"i/o" erscheint am Freitag
Peter Gabriel brauchte 21 Jahre für dieses Album
Gut Ding braucht manchmal echt Weile! Der britische Superstar Peter Gabriel kündigte "i/o" bereits 2002 an. Was aber jetzt kommt, ist ein Meisterwerk!
Dieses Album war lange ein Phantom, an dessen Fertigstellung viele schon nicht mehr glaubten. Ähnlich wie bei "Chinese Democracy" von Guns 'n' Roses, das Axl Rose bereits 1998 ankündigte, es aber erst 2008 veröffentliche, sahen Fans und Kritiker in "i/o" so etwas wie einen Weißen Wal, dem Peter Gabriel im Endeffekt 21 Jahre hinterherlief. Es klingt pathetisch, aber "Das Warten hat sich ausgezahlt." Und wenn irgendjemand pathetisch klingen darf, dann Peter Gabriel.
Ein Album ist nie einfach nur ein Album. Das hat kaum ein Künstler so früh verstanden und umgesetzt wie Peter Gabriel. Als Schüler gründete er mit seinen Schulfreunden Tony Banks und Mike Rutherford mit erst 17 Jahren die Band Genesis, noch lange bevor Phil Collins zur Band stieß. Als Sänger orientierte sich Gabriel nicht an den damaligen Rocksängern, sondern stimmlich an Jazzsängern wie Otis Redding und Nina Simone. Und seine Texte handelten auch nicht von schüchternen Liebe, Drogen, Sex oder Gewalt, sondern erzählten fantasievolle Geschichten, wie sie aus Shakespeares Fieberträumen hätten stammen können. Das paarte Peter Gabriel so sehr mit ausgefallenen Bühnenkostümen, Masken und Make Up, dass es in den frühen 1970er Jahren selbst David Bowie die Schamröte ins Gesicht getrieben haben dürfte. Die Outfits sollten aber nicht etwa den Fokus von der Musik ablenken, sondern ganz im Gegenteil, die Musik verstärken. Hätte der seltsam tanzende Peter Gabriel mit seinen seltsamen Gewändern nicht so seltsam großartig gesungen, wäre die Welt vielleicht nie auf Genesis aufmerksam geworden.
Aufmerksamkeit um jeden Preis: Peter Gabriel mit Genesis im Pariser Bataclan 1973:
Nach dem Ausstieg Gabriels aus Genesis setzte er lieber auf Standards als auf Experimente, um sich als Solokünstler etablieren zu können. Das schaffte er bereits 1977 mit seinem schlicht "Peter Gabriel" betiteltem ersten Album, das mit "Solsbury Hill" auch seinen ersten Solohit enthielt, womit der Bann schnell gebrochen war. Bereits damals setzte er auf den Bassisten Tony Levin, der auch heute noch mit Gabriel spielt. Die Alben kamen dann im Jahrestakt, wobei Gabriel liebend gerne Instrumente, Stimmen oder Sprachen einsetzte, die in der Kommerzmusik unbekannt waren. Somit war Peter Gabriel bereits in den 1970ern der wohl prominenteste Förderer von dem, was man heute als "Weltmusik" kennt. So setzte er sich auch damals schon mit seiner zum Teil auf der südafrikanischen Sprache isiXhosa gesungenen Anti-Apartheid-Single "Biko" für die Menschenrechte ein. Und sein drittes und viertes Album sang Gabriel auch auf Deutsch ein, ein spannender Genuss.
