Terror-Anschlag in Moskau
Russland-Experte deckt Putins Fehler gnadenlos auf
Die russische Propaganda legt eine Terror-Spur in die Ukraine. Eine Finte, warnt Wolfgang Mueller von der UniWien, um Putins Fehler zu vertuschen.
Nach dem schrecklichen Terroranschlag mit 133 Toten auf die Crocus City Hall bei Moskau am 22. März schießt Staatspräsident Wladimir Putin bereits Schuldzuweisungen Richtung Ukraine – und ignoriert dabei völlig, dass sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) dazu bekannt hat.
Dass ausgerechnet die USA den Kreml bereits vor Wochen über geheime, noch offene Kanäle vor einem möglichen islamistischen Anschlag gewarnt hatte, ist für den Kreml-Despoten gleich doppelt unangenehm.
Putins Propaganda feuert aus allen Rohren
Putins Image als starker Mann bekommt dadurch Schlagseite: Er hatte am 19. März, also nur wenige Tage vor dem Anschlag, diese Warnung nicht nur in den Wind geschlagen, öffentlich als "unverhohlene Erpressung" diffamiert. Da ist es bequemer, dem Kriegsgegner Ukraine und deren westlichen Alliierten alles in die Schuhe zu schieben. Das tat der Kreml umgehend. Auch die inzwischen in Russland lebende Ex-FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl feuerte diese, einer Propaganda-Katjuscha gleich, auf ihrem Telegram-Kanal ab.
Dabei kam der Angriff der IS-Terroristen nicht aus dem Nichts: "Anzeichen dafür hat es seit dem Sommer 2023 gegeben", sagt Russland-Experte Wolfgang Mueller von der Universität Wien im Ö1-Morgenjournal am Montag. "Die Bedrohung ist jedenfalls seit der Involvierung Russlands in den Krieg in Syrien vorhanden."
Schwieriger Feuerwehr-Einsatz nach Anschlag auf Moskauer Konzerthalle
Dass die Spur wirklich in die Ukraine führt, so wie von Putin behauptet, hält der Wissenschafter für "überaus unwahrscheinlich". "Es gibt bisher keinerlei Anzeichen, der Kreml selbst hat keine Beweise vorgelegt. Und die Ukraine hat in diesem Bereich keinerlei historische Tradition, dass sie derartige Anschläge macht", so Mueller.
Lässt sich Mehrheit nicht täuschen?
Einen Teil der eigenen Bevölkerung werde Putin diesen Bären sicher aufbinden können, schätzt der Experte. Allerdings geht er davon aus, dass die gefassten mutmaßlichen Täter und deren Hintergrund für die Mehrheit der Russen "in eine ganz andere Richtung deuten" werden.
Dennoch stehe zu befürchten, dass vom Kreml jeder Anlass ausgenützt werde, um eine Intensivierung des nun schon mehr als zwei Jahre dauernden Krieges gegen die Ukraine zu legitimieren. Das könne bei diesem Terroranschlag ebenso passieren.
Kommt Mobilisierungswelle?
Mit einer neuen Mobilisierungswelle rechnet Mueller (noch) nicht: "Es mag sein, dass die Hemmschwelle bereits seit der Bestätigung von Wladimir Putin in seinem Amt und jetzt insbesondere durch den Terroranschlag herabgesetzt ist. Allerdings hat es den Anschein, dass derzeit die militärische Notwendigkeit dafür noch nicht besteht."
Gleichzeitig gebe es aber Warnungen, dass die russische Armee neue Truppen für eine anstehende Frühjahrsoffensive zusammenzieht. "Das würde auch der Logik auf dem Schlachtfeld entsprechen."
Putin kann Fehler niemals zugeben
Mit Konsequenzen der ignorierten Warnung vor dem Terroranschlag rechnet der UniWien-Professor nicht auf höchster Ebene. In mittleren und niedrigeren Rängen ist aber mit einem Köpferollen zu rechnen.
"Dass die [Konsequenzen] ganz hinauf gehen, halte ich für unwahrscheinlich. Es sind ja gerade die Geheimdienste, die für eine Verhinderung und Warnung zuständig wären, so stark in die Politik im Kreml involviert, dass ich hier nicht davon ausgehe, dass es hier scharfe Maßnahmen gibt."
Putin könne sich da auch nicht ausnehmen und auch nicht selbst der Mitverantwortung bezichtigen. Das Eingestehen eines solchen Fehlers würde seine Macht "signifikant" schwächen.