliedsstaaten nicht mehr bereit, die herrschenden Asylregeln mitzutragen. Ungarn macht es Geflüchteten fast unmöglich, überhaupt einen Asylantrag zu stellen, und wurde erst kürzlich vom Europäischen Gerichtshof wegen rechtswidriger Inhaftierung von Migranten in Transitlagern verurteilt. Aber: Die Zahl der Asylgesuche ist dadurch drastisch gesunken.
Auch die restlichen Visegrád-Staaten Polen, Tschechien und die Slowakei fallen immer wieder durch ihre Haltung gegenüber der Migration auf. Zudem haben auch Schweden und Dänemark in den letzten Jahren einen Kurswechsel vollzogen und ihre Einwanderungspolitik massiv verschärft – und damit ihre Asylantragszahlen enorm reduziert.
"Dann kann Asyl-Shopping betrieben werden"
Noch immer gilt in Europa die Dublin-Verordnung: Das Land, in das man als erstes illegal über eine EU-Außengrenze einreist, ist in der Regel zuständig, wenn später ein Antrag auf Asyl gestellt wird. Jedes Land prüft, ob es überhaupt für das Asylverfahren zuständig ist. Das anhand einer Fingerabdruck-Datenbank. Glück hat, wer nie Fingerabdrücke geben musste: "Dann kann Asyl-Shopping betrieben werden, das heißt, man kann das Land wählen, das einem persönlich am attraktivsten erscheint", sagt Progin.
Ansonsten gilt: zurück ins Einreiseland. Außer nach Griechenland. Aufgrund der prekären Lage für Geflüchtete werden kaum Dublin-Überstellungen vorgenommen, zumindest in der Schweiz. Auch mit Italien sei es momentan schwierig. "Die Meloni-Regierung weigert sich, Menschen zurückzunehmen, weil Italien als Staat an der EU-Außengrenze sehr viele Asylanträge bearbeiten muss." Tun könne die Schweiz dagegen wenig. "Nur EU-Mitgliedsstaaten oder die EU-Kommission können ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten."
In der Asylpolitik gibt es viele Schlupflöcher
Ebenfalls könnten keine Minderjährigen zurück ins Einreiseland geschickt werden. Und wenn eine Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt wird, geht die Zuständigkeit an das Land über, wo sich die Person gerade befindet. Laut Progin wird aus all diesen Gründen nur etwa ein Drittel der Geflüchteten ins Einreiseland überstellt. "Man kann dem Dublin-System rechtlich sehr gut entkommen."
Die Probleme seien längst bekannt, doch Verbesserungen scheiterten daran, dass sich immer wieder Staaten quer stellten. "Es bräuchte einen Verteilschlüssel. Man könnte auch über ein bedingtes Recht auf Personenfreizügigkeit nach einigen Jahren nachdenken, wenn die Migrantinnen und Migranten einen Job in einem anderen Land finden", sagt Progin. Staaten wie Ungarn, die Slowakei und Tschechien seien nicht an Kompromissen interessiert und hätten sich bis zuletzt vehement gegen eine Reform des Asylsystems und feste Aufnahmequoten gewehrt.
Argumentiert wird immer wieder mit Kriminalitätszahlen, zu wenig Wohnraum und dem Verlust der eigenen Kultur. Stimmt das? Im fünften Teil unserer Migrationsserie gehen wir dem anhand von Beispielen für gelungene und gescheiterte Integration auf den Grund.