Ukraine

Stockende Gegenoffensive – was macht Ukraine falsch?

Seit fast zwei Monaten versucht die angegriffene Ukraine, den Aggressor aus ihrem Land zu drängen. Hier findet ihr einen Überblick zur Gegenoffensive.

Die ukrainische Gegenoffensive verläuft nicht nach Plan.
Die ukrainische Gegenoffensive verläuft nicht nach Plan.
IMAGO/Ukrinform

Gerade wurde die Kertsch-Brücke erneut durch Explosionen beschädigt. Wegen mysteriöser Brände auf einem Militärgelände kommt es zu Evakuierungen von Tausenden Russen auf der 2014 von Moskau widerrechtlich annektierten Krim. Dazu gibt es immer wieder Angriffe auf strategisch wichtige Ziele weit hinter den russischen Linien – seit fast zwei Monaten läuft die ukrainische Gegenoffensive. Doch wie erfolgreich ist sie wirklich?

Wo steht die Gegenoffensive?

Seit letztem Monat hat Kiew einige Dörfer im Süden und Gebiete um die zerstörte Stadt Bachmut im Osten zurückerobert. Noch ist es an keinem Frontabschnitt zu größeren Durchbrüchen der stark verteidigten russischen Linien gekommen. Kiew zufolge sollen Verluste an den mit Landminen übersäten Verteidigungslinien klein gehalten werden. Man rücke deswegen bewusst langsam vor und konzentriere sich darauf, Russlands Logistik- und Kommandozentren zu schwächen.

Moskau dagegen behauptet: Die ukrainische Gegenoffensive ist gescheitert. Russland selbst fokussiert sich zwar hauptsächlich auf das Verteidigen der eingenommenen ukrainischen Gebiete, geht im Nordosten aber auch offensiv vor. So teilte das russische Verteidigungsministerium mit, dass man in der Nähe von Kupiansk zwei Kilometer vorgedrungen sei. Den Eisenbahnknotenpunkt an der Front hatte die Ukraine letztes Jahr zurückerobert. Kiew bestätigte eine "komplizierte" Situation in dem Gebiet.

Hat Moskau recht und die Ukraine ist gescheitert?

Nein. Es ist viel zu früh, von einem Scheitern der Offensive zu sprechen. Niemand weiß, was das ukrainische Militär noch in der Hinterhand hat. So werden einige gelieferte Waffensysteme erst gerade eingesetzt. Russland hat außerdem monatelang Verteidigungsstellungen ausgehoben, sie mit Landminen gespickt und schwere Befestigungen gebaut. Keine Bodentruppen der Welt könnten unter diesen Bedingungen entscheidende Schneisen schlagen und schnell vorrücken. Und dies ist bislang ein Krieg, der hauptsächlich von Infanterietruppen auf Zug- und Kompanie-Ebene geführt wird. Das taktische Ziel der Ukraine ist es, vom momentanen Abnutzungskrieg in einen Bewegungskrieg übergehen zu können. Doch dabei gibt es ein grundsätzliches Problem, das nicht auf den Mangel von westlichen Waffenlieferungen zurückzuführen ist.

Machen die Ukrainer alles richtig?

Nein. So sagt der österreichische Militäranalyst Franz-Stefan Gady, sinngemäß: Das fundamentale Problem der Ukraine ist nicht der oft beklagte Mangel an westlichen Waffensystemen, sondern dass diese nicht ausreichend integriert und im Verbund eingesetzt werden. Statt synchronisierter Aktionen sieht man lediglich serielle – und das Nach- statt Miteinander von verschiedenen Einheiten verschafft Russland Vorteile. Setze man etwa Artillerie ein, aber die Infanterie greife erst 30 Minuten später an, hätten die Russen Zeit, ihre Kampfhelikopter zu schicken, die ihre Raketen aus sicherer Entfernung abschießen könnten. Selbst wenn das Zusammenspiel der Ukrainer "nicht so gut funktioniert" – Gady unterstreicht gleichzeitig, dass "die Ukraine derzeit etwas versucht, wozu keine einzige europäische Streitmacht derzeit in der Lage ist".

Soll der Westen also keine Waffensysteme mehr liefern?

Nein, das wäre der falsche Schluss. Die Ukraine muss zweifellos dazulernen – was in einem schon laufenden Krieg unglaublich schwierig ist. So brauchen die ukrainischen Streitkräfte weiterhin Ausbildung in kombinierten Waffentechniken, sie brauchen auch langfristig Flugabwehrsysteme, Panzer und Munition. Genauso wenig wie es Halbschwangere gibt, kann man auch einen Verteidigungskrieg nicht nur halb gewinnen.

Schwächeln die Russen irgendwo?

Es gibt keinerlei Anzeichen für eine Schwächung an der russischen Front. Dies, obgleich es um die Moral der russischen Truppen von Anbeginn des Krieges schlecht bestellt ist, wie es russische Kriegsgefangene deckungsgleich schildern. Die schlechte Moral unter den Einheiten aber hat die militärische Performance nicht beeinflusst. Die Bevölkerung steht, zumindest offiziell, hinter ihrem Präsidenten Wladimir Putin und seiner "Spezialoperation" gegen das Nachbarland.

Wie steht es um die Moral der Ukrainer?

Nach wie vor besser als bei den russischen Truppen. Und dies, obgleich es wenig Rotationen gibt und manche Soldaten Monate am Stück in der ersten, zweiten und dritten Frontlinie ausharren. Sie verteidigen ja auch ihr Mutterland. Unter der Zivilbevölkerung ist der Durchhaltewille stabil. Der Wunsch nach Frieden ist zwar weitverbreitet und groß, aber nicht nach russischem Diktat und nach all den Opfern, welche die Ukraine wegen des russischen Angriffs bringen musste.

Ist ein Ende der ukrainischen Gegenoffensive absehbar?

Nein. Beobachter und Analysten rechnen damit, dass die ukrainische Gegenoffensive bis in den Herbst fortgeführt werden wird, wahrscheinlich sogar bis in den Winter. Bis dahin kann noch einiges passieren. So wird nun auch die Ukraine neben anderen Waffen auch die soeben gelieferte Streumunition einsetzen. Russland verwendet die umstrittene Munition, seit es die Ukraine angegriffen hat: Bislang wurden 700 russische Einsätze mit Streumunition gezählt.

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