Karoline Edtstadler
Sagen, was ist: Fairness muss für alle im Land gelten
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler schlägt in einem Gastkommentar für "Heute" Alarm: Wer richtet hier eigentlich?
Der Umgang miteinander in unserer Gesellschaft ist rau. Das haben die letzten Wochen wieder eindrucksvoll gezeigt: persönliche Beleidigungen sind medial alltäglich geworden, Vorwürfe werden oftmals bereits wie Verurteilungen hingestellt und Betroffene damit menschlich massiv unter Druck gesetzt.
Gerade wenn es um erfolgreiche Frauen geht – egal ob Chefredakteurin, Verlegerin oder Politikerin – ergießt sich, analog wie digital, eine Welle von Verhöhnung und Vorverurteilung. Manche verwechseln ihre Rolle mit der eines Richters. Der öffentliche Pranger scheint zurück.
Ausbau des fairen Verfahrens
Das ist erschütternd und macht betroffen. Gerade in einer Welt des Umbruchs ist es unsere gemeinsame Aufgabe, den Anstand zu wahren und uns gegen die öffentliche Verrohung zu wehren. Unser Ziel und Anspruch ist der Ausbau des fairen Verfahrens im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention. Folgende Punkte, die auch im Österreich-Plan von Bundeskanzler Karl Nehammer enthalten sind, gilt es umzusetzen:
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Die Beschuldigtenrechte müssen endlich auf die Höhe des 21. Jahrhunderts gebracht werden.
Dazu zählt insbesondere die Sicherstellung und Auswertung von Handys. Es darf nicht sein, dass ohne richterliche Genehmigung Datenträger mit persönlicher Kommunikation über Jahre hinweg, von Fotos der Kinder bis hin zu persönlichen Gesundheitsdaten, einfach so ausgewertet werden. Das Erkenntnis des VfGH bestätigt mich in meiner oftmals geäußerten Forderung. - 2
Wir brauchen ein Zitierverbot für das nicht-öffentliche Ermittlungsverfahren.
Für den Zeitraum also, in dem Staatsanwälte noch nicht über Anklage oder Einstellung entschieden haben. Es kann nicht sein, dass aus Ermittlungsakten umfassend in Medien zitiert wird, ohne sich um die Rechte der Betroffenen zu kümmern. Der Satz "Es gilt die Unschuldsvermutung" am Ende einer ausführlichen Berichterstattung mit privaten Details lässt dieses Recht als Hülle ihrer selbst übrig. Dies ist kein "Anschlag auf die Pressefreiheit", wie manche glauben machen wollen. Es geht mir nicht um ein "Berichtsverbot", sondern um den Schutz der Persönlichkeitsrechte und um die Unabhängigkeit der Justiz – übrigens in vielen europäischen Ländern geltende Rechtslage. - 3
Es braucht einen fairen Kostenersatz.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Freigesprochene nach einem Strafverfahren finanziell ruiniert sind. Wir verhandeln gerade ein entsprechendes Gesetz. Mein Anspruch ist es, eine Regelung zu finden, die den Namen "Kostenersatz" auch verdient. Das kann nicht schnell genug gehen. - 4
Wir müssen Verfahren beschleunigen.
Verfahren, wenn auch vereinzelt, die sich über Jahrzehnte ziehen, sind inakzeptabel. Zum Vergleich: Nach 15 Jahren können rechtskräftig verurteilte Mörder bedingt bei guter Führung entlassen werden. - 5
Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.
Betroffene von Hass im Netz, Cybermobbing oder Fake-Bewertungen haben oft keine Chance, sich zu wehren. Nur mit einer Klarnamenpflicht kann man sein Recht auch online durchsetzen.
Unsere demokratische Gesellschaft hat mehr verdient. Finden wir zurück zu einem würdigen Umgang miteinander und schützen wir unseren demokratischen Rechtsstaat, seine Institutionen und die Rechte aller.
Zur Autorin
Karoline Edtstadler (42) ist als Bundesministerin im Kanzleramt mit EU- und Verfassungsagenden betraut. Die Juristin gehört mit kurzer Unterbrechung seit 2017 der Bundesregierung an und war zwischen 2017 und 2019 Staatssekretärin im Bundesministerium für Inneres. Karoline Edtstadler begann ihre Berufslaufbahn als Strafrichterin in ihrer Heimat Salzburg; war später Referentin für Strafrecht im Justizministerium und dann Oberstaatsanwältin, ehe sie ein Jahr lang an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Straßburg wechselte.
Der Gastkommentar gibt die Meinung der Autorin wieder.