Welt
Sexkauf-Verbot: Wird Prostitution in Zukunft verboten?
In der Schweiz entscheidet man über ein Sexkauf-Verbot. Norwegen, Island, Kanada, Frankreich, Nordirland und Israel haben ähnliche Gesetze erlassen.
Dieses Wochenende demonstrierten in Madrid mehr als 7000 Personen gegen die Prostitution. "Senala al putero" hieß es etwa auf Plakaten, "Zeigs dem Hurenkerl". Die Kundgebung war eine Reaktion auf einen Beschluss des Parlaments, Werbung für Prostitution zu verbieten, was den Aktivistinnen und Aktivisten zu wenig weit geht.
Ein Verbot von Prostitution beziehungsweise von Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen (Sexkauf-Verbot) ist auch in der Schweiz ein Thema. EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller fordert ein solches Verbot nach schwedischen Modell in einer Motion, die im Nationalrat traktandiert ist. Streiff-Feller will, dass Freier bestraft werden, nicht aber Sexarbeitende. Dieses Modell ist in Schweden seit 1999 in Kraft. Außerdem verlangt die Motion Hilfe für Sexarbeitende.
„"80 Prozent der Frauen würden sofort aussteigen, wenn sie die Möglichkeit hätten."“
"Prostitution widerspricht dem Zeitgeist"
Es gebe kaum Prostitution ohne Zwang, sagt Marianne Streiff-Feller. Sei es durch einen Zuhälter, einen Clan, den eigenen Partner oder schlicht durch soziale Not. "Studien belegen, dass 80 Prozent der Frauen sofort aussteigen würden, wenn sie die Möglichkeit hätten."
„"Die Prostitution widerspricht schlicht dem Zeitgeist. Es kann doch nicht sein, dass man Frauen kaufen darf!"“
Die Motion wird von links bis rechts unterstützt und hat es nach Einschätzung von Beobachtern dennoch schwer, eine Mehrheit zu erreichen. Mitunterzeichnet haben unter anderem Andrea Geissbühler (SVP), Ursula Schneider-Schüttel (SP), Laurent Wehrli (FDP) und von Stefan Müller-Altermatt (CVP). Müller Altermatt glaubt, dass ein Verbot je länger je mehr an Rückhalt gewinnen werde. "Die Prostitution widerspricht schlicht dem Zeitgeist. Es kann doch nicht sein, dass man Frauen kaufen darf", sagt der Solothurner Nationalrat. Es gehe um Menschenrechte und um die Stellung der Frau. "In den allermeisten Fällen werden Frauen gegen ihren Willen verkauft. Das geht doch einfach nicht in der heutigen Zeit."
Gewalt an Sexarbeiterinnen
Ganz anders sieht es Procore, das vom Bund unterstützte Netzwerk für Sexarbeitende, das gesamtschweizerisch 26 Beratungsstellen vertritt. "Ein Verbot wäre eine massive Schwächung der Sexarbeitenden in der Schweiz und eine Katastrophe für die öffentliche Gesundheit", sagt Shirine Dahan, wissenschaftliche Mitarbeiterin. Wenn die Freier bestraft würden, finde die Prostitution im Versteckten und in der Illegalität statt. "Das bedeutet, dass Sexarbeiterinnen mehr Gewalt und Gefahren ausgesetzt sind."
Menschenhandel
Man müsse außerdem zwischen Menschenhandel und Sexarbeit unterscheiden. Wer in der Sexarbeit tätig sei, entscheide sich grundsätzlich freiwillig dafür. "Es gibt ein paar, die könnten als Anwältin oder Lehrerin arbeiten, ziehen aber die Arbeit im Sexgewerbe vor." Die große Mehrheit habe tatsächlich nicht sehr viele Optionen, entscheide sich aber dennoch bewusst dafür, etwa wegen Vorteilen wie flexible Arbeitszeiten oder Lohn. Das könne beispielsweise eine Kassiererin sein, die als Sexarbeiterin mehr verdient. Schwierig für die schätzungsweise 10.000 bis 20.000 Sexarbeitenden in der Schweiz sei die Stigmatisierung und das Moralisieren, das mit der Verbotsforderung einhergehe, sagt Dahan.
Schutz für Sexarbeiterinnen
Die Freiburger SP-Nationalrätin und Juristin Ursula Schneider Schüttel hat den Vorstoß zwar mitunterzeichnet, ist sich betreffend Verbot aber mittlerweile nicht mehr sicher. Denn die Legalität schütze auch die Sexarbeitenden. Möglicherweise verursache ein Verbot sehr viel Leid, weil Frauen ohne Einkommen dastehen und ein Teil des Gewerbes in die Illegalität mit entsprechenden Risiken abwandert.
Auch der Bundesrat befürchtet dies. Eine Expertengruppe des Justizdepartements habe ein solches 2014 einstimmig abgelehnt, schreibt er in seiner Antwort auf die Motion. Ein Verbot nach dem Vorbild nordischer Staaten sei für die Schweiz nicht geeignet, den Schutz von Frauen im Erotikgewerbe zu stärken. Das Gewerbe würde sich in die Illegalität verlagern.
Abwanderung in Illegalität?
Berichte kommen teilweise zum selben Schluss. Etwa eine Studie von Amnesty zu Irland, das 2017 das schwedische Modell eingeführt hat. Mit dem Verbot sei das Image der Sexarbeit schlechter geworden, Sexarbeiterinnen getrauten sich weniger, zur Polizei zu gehen. Durch fehlende Kooperation und das Verbot von Bordellen seien die Betroffenen isolierter und weniger geschützt.
"Sexkaufverbot"
Das Argument der Verlagerung in die Illegalität sei falsch, sagt Marianne Streiff-Feller. Sie beruft sich auf den schwedischen Polizeichef Simon Häggström, der kürzlich auf Einladung der EVP an einer Podiumsdiskussion in der Schweiz teilgenommen hat. Dass das Sexkaufverbot in Schweden die Prostitution in den Untergrund verdrängt habe, gehöre zu den "meistgebrauchten Lügen" im Hinblick auf das schwedische Gesetz, sagte Häggström. Prostitution könne nicht in den Untergrund gehen, denn Käufer und Verkäufer müssten sich gegenseitig finden. Das Sexkauf-Verbot habe in erster Linie den Markt für organisierte Kriminalität zerschlagen. "Es geht um Geld. Die Freier haben das Geld. Wenn man Sexkauf unter Strafe stellt, trifft man die Menschenhändler", so Häggström.
Das schwedische Modell
Schweden stellt seit 1999 den Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe, nicht aber das Anbieten derselben. Auch die Vermittlung beispielsweise durch Bordelle oder Zuhälter ist verboten. Damit hat Schweden Neuland betreten. Mittlerweile wurden in Norwegen, Island, Kanada, Frankreich, Nordirland und Israel dieselbe Regelung oder ähnliche Gesetze erlassen.