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"Pokémon Karmesin und Purpur" im Test – Hit mit Aber
Das neue "Pokémon Karmesin und Purpur" fasziniert: Das Game selbst spielt sich grandios, wird aber von Bugs überschattet. Ein Hit ist es trotzdem.
Vorneweg: Das neue "Pokémon Karmesin und Purpur" für die Nintendo Switch ist ein tolles Taschenmonster-Game geworden. Kämpfe spielen sich großartig, die offene Spielwelt gefällt und es gibt neue und alte Pokémon zuhauf. Das vermeintliche Game des Jahres bereitet aber dennoch Bauchweh, wenn es um eine uneingeschränkte Empfehlung geht. So gibt es mit Blick auf "Pokémon-Legenden: Arceus" nicht allzu viele Neuerungen in Sachen Open World, die Tätigkeiten im Game wurden teils lieblos einfach so in die Landschaft gestreut – und grafisch ruckelt der Titel teils besorgniserregend.
Zu Beginn des Spiels darf man aus Felori (Pflanze), Krokel (Feuer) oder Kwaks (Wasser) als Starter-Pokémon wählen. Davor darf man sich übrigens einen personalisierten Charakter erstellen und danach in die Paldea-Region starten, die mit idyllischen Oasen, Sandstrand, Klippen, riesiger Überraschung in der Mitte, Schneegebirge und einer atemberaubenden Metropole glänzt. Bevor man direkt in die offene Spielwelt starten darf, geht es aber erst einmal an die Akademie zum Lernen. Los geht es dort Tutorial-artig mit den Basics wie Pokémon fangen, ersten Kämpfen und Items.
Untypisch lange und gute Videosequenzen zum Start
Nach und nach lernt man auch die Charaktere und die Handlung des Spiels kennen. Schön gemacht: Die vorkommenden Figuren wie unsere Spiel-Konkurrentin Nemila sind gut herausgearbeitet und tauchen zur Abwechslung immer wieder im Verlauf des Abenteuers mit flotten Sprüchen und spannenden Kämpfen auf. Ebenfalls toll: Mit Koraidon (in der Karmesin-Edition) bekommen wir direkt zum Spiel-Start auch gleich ein echsenartiges, legendäres Pokémon, das uns als tierischer Begleiter dient. In der Purpur-Edition begleitet uns dagegen fortan Miraidon, das eher einer futuristischen Schlange ähnelt.
Unsere Pokémon-Begleiter sind aber nicht nur legendär, sondern auch wirklich praktisch, denn sie dienen uns als Helfer, die uns in jeder möglichen Form durch die Spielwelt tragen. Während das jeweilige Pokémon anfangs nur durch die Welt laufen kann, schalten wir im Spielverlauf nach und nach neue Fortbewegungsmöglichkeiten wie springen, schwimmen, klettern und sogar in der Luft gleiten frei. Der Einstieg ins Spiel ist übrigens überraschend aufwendig ausgefallen – statt eilig loszuspielen, darf man sich über untypisch lange Videosequenzen, gut geschriebene Dialoge und ein echtes Kennenlernen der Welt freuen.
Neue spielerische Abwechslung, aber eine Qualitätsfrage
Bei der Kampagne zeigt sich das Spiel dreigeteilt, wobei alle Handlungsstränge über eine eigene Storyline verfügen. Im "Weg der Champs" muss man klassisch die Arenaleiter der Insel besiegen und sich ihre Orden schnappen, um in der Liga der beste Pokémon-Trainer des Spiels zu werden. Im "Pfad der Legenden" will einer unserer Freunde zum Sandwich-Star aufsteigen und sucht dafür geheime Gewürze. Um ihm zu helfen, müssen wir gigantische Herrscher-Pokémon besiegen. Und in der "Straße der Sterne" sollen wir Basen des Teams Star besuchen und dort die jeweiligen Boss-Pokémon im Kampf besiegen.
Weil wir zeitgleich drei Missionspfade verfolgen und die Aufgaben zum größten Teil frei wählen dürfen, spielt sich das neue "Pokémon" auch viel abwechslungsreicher als zuvor. Die Qualität der drei Pfade ist aber sehr unterschiedlich ausgefallen. So sind die Arena-Kämpfe gegen viele verschiedene Taschenmonster kurzweilig und auch die Herrscher-Pokémon verlangen uns Kreativität und spielerisches Können ab – das Basen-Infiltrieren wiederum fällt sehr langatmig aus, denn hier sollen wir in kurzer Zeit immer 30 Pokémon eines bestimmten Typs besiegen, was schnell lästig wird und erzählerisch sinnlos ist.
Einige Neuerungen finden sich dann doch noch
Besonders fad im Basen-Kampf: Statt rundenbasierter Kämpfe attackieren unsere Pokémon automatisch die Gegner und wir dürfen nur entscheiden, welche unserer Monster wir in den Kampf schicken wollen. Dem stehen wiederum spannende Boss-Kämpfe gegen die Herrscher der Insel gegenüber, die sich als besonders große und starke Varianten bestimmter Pokémon zeigen. Schon "Arceus" hat gezeigt, dass diese Kämpfe echte Highlights sind. Die Spielwelt selbst ist übrigens zwar offen, aber anfangs begrenzt: Solange unser legendäres Pokémon nicht klettern oder gleiten kann, stößt man auf Blockaden.
