Sie ist nur für Paul (10) da 

Schreckliches Schicksal – Wienerin schmiss ihren Job

Paul (10) hatte einen schweren Start ins Leben, braucht rund um die Uhr Betreuung. Pflegemama Helga kümmert sich um ihn – mit Hilfe von Momo.

Yvonne Mresch
Schreckliches Schicksal – Wienerin schmiss ihren Job
Helga (62) ist seit vielen Jahren als Pflegemutter tätig. Vor zehn Jahren trat Paul in ihr Leben – und krempelte dieses völlig um.
Denise Auer

Als Lehrerin hatte Helga F. ihr Leben lang mit Kindern zu tun – auch mit jenen, die es im Leben nicht so leicht hatten. Die Liebe zu den Jüngsten begleitete sie stets und mündete in dem Entschluss, Krisenpflegemutter zu werden. "Ohne Kinder bin ich nur ein halber Mensch", fasst sie zusammen. Dass sich das Leben der ganzen Familie dadurch von Grund auf ändern würde, konnte Helga F. damals noch nicht ahnen.

"Niemand wird ihn übernehmen, Paul bleibt"

"Vor zehn Jahren bekam ich einen Anruf. Ich sollte nach Mistelbach kommen, es gäbe da ein Baby", erinnert sich die gebürtige Salzburgerin zurück. Sie holte den Burschen ab, Informationen erhielt sie nur wenige. Erst nach und nach sollte sich herausstellen: Das Kind hat eine schwere Beeinträchtigung. Der Vater ist nicht bekannt, der Mutter ist es nicht möglich, sich um ihren Sohn kümmern. Die fürsorgliche Wienerin nahm den Kleinen auf und schon bald wurde ihr klar: "Niemand wird ihn übernehmen." Nach intensiven Gesprächen mit ihrer Familie stand die Entscheidung fest: Der kleine Paul sollte für immer hier bleiben.

"Er hat so viel durchgemacht"

Welche Aufgabe das mit sich bringen würde, war Helga F. sehr wohl bewusst. "Er hat eigentlich alles, was man haben kann", erzählt sie. Der heute Zehnjährige ist taub, blind und leidet an Tetraparese, einer Lähmung aller Körperextremitäten. Er ist Epileptiker, hat Atemprobleme, muss ernährt werden und braucht demnach rund um die Uhr intensive Betreuung. "Seine Organe sind in Ordnung, auch die Blutwerte gut. Aber das Gehirn sendet keine Signale", erklärt die Pflegemama, die sich immer schon sehr für Medizin interessierte und Kurse besuchte, um am Laufenden zu bleiben.

Seit der Ankunft von Paul änderte sich das Leben der Familie schlagartig: "Ich war bis dahin berufstätig, auch neben meiner Aufgabe als Pflegemutter. Das war nicht mehr möglich. Manchmal ist es sehr anstrengend, aber er hat so viel durchgemacht und ich hätte es nicht übers Herz gebracht, ihn in ein Heim zu geben", sagt sie. Unterstützung bekommt die Mutter von einer 24-Stunden-Pflegerin. Dennoch ist sie immer da: "Schlaf hole ich mir zwischendurch. Im Alter braucht man auch nicht mehr so viel", schmunzelt sie.

"Ich kann jetzt etwas zurückgeben"

Paul ist allerdings nicht der einzige, um den Helga F. sich kümmert. Sie hat drei leibliche Kinder, die nicht mehr zuhause leben, ist Großmutter und nahm noch ein weiteres Pflegekind bei sich auf: Der 15-jährige Raphael leidet an Depressionen, einer posttraumatischen Belastungsstörung und ist Autist. "Seine schulischen Leistungen sind sehr gut, aber er ist bei vielen alltäglichen Dingen auf mich angewiesen. Mit Paul versteht er sich sehr gut, die beiden kommunizieren non verbal und passen wunderbar zusammen", erzählt die 62-jährige. Wie nebenbei erwähnt sie, 2015 auch zwei minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge bei sich aufgenommen zu haben. "Sie haben bereits Jobs, Asyl und sind einen guten Weg gegangen. Ich werde aber immer ihre österreichische Mama bleiben."