Mit "Sledgehammer" wurde Peter Gabriel dank MTV endgültig zum internationalen Superstar:
Endgültig zum Superstar schaffte es Gabriel 1986 mit dem Album "So", das nicht nur ein das Kate Bush-Duett "Don't Give Up", sondern auch "Big Time" und den Superhit "Sledgehammer" enthielt, das alleine wegen seines aus Knetmasse und anderen Effekten produzierten Musikvideos zum meistegespielten Song auf dem damals noch jungen MTV wurde. Ab damals nutzte Peter Gabriel alle Spielarten von Visuals, um seine Videos, aber auch seine Konzerte zu einem audiovisuellen Gesamtwerk verschmelzen zu lassen. "So" folgte noch 1992 "Us" mit dem Hit "Steam" und dann geschlagene zehn Jahre später "Up". Dieses Album von 2002 hätte eigentlich "i/o" ("input/output" also "Eingang/Ausgang") heißen sollen, Gabriel meinte damals, dass dann eben sein nächstes Werk diesen Titel tragen würde.
Was Peter Gabriel seit seinem letzten Album "Up" (2002) alles gemacht hat:
Als Gabriel 2002 "Up" veröffentlichte, hatte er laut eigenen Angaben bereits 120 fertig geschriebene Lieder in der Schublade, konzentrierte sich aber mehr auf Tourneen oder das Zusammenstellen alter Musik für neue Compilations. Außerdem kümmerte er sich als Produzent um Musiker aus der ganzen Welt, die in seinen eigenen Real World Studios im englischen Bath Alben aufnahmen, die dann über Gabriel Plattenlabel Real World weltweit vertrieben wurden. Zu diesen Künstlern zählten etwa das Afro Celt Sound System, Youssou N’Dour oder Nusrat Fateh Ali Khan. Seine eigene neue Musik wurde immer weiter vor sich hin geschoben.
Gerüchte über ein Zustandekommen von "i/o" gab es lange, aber erst Mitte 2021 ging Gabriel ins Studio, um tatsächlich an Songs zu arbeiten. Gabriel gab auch an, dass "i/o" auch nicht mehr nur für "input/output" stünde, sondern auch für den Jupitermond Io. Seit Jänner 2023 veröffentlichte Gabriel nun zu jedem Vollmond eine neue Single aus dem Album, der letzte Vollmond war am 27. November, womit jetzt eigentlich alle zwölf Songs, die auf "i/o/ enthalten sind, bereits erschienen sind. Die zwölf Songs des Albums haben wiederkehrende Themen wie die Vergänglichkeit von allem, die Sterblichkeit, Trauer, Krieg und Ungerechtigkeit. Das klingt auf den ersten Blick düster und negativ, aber gleichzeitig singt Gabriel auch von der Hoffnung, der Liebe und einem bunten Universum.
Mit "Full Moon" erschien jetzt auch die letzte der zwölf Singles aus "i/o"
Wer die bisherigen Songs schon kennt, kennt damit aber nicht automatisch "i/o", denn erst die richtige Abfolge der Songs macht das Werk komplett, wobei sich kein Stil und kein Sound durchzieht, abgesehen von Pater Gabriels Stimme. Und das Album kommt in zwei Versionen, einem "Bright-Side"-Mix und einem "Dank Side"-Mix, die von zwei komplett getrennten Teams abgemischt wurden und sich tatsächlich wie Tag und Nacht unterscheiden. Und ob als das noch nicht genug wäre, gibt es auch eine Blu-Ray-Version des Albums, mit den sogenannten "In-Side"-Mix, der nicht in Stereo, sondern im Format Dolby Atmos erklingt. Egal welche Version von "i/o" man hört - die Präferenz des Autors wäre der "Bright-Side"-Mix - sollte man sich für "i/o" hinsetzen und hinhören. Es ist kein Album, um es beim Laufen, in der Strassenbahn oder nur im Hintergrund zu hören, sondern entspannt und vielleicht sogar konzentriert. Denn der Soundtüftler Peter Gabriel und sein Co-Produzent Brian Eno haben sich bei jedem einzelnen Klang etwas überlegt, das es von Zuhörer zu entdecken gibt. Am Freitag erscheint die Doppel-CD-Version mit beiden Mixes und zwei Doppel-Vinyl-Versionen mit jeweils einem. Im März 2024 soll auch noch ein großen Boxset folgen.