Man liest es bereits heraus: Offene Spielwelt, besonders spektakuläre Boss-Pokémon, mehr Fokus auf Videosequenzen und die Handlung – all das kannte man bereits von "Arceus". Wer sich aber tiefer ins Game hineingräbt, findet dann aber doch noch einige wirkliche Neuerungen. So gibt es erstmals einen Fotomodus, in dem Spieler auch Selfies knipsen dürfen. Oder aber die Level-Begrenzungen wurden gestrichen, womit man nun selbst stark unterlevelt gegen die stärksten Trainer der Insel antreten darf. Entsprechend ist es erstmals so auch möglich, sich selbst einen höheren Schwierigkeitsgrad aufzuerlegen.
Automatische Kämpfe und Effekt-Gewitter im Angebot
Eine weitere Neuerung sind zudem automatische Kämpfe in der Spielwelt. Wer sein Pokémon aus dem Pokéball lässt, darf es auf wilde Monsterchen in der Umgebung ansetzen und dann dabei zusehen, wie es selbst in den Kampf geht. Erfahrungspunkte gibt es dabei zwar weniger, das Aufleveln funktioniert dafür aber umso schneller. Das geht mit den bekannten Komfortfunktionen einher: Erfahrungspunkte werden auf alle Pokémon und nicht mehr nur auf die eingesetzten verteilt und selbstgesteuerte Kämpfe finden direkt in der Spielwelt und nicht mehr vor generischen Hintergründen statt.
Die Kämpfe selbst laufen wiederum fast komplett klassisch ab – attackiert wird rundenbasiert und gewisse Elemente schlagen andere Elemente, das kennt man alles. Ein winziges neues Feature gibt es aber auch hier: Der Spieler darf im Kampf sein Pokémon mit einer Art Kristallschild überziehen, was die Element-Attacken des jeweiligen Pokémon-Typs kurzzeitig extrem verstärkt. Für eine ordentliche Prise Taktik sorgt dabei nicht nur der zeitlich perfekte Einsatz, sondern auch die Wahl des passenden Pokémons. Als Belohnung bekommen Spieler ein tolles Effekt-Gewitter am Switch-Bildschirm zu sehen.
Beim Pokémon-Fangen geht es zurück zu den Anfängen
Auch das Fangen der Pokémon kennt man aus "Arceus": Spieler können selbst den Ball auf das gejagte Wesen schleudern oder aber einfach auch nah genug darauf zugehen, um es im Kampf zu besiegen. Richtig gelesen: Eine Neuerung gibt es, denn die Chance, dass das Pokémon auch ohne Kampf gefangen werden kann, wurde im neuen Game wieder gestrichen. Das ist eine deutliche Rückkehr zu den Anfängen der Reihe. Apropos "Arceus": So abwechslungsreich die Regionen der Welt thematisch ausgefallen sind und so viele neue und alte Pokémon sie zu bieten haben, umso detailarm sind sie erneut.
Teile der Spielwelt wirken etwas karg und leer, vor allem Fels- und Strand-Gebiete fallen mit sehr wenigen Details auf und werden in ganz schlechten Kamera-Perspektiven zu Matsch-Wüsten. Das war schon in "Arceus" ein Kritikpunkt und setzt sich in "Pokémon Karmesin und Purpur" fort. Zumindest aber zieht sich dieser Eindruck nicht durchs komplette Game, denn die Stadtgebiete und Oasen-Regionen haben dann doch nette Hingucker zu bieten. Was aber echt nervt: Erstens können Gebäude nicht mehr betreten werden und zweitens ruckelt das Spiel stellenweise extrem, inklusive Pop-ups aus dem Nichts.
Viele Mankos – und trotzdem ein fantastisches Game
Wie im Vorgänger "Schwert und Schild" darf man auch in der neuen Auflage wieder online zu viert gegen besonders starke Pokémon antreten, wobei die Kämpfe dort in Echtzeit stattfinden. Was jedoch neu ist: Es gibt einen eigenen Online-Koop, bei denen bis zu vier Spieler die Spielwelt erkunden und Pokémon fangen sowie kämpfen dürfen. Was uns zu einem etwas kuriosen Fazit bringt. Denn trotz teils deutlicher Grafik-Probleme, Rückschritten wie dem Absperren von Gebäuden oder dem Streichen der automatischen Fang-Möglichkeit sowie der Detailarmut ist "Pokémon Karmesin und Purpur" ein tolles Game.
Die offene Welt spielt hier so richtig ihre Stärken aus und mit der dreigeteilten Kampagne hat das "Pokémon"-Game mehr Abwechslung als je zuvor zu bieten. Da kommt man nicht umhin, anzumerken, dass ohne die ganzen Kritikpunkte der Titel locker zum Game des Jahres hätte werden können. So aber handelt es sich um einen schönen neuen Ableger, der mit überraschenden Technik-Probleme kämpft, die den Spielspaß etwas dämpfen, aber nicht zunichtemachen. Das "Pokémon"-Konzept funktioniert noch immer – und in "Pokémon Karmesin und Purpur" mit mehr Freiheiten als je zuvor in der Serie.