Zu Paul hat die Wienerin eine ganz besondere Beziehung: "In der Ausbildung sprechen wir darüber, wie man ein Kind annehmen kann, das man nicht selbst zur Welt gebracht hat. Zwischen uns beide passt kein Löschblatt mehr. Es ist eine unendliche Nähe. Ich werde mich mein Leben lang um ihn kümmern. Ich wusste von Anfang an, dass es eine Lebensaufgabe sein wird." Das bringe zwar Nachteile mit sich ("Urlaube im Flugzeug sind nicht mehr möglich, Reisen generell sehr aufwändig"), aber auch zahlreiche Vorteile: "Ich habe meinen Job geliebt und mich gefragt, wie es danach wird. Aber das hier erfüllt mich mehr. Ich kann mir die Zeit frei einteilen, es entschleunigt. Alles wird langsamer und bedächtiger. Und ich habe in meinem Leben viel gutes erlebt, ich kann jetzt einen Teil wieder zurückgeben."

Momo hilft schwer kranken Kindern

Unterstützung erhält Helga F. seit vielen Jahren vom Momo Kinderpalliativzentrum. Die ehrenamtliche, großteils spendenfinanzierte Organisation begleitet schwerst kranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sowie deren Familien ab der Diagnose der lebensbedrohlichen oder lebensverkürzenden Erkrankung und über den Tod hinaus. Momo unterstützt medizinisch, pflegerisch, therapeutisch, psychologisch und sozialarbeiterisch.

Neben der mobilen Betreuung (MOMO ZuHause) sowie der ehrenamtlichen Hospizbegleitung eröffnete nun mit "Momo ZeitRaum" auch eine tagesstationäre Struktur in der Schulgasse 38 (Währing). Auf rund 460-Quadratmetern bietet das multiprofessionelle Team medizinische Versorgungen, Entlastungspflege, Behandlungen, Therapien der Psychologie sowie Physio- und Musiktherapie an. Zusätzlich zu diesen Angeboten, entsteht auch Raum für fachliche Beratung in der Sozialen Arbeit, Geschwister- und Trauergruppen ebenso wie für unbeschwertes Zusammenkommen, Feste und Vernetzung für die Angehörigen und die gesamte Familie.

Fehlt es in der häuslichen Umgebung an Raum, können Pflege-, Therapie- und Versorgung, sowie hochkomplexe Pflege- und Versorgungstätigkeiten im MOMO ZeitRaum stattfinden. Es gibt unter anderem einen Therapie-, Ruhe-, Snoezelen-, Ordinations- und Bewegungsraum, sowie ein großes Pflege- und Erlebnisbad. Ab 5. Dezember beginnt der Regelbetrieb für die von Momo betreuten Familien.

"Wenn ihr Gutes tun wollt, dann redet nicht, sondern tut es"

Für Helga F. bedeutet "Momo" viel: "Sie sind immer da, vor allem in schwierigen Situationen und die sind bei einem Kind wie Paul häufig. Die Ärzte nehmen sich Zeit und geben einem nie das Gefühl, im Stress zu sein. Auch als ich mitten in der Nacht anrief, weil die Geräte ausfielen und ich dachte, er stirbt. Sie waren da."

Für die Zukunft wünschen sich Helga F. und ihre Familie vor allem eines: Gesundheit – und für andere pflegende Angehörige einen leichteren Zugang zu Informationen über Unterstützungsleistungen. Für alle künftigen Pflegemütter hat sie einen Rat: "Man sollte bedenken, dass die Kinder meistens schon eine Geschichte mit sich bringen. Man kann kein Lebewesen aufnehmen und es dann einfach zurückgeben. Jedes Kind ist eine Aufgabe. Und wenn ihr etwas Gutes tun wollt, dann redet nicht, sondern tut es!"

Wer "Momo finanziell oder ehrenamtlich unterstützen will, kann sich unter www.kinderpalliativzentrum.at näher informieren!

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