Jetzt spricht Heeres-General
Spionage und Sabotage – Sind wir bereits im Krieg?
Russland greift in seinem hybriden Krieg gegen die Ukraine auch ihre Unterstützer an. Generalmajor iR Herbert Bauer analysiert die prekäre Situation.
Für Wladimir Putin ist der nun seit Februar 2022 andauernde völkerrechtswidrige Krieg immer noch eine "militärische Spezialoperation", selbst die zehntausenden Gefallenen alleine in den eigenen Reihen haben dieses Propaganda-Narrativ des Kreml bisher nicht ins Wanken bringen können. Laut der laufenden Zählung von öffentlichen Nachrufen und Todesanzeigen durch BBC Russian und Mediazona sind – Stand 21. Juni 2024 – mindestens 56.858 Russen auf den Schlachtfeldern getötet worden.
Während sich die Ukraine mit westlicher Hilfe weiterhin erbittert gegen die Invasionsarmee und eine drohende Besatzung wehrt, mehren sich aber verdächtige Zwischenfälle und Vorkommnisse in den Unterstützerstaaten in der EU und auch in den USA. Zuletzt war im Westen auch immer öfter eine prekäre Aussage zu hören: "Wir sind bereits im Krieg".
Doch ist das so? Und was steckt hinter dieser scharfen Ansage? Diesen Fragen widmete sich der frühere Militärkommandant von Tirol und hochdekorierte Generalmajor in Ruhe Herbert Bauer nun in seinem Podcast "Stets bereit":
Der Experte für Militär- und Sicherheitspolitik sieht gleich mehrere Intentionen bei denjenigen, die diese Aussage tätigten: Zum einen gehe es einigen Akteuren im Westen schon auch darum, mit "Sensationsgier, Aufmerksamkeitshascherei und Skandalisierung", daraus Kapital zu schlagen. Doch auch Russland wolle diese Botschaft in Herz und Hirn der eigenen, aber auch der europäischen Bevölkerung manifestieren, "um damit die Politik, die Meinung und das Verhalten des Einzelnen zu manipulieren".
Europa im Visier hybrider Kriegsführung
Das alles sei Teil der hybriden Kriegsführung, die nicht erst seit dem Einmarsch im Februar 2022 in vollem Gange ist. Darunter verstehen Militärs das "Zusammenwirkung regulärer und irregulärer Strategien, im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich unter Einbeziehung medialer, geheimdienstlicher und cybertechnischer Mittel."
Heißt: Der Ukraine-Krieg wird nicht nur auf den Schlachtfeldern des osteuropäischen Landes ausgetragen, sondern auch im digitalen Raum durch Cyberangriffe und Desinformationskampagnen mitten in Europa. Dazu gehören Spionage, Sabotage und Terror in der Ukraine selbst, aber auch bei ihren Unterstützern zum Repertoire dieser neuen Art Krieg.
„Die Verbreitung von Verschwörungstheorien ist besonders beliebt; insbesondere um die westliche Unterstützung für die Ukraine zu deskreditieren“
Bereits 2013 hatte der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow diese Art der hybriden Kriegsführung öffentlich als bedeutsam und "oft sogar wirksamer als reine militärische Gewalt" beschrieben. Der Gegner wird dabei auf vielen Ebenen angegriffen, um ihn zu destabilisieren.
"Die Verbreitung von Verschwörungstheorien ist besonders beliebt; insbesondere um die westliche Unterstützung für die Ukraine zu diskreditieren", so der Heeres-General weiter.
Behauptungen wie, dass die USA in der Ukraine Biowaffenlabore betreiben würden oder Präsident Wolodimir Selenski sich mit westlichen Hilfsgeldern Luxus-Yachten gekauft hätte, gehören dabei alle in das Reich der Propaganda-Märchen. Sie wurden allesamt als falsch entlarvt.
Russlands psychologische Operationen
"Experten gehen auch davon aus, dass Russland psychologische Operationen durchführt, um Defätismus in Europa zu fördern und die moralische Unterstützung der Öffentlichkeit für die Ukraine zu untergraben."
Der Kreml kann da auf einen ganzen Werkzeugkasten zurückgreifen. Einerseits werden russische Auslandsmedien wie RT (früher "Russia Today") oder Sputnik, die von Konsumenten oftmals nicht als staatskontrollierte Propaganda-Organe erkannt würden, als Sprachrohre bedient. Solidarische Gruppen und "naive pazifistische Utopisten" würden diese Botschaften dann weiterverbreiten und so verstärken. "Darin liegt die illegitime und enorme Wirkung des Vorgehens".
„Solche Taktiken gehören zu einer breiten Strategie durch Manipulation und Desinformation, Verwirrung und Zwietracht zu stiften“
Russland hilft dabei andererseits in den sozialen Medien kräftig nach. Zum Jahreswechsel flog etwa ein gigantisches Bot-Netzwerk auf X auf, das mit rund 50.000 Fake-Accounts und etwa einer Million deutschsprachiger Beiträge die öffentliche Stimmung in Deutschland manipulierte. In den Botschaften vorgeblich besorgter Bürger wurde die deutsche Regierung um Olaf Scholz (SPÖ) für ihre Ukraine-Unterstützung scharf kritisiert. Aber nicht nur das, auch die Migration wurde als Streitthema von den Russen-Bots bespielt.
