Szene
Ein Hexentanz aus Blut, Terror und Besessenheit
In einer Tanzschule im West-Berlin des Jahres 1977 geht Seltsames vor. Eine Schülerin verschwindet, eine andere kommt neu hinzu und stolpert bald in eine schauerliche Hexen-Verschwörung.
An einer Tanzschule im West-Berlin des Jahres 1977 – dem Höhepunkt des Terrors durch die Rote Armee Fraktion (RAF) – verschwindet eine Schülerin (Chloe Grace Moretz). Zuvor erzählt sie ihrem Psychotherapeuten, Doktor Klemperer, von einer Verschwörung dunkler Mächte in deren Zentrum ein Hexenzirkel an ihrer Schule steht.
Tags darauf kommt die junge US-Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) an, um sich an der selben Schule zu bewerben. Ihr erstaunliches Talent bringt ihr die Aufmerksamkeit der Chef-Choreographin Madam Blanc (Tilda Swinton).
Zusammen mit ihrer Mitschülerin Sara (Mia Goth) beginnt Susie, die geheimnisvollen Vorgänge an ihrer Tanzschule zu ergründen. Auch Doktor Klemperer beginnt Nachforschungen. Auf die schreckliche Offenbarung ist jedoch keiner der drei gefasst.
Ein Remake im besten Sinn
Luca Guadagnino widmete sich nach dem oscarprämierten "Call Me By Your Name" einem lang gehegten Herzensprojekt: einem Remake des Horror-Klassikers "Suspiria" von Dario Argento. Er behält dabei das grundlegende Szenario bei, ändert aber von der Ästhetik bis zum Kontext vieles, um etwas Neues zu schaffen.
Wo Argento auf grelle Farben, schrillen Soundtrack und eine rundum surreale Albtraum-Atmosphäre setzt, bleibt Guadagnino bewusst dunkel, nüchtern und subtil. Das Remake benutzt Tanz und Choreografie dafür als zentrales Element der Handlung und des Horrors – perfekt untermalt von Radiohead-Frontmann Thom Yorke. Guadagnino erweitert das Szenario zudem um eine Art indirekte psychoanalytische Interpretation des Original-Films.
Hexenzirkel als Terrorzelle
"Glauben Sie etwa, dass es so etwas wie Hexen gibt?", fragt ein Polizist den Psychotherapeuten in einer Szene. Dieser antwortet: "Nein, aber dass Menschen sich verschwören, um Verbrechen zu begehen, das gibt es." Es ist die direkteste Parallele, die im Film zwischen dem Hexenzirkel und den linksextremen Terrorzellen der Zeit gezogen wird.
Derartige psychologische und historische Deutungen bleiben allerdings nur indirekt. Wer sich nicht dafür interessiert, muss sich nicht damit auseinandersetzen, die Handlung und die unheimliche Atmosphäre sind fesselnd genug. Wenn der Horror dann zum Ausbruch kommt, ist er ebenso drastisch wie kreativ. So mancher wird sich nach der ersten Schockerszene wohl eine Weile nicht mehr zu tanzen trauen.
Susies erstes Vortanzen. (Youtube/Amazon Studios)
Fantastische Schauspielerinnen
Großen Anteil an der Spannung trägt die Riege der fantastischen Schauspielerinnen – allen voran Tilda Swinton, die mit den gleich drei (!) Rollen, die sie parallel und zum Teil unkenntlich spielt, Dreh- und Angelpunkt des Films ist. Aber auch die jungen Hauptdarstellerinnen können mithalten – allen voran die wunderbar traumwandlerische Dakota Johnson und die charismatische Mia Goth.
Auch die Nebenrollen sind perfekt besetzt. Die Darstellerinnen des Hexenzirkels schaffen es wunderbar, eine fesselnde Balance aus etwas schrulligen älteren Damen, strengen Lehrerinnen und bedrohlichen Hexen zu spielen. Ein Gastauftritt von Jessica Harker, der Hauptdarstellerin aus dem Original-"Suspiria", lässt Fan-Herzen höher schlagen.
Etwas schwaches Ende, aber geniales Gesamtkunstwerk
Einziges Manko von "Suspiria" ist unter Umständen das Ende, an dem sich potentiell die Geister scheiden werden. Die Handlung schafft es nicht ganz, einige der parallelen Erzählstränge zufriedenstellend zusammenzuführen. Das lässt den Film rückblickend etwas unfokussiert wirken.
Trotzdem bleibt "Suspiria" ein fantastisches Remake. Guadagnino schafft, wie Swinton es ausdrückt, "eine Cover-Version, die trotz des selben Textes komplett anders klingt". Und es ist eine sehr gute Cover-Version, die mit dem Original in Sachen Spannung, Horror und Grusellocker mithalten kann und bei der Leistung der Schauspielerinnen sogar deutlich darüber hinauswächst.
"Suspiria" läuft auf der diesjährigen Viennale (1. und 5. November) und startet am 15. November in den Kinos.