Wiener Pädagoge packt aus
Sittenwächter, nicht haram: Direktor spricht Klartext
Steigende Gewalt und Eltern, die weiblichen Pädagogen nicht die Hand geben, Sittenwächter-Schikanen: Ein Wiener Schuldirektor spricht Klartext.
"An vielen Schulen ist eine Grenze erreicht", schildert der Direktor einer Wiener Pflichtschule, der anonym bleiben möchte. "Ich bin regelmäßig mit Kollegen aus anderen Schulen in Kontakt. Die Situation ist überall ähnlich."
Übervolle Klassen als Problem
Die Klassen werden immer größer, damit steigt auch die Anzahl von Problemkindern pro Klasse. Diese übervollen Klassen sind auch oft auf engem Raum zusammengepfercht. Bei vielen ist die Muttersprache nicht Deutsch. Außerdem fehlt wichtiges Unterstützungspersonal, wie etwa Ärzte oder Schulpsychologen.
Bei vielen Schülern scheitere es grundsätzlich schon an der Disziplin, erzählt der Direktor. Sie halten sich nicht an die Schulordnung, machen keine Hausaufgaben. Hinzu kommt, das man von den Eltern auch oft keine Unterstützung erwarten könne. "Oft, weil sie die Sprache nicht verstehen oder sie selbst aus bildungsfernen Schichten kommen", so der Direktor.
"Eltern geben Lehrerin nicht die Hand"
Auch kulturelle Unterschiede werden immer mehr zum Thema. "Es gibt Eltern, die einer weiblichen Lehrerin die Hand nicht geben wollen. Wie soll man Toleranz unterrichten, wenn die dagegen arbeiten? Manche Kinder weigern sich, über einen Regenbogen-Zebrastreifen zu gehen. Uns wird auch oft vorgeworfen, wir seien "haram", würden die Religion beleidigen, weil zum Beispiel Burschen neben Mädchen sitzen. Auch von selbst ernannten Sittenwächtern, die Mädchen zur Verschleierung ermutigen, habe ich schon mitbekommen", schildert der Pädagoge.
Doch nicht nur kulturelle Unterschiede spielen eine immer größere Rolle an Wiens Schulen. Auch Gewalt wird ein immer größeres Thema. "Die letzte Möglichkeit ist dann immer eine Suspendierung. Die wird dann aber von der Bildungsdirektion entschieden und immer öfter nicht genehmigt. Ich gehe davon aus, dass künftig nicht mehr so viele Suspendierungen ausgesprochen werden", erklärt der Direktor.
Kinder von der Polizei abgeholt
Dabei hat der Schuldirektor regelmäßig mit Gewalt zu kämpfen. "Ich glaub es gibt keinen Direktor in der Wiener Mittelschule, der noch nicht Kontakt mit der Justizanstalt Josefstadt hatte. Teilweise werden Kinder bei laufendem Betrieb von der Polizei abgeholt, sitzen aber am nächsten Tag wieder ganz normal in der Klasse". Viele Schulkollegen und teilweise auch Lehrer hätten dann Angst.
Der Schuldirektor fordert mehr Zusammenarbeit der Stellen, vor allem mit Jugendamt und der Justiz. Es brauche auch kleinere Klassen, mehr Förderklassen und mehr Unterstützungskräfte wie Schulqualitätsmanager, Sozialarbeiter und Psychologen. "Bei uns ist die Grenze der Machbarkeit erreicht", so der Direktor.