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Damit sind Menschen auf Tinder konfrontiert

Heute Redaktion
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Im Schutze der Anonymität werden viele Menschen in Dating-Apps aufs Übelste beschimpft oder mit sexuellen Nachrichten konfrontiert. Ein Instagram-Account outet diese Übergriffe.

"Lass uns einfach mal f*****"

"Lust aufn harten Schw***?"

"Du möchtegern arrogantes Stück Sch****"

Nachrichten wie diese landen jeden Tag auf den Smartphones von Frauen, Männern, Kindern und Jugendlichen. Und das nicht nur über Dating-Apps wie Tinder, sondern auch Willhaben, Ebay, Quizduell, Instagram oder Facebook. "Wo immer man Nachrichten empfangen kann, besteht die Gefahr, sexuell übergriffige Nachrichten zu erhalten", sagen die Wienerinnen Kim und Caro im Gespräch mit "Heute.at". Die beiden 22-Jährigen leben in Wien und betreiben den Instagram-Account "Antiflirting" (fast 10.000 Follower).

Dort posten sie seit August übergriffige, beleidigende und respektlose Chatverläufe, die von Followern per Direktnachricht eingereicht werden. Die Idee entstand aus dem Alltag, erzählt Caro: "Ich habe mit Freundinnen regelmäßig gegenseitig übergriffige Nachrichten ausgetauscht. Irgendwann fiel mir auf, dass sich eine große Menge an Screenshots angesammelt hatte." Aus dem Wunsch, für diese Art der Belästigung Aufmerksamkeit zu schaffen, war die Idee geboren. "Nicht einmal einen Tag nach der ersten Besprechung war die Seite online", ergänzt Kim.

Nichts gegen Flirten

Den Namen "Antiflirting" wollen die beiden jungen Frauen aber keinesfalls als Absage ans Flirten verstanden wissen. "Was diese Menschen betreiben, die übergriffige Nachrichten schicken, ist das Gegenteil von Flirten", so Caro. Laut ihrer Kollegin Kim werde dieses Verhalten oft bagatellisiert: "Wenn man sexuell belästigt wird, kommt oft der Kommentar, man solle sich doch über das Kompliment freuen. Doch genau das ist es nicht. Das wollen wir uns nicht mehr gefallen lassen."

Zum Start des Accounts veröffentlichten Kim und Caro Screenshots von Nachrichten, die sie selbst erhalten hatten. "Danach kamen die ersten Einsendungen aus dem Freundeskreis. Schneller als erwartet haben wir extrem viele Nachrichten bekommen", erinnert sich Caro. Kim: "Mittlerweile kommen wir gar nicht mehr hinterher. Wir haben eine dermaßen lange Warteschlange mit Postings, dass die Screenshots mit einem Monat Verzögerung veröffentlicht werden."

Neben "klassischer" sexueller Belästigung beinhalten die Nachrichten auch rassistische Kommentare, Bodyshaming und Gewaltandrohungen, die bis hin zu Mordfantasien gehen. Und es zeigt sich: Viele Menschen können mit Zurückweisung nicht umgehen, schildert Caro: "Wenn eine Person höflich sagt, dass sie kein Interesse hat, kann es vorkommen, dass die andere Person mit üblen Drohungen und Beschimpfungen reagiert."

Anonymität

Kim erklärt sich das vor allem mit der Anonymität im Netz: "Man steht nicht der anderen Person gegenüber und kann auch die Reaktion nicht sehen. Das baut Hemmungen ab." Caro: "Dieses Verhalten hat auch keine Konsequenzen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass man gemeldet und das Profil gelöscht wird. Dann erstellt man eben ein Neues."

Jeden Tag trudeln mittlerweile etwa 50 Nachrichten ein – darunter nicht nur Screenshots, sondern auch Schilderungen von Offline-Erfahrungen. Diese landen unkommentiert als Zitate (mit erforderlichen Trigger-Warnungen) in der Instagram-Story des Accounts. Diese Geschichten kommen oft von jungen Menschen oder ereigneten sich in einer Zeit, zu der die Menschen noch Kinder waren. Kim: "Es war erschütternd, wie viele Pädophilengeschichten es gibt." Diese würden oft aus dem engen Bekanntenkreis stammen. Dieser Eindruck ist durch Studien belegt.

Die Sichtung beleidigender Nachrichten, schrecklicher Schilderungen und teilweise unzensierter Penisbilder (bisher mehr als 30) geht an die Substanz. Kim gibt offen zu, dass sie beim Lesen mehrmals weinen musste. "Wir befinden uns in ständigem Kontakt und loggen uns aus, wenn wir andere Dinge zu tun haben oder es zu belastend wird", erklärt Caro. Beide stecken täglich etwa ein bis zwei Stunden in die Pflege des Accounts.

Männer trauen sich nicht

Bei den meisten Einsendungen sind die Täter Männer und die Opfer Frauen oder homosexuelle Männer. Unter 500 Einsendungen schätzen die beiden, dass etwa drei Screenshots belästigende Nachrichten von Frauen an Männer zeigen. Das sei aber kein realistisches Abbild der Realität, sagt Kim: "Auch viele Männer bekommen diese Nachrichten, aufgrund patriarchaler Strukturen schämen sie sich aber dafür, sie zu reklamieren oder erkennen die Belästigung gar nicht als solche."

Immer wieder gibt es aber Erfolgserlebnisse, etwa Nachrichten von Menschen, die ihr vergangenes Verhalten reflektieren und in Zukunft ändern wollen. Einmal rieten die beiden auch einer Frau, die eine Facebook-Nachricht von einem Essenslieferanten erhalten hatte, ihn zu melden. Der Mann wurde entlassen, weil er verbotenerweise die privaten Daten einer Kundin genutzt hatte.

Schwierige Rechtslage

Drei Viertel aller Frauen und ein Viertel der Männer in Österreich wurden im Erwachsenenalter schon einmal sexuell belästigt. Das geht aus einer Studie im Auftrag des Familienministeriums aus dem Jahr 2011 hervor.

27 % aller Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 18 Jahren haben mindestens schon einmal sexuelle Belästigung im Internet erlebt. Mädchen sind mit 40 % dreimal häufiger betroffen als Burschen.

In Österreich kann man sich derzeit kaum gegen sexuelle Belästigung im Internet wehren. Die Täter sind oft anonym und der öffentliche Pranger ist ebenfalls kein gangbarer Weg. Die Grünen-Politikerin Sigi Maurer stand etwa vor Gericht, nachdem sie beleidigende sexuelle Nachrichten geoutet hatte, die ihr mutmaßlich ein Bierverkäufer geschickt haben soll.

Kim und Caro wollen weiterhin auf die Schattenseiten von Online-Chats und sexuelle Übergriffe aufmerksam machen. "Jeder, jeden Geschlechts darf uns was schicken und sich willkommen fühlen", sagt Kim. Caro ergänzt einen Appell: "Bitte zensiert die Dick Pics, bevor ihr sie uns schickt. Wir wollen das genauso wenig sehen wie ihr auch."