"Solche Taktiken gehören zu einer breiten Strategie durch Manipulation und Desinformation, Verwirrung und Zwietracht zu stiften", stellt der frühere Landes-Militärkommandant klar. Ein weiteres Beispiel, das die Macht und Bedrohung, die davon ausgeht, verdeutlicht, ist das angebliche Versprechen der NATO, keine Osterweiterung durchzuführen.
Putins NATO-Ost-Lüge
Diese Erzählung wird sogar von höchster Stelle, Wladimir Putin, bemüht. Es geht dabei um ein angebliches Versprechen im Rahmen der Verhandlung über die Wiedervereinigung Deutschlands 1990, dass sich die NATO "keinen Zoll" nach Osten ausdehnen würde.
Fakt ist aber: Eine NATO-Osterweiterung war damals niemals Gegenstand formeller Verhandlungen, auch im offiziellen Vertragswerk ist diese nicht zu finden. Sämtliche Aussagen seien außerdem nur auf die gegenständliche Wiedervereinigung Deutschlands bezogen gewesen.
Selbst der damalige Präsident der Sowjetunion und mittlerweile verstorbene Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow bezeichnete diese Erzählung Jahre später in Interviews als Mythos. Damals – vor dem Zerfall der Sowjetunion – hätte es auch gar keine freien Staaten in Osteuropa gegeben, die sich der NATO hätten anschließen können. Der Warschauer Pakt existierte ja noch.
BILDSTRECKE: Michail Gorbatschow
Herbert Bauer hebt dazu noch hervor, dass die diplomatischen Entwicklungen damals ja nicht stehen geblieben waren. Mit dem heutigen Russland hatte sich die NATO 1997 in einer Grundakte auf die Anerkennung bestehender Grenzen, die friedlichen Beilegung von Grenzstreitigkeiten sowie das grundsätzliche Recht aller Staaten, Bündnisse frei wählen zu dürfen, verständigt. "Das schließt das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen aller Staaten, also auch der Ukraine oder Moldawiens, ein."
Dass dieses Hintergrundwissen bei den Durchschnittsbürgern wohl nicht vorhanden ist, aber wohl jeder inzwischen einmal gehört hat, dass das "gebrochene Versprechen" der NATO bezüglich der Osterweiterung der "zwingende Kriegsgrund" für Russland gewesen sei, zeige auf, wie erfolgreich solche Desinformationskampagnen sein können.
Russische Geheim-Aktionen nehmen zu
Dazu hatte es in den letzten Monaten vermehrt russische Spionage- und Sabotage-Akte in ganz Europa gegeben. Die Vorfälle reichen von Brandanschlägen auf Militärlager mit mutmaßlichen Ukraine-Hilfen über politischen Mordversuche hin zu Hackerangriffen auf die europäischen Eisenbahnsignale und die Störung des GPS-Systems, was auch die zivile Luftfahrt trifft.
Die Satellitenkommunikationsnetzwerke, Stichwort Starlink, waren bereits ebenso im Visier. "Diese Angriffe zielten darauf ab, die Kommando- und Kontrollstrukturen der Ukraine zu stören, hatten aber auch Auswirkungen auf kritische Infrastruktur in den USA."
Österreich selbst hat im Frühjahr zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Diese hätten "Handlungen gesetzt, die mit ihrem diplomatischen Status unvereinbar sind". Das ist, wie Bauer erklärt, eine Formulierung, die in der Regel für Spionagevorwürfe verwendet wird.
"Grenzen zwischen Krieg und Frieden verschwimmen"
Oftmals ist die Zuordnung solcher Angriffe zu einem Ursprung schwierig bis unmöglich, schildert Bauer weiter: "Sie sind verschleiert und die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verschwimmen." Wichtig sei deshalb immer auch, sich die Frage zu stellen: Cui bono? Wer profitiert davon?
„Leute, die glauben, im tiefsten Frieden zu leben, registrieren nicht, dass es vielleicht doch eine Art Kriegszustand gibt.“
Sein Fazit: "Wertet man die militärische, finanzielle, und politische Unterstützung der Ukraine durch die westliche Welt als indirekte Kriegsführung gegen Russland, welches seinerseits von China, Nordkorea und dem Iran unterstützt wird, sieht man die Durchführung von Cyberangriffen, Sabotage und Desinformationskampagnen als Teil einer hybriden Kriegsführung, dann versteht man, warum es fallweise die sensationsheischende Schlagzeile gibt: 'Wir sind bereits im Krieg'."
"Diese Entwicklungen haben das Sicherheitsumfeld in Europa und darüber hinaus erheblich verändert. Ja, Leute, die glauben, im tiefsten Frieden zu leben, registrieren nicht, dass es vielleicht doch eine Art Kriegszustand gibt", so Bauer. Diese Veränderung könnten deshalb auch als anhaltender Zustand eines Konfliktes oder eines Krieges interpretiert werden.
Herbert Bauer (*2. Dezember 1955, Klagenfurt) war 15 Jahre lang Militärkommandant von Tirol. Am 31. April 2020 übergab er in einer kurzen Zeremonie (siehe Video unten) das Kommando Oberst Ingo Gstrein, verabschiedete sich in den Ruhestand. Zwei Monate nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine startete er seinen Podcast "Stets bereit" zu Fragen der Militär- und Sicherheitspolitik.