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Gazastreifen: "Fast unmöglich, so viele zu evakuieren"
Israels Evakuierungsaufforderung an Zivilisten im Norden des Gazastreifens hat in der dortigen Bevölkerung Panik ausgelöst.
Die israelische Armee hat jetzt alle Zivilisten in Gaza aufgefordert, die Stadt binnen 24 Stunden in Richtung Süden zu verlassen. "Das ist Chaos, niemand versteht, was zu tun ist", sagte Inas Hamdan, eine Mitarbeiterin des UN-Hilfswerks für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) im Gazastreifen, am Freitagmorgen.
Sie packte nach einigen Angaben für die Flucht Habseligkeiten in ihre Taschen. Das gesamte UN-Personal in Gaza-Stadt und im Norden des Küstengebiets sei aufgefordert worden, Richtung Süden nach Rafah zu fliehen.
"Unmöglich, so viele Menschen zu evakuieren"
"Vergesst Nahrungsmittel, vergesst Strom, vergesst Kraftstoff, die einzige Sorge ist jetzt nur, ob du es schaffst, ob du leben wirst", sagte Nebal Farsach, Sprecherin des Palästinensischen Roten Halbmonds in Gaza-Stadt, unter Tränen. Es sei unmöglich, 1,1 Millionen Menschen auf sichere Weise zu evakuieren.
Die islamistische Hamas im Gazastreifen hat den Aufruf der israelischen Armee zur Evakuierung des nördlichen Küstengebiets derweil als "Propaganda" bezeichnet. Zivilisten sollten nicht auf die "Propagandanachrichten reinfallen", teilte die im Gazastreifen herrschende Palästinenserorganisation am Freitag mit.
Aus Sicherheitskreisen aus dem Gazastreifen hieß es, dass Bewohner am Verlassen des Nordens gehindert werden sollten. Augenzeugen im Gazastreifen berichteten, mehrere Bewohner seien bereits von der Hamas gestoppt und zur Rückkehr in den Norden aufgefordert worden.
Patienten können nicht flüchten
Imad Abu Alaa, ein für Notunterkünfte im nördlichen Gazastreifen zuständiger UNRWA-Mitarbeiter, äußerte sich ähnlich wie Nebal Farsach . Es seien viel zu viele Menschen, die in zu kurzer Zeit evakuiert werden sollen, was nicht zu bewerkstelligen sei. "Was ist mit UN-Notunterkünften? Wir reden von Zivilisten. Plötzlich zählt das gar nicht mehr?"
Farsach vom Palästinensischen Halbmond ergänzte, dass es Patienten in Spitälern gebe, die sich unter den aktuellen Bedingungen nicht verlegen ließen. Viele medizinische Fachkräfte weigerten sich zudem, zu gehen. Sie wollten ihre Patientinnen und Patienten nicht im Stich lassen. Stattdessen hätten diese Ärzte ihre Kollegen angerufen, um sich von ihnen zu verabschieden.
"Lage in Gaza ist katastrophal"
Von prekären Zuständen in Gaza berichtet auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen. In ihrem Update vom Mittwoch schreibt Léo Cans, Einsatzleiter vor Ort: "Die Lage in Gaza ist katastrophal. Die Spitäler des Gazastreifens sind mit dem unablässigen Zustrom von Verletzten komplett überfordert."
Es herrsche allgemeine Panik, Menschen seien mitten in der Nacht per SMS darüber informiert worden, dass sie ihre Häuser verlassen müssten. "Für sie bedeutet das, die Kinder aus dem Schlaf zu reißen, um sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Zeit, um ihre Sachen mitzunehmen, bleibt ihnen nicht."
Israel will mit "erheblicher Härte" vorgehen
Israels Militär will in den kommenden Tagen mit "erheblicher Härte" im Gazastreifen gegen die militant-islamistische Hamas vorgehen. Zugleich würden die Streitkräfte "umfangreiche Anstrengungen" unternehmen, um zivile Opfer zu vermeiden, erklärte Militärsprecher Jonathan Conricus am Freitag. Man verstehe, dass es dort Zivilisten gebe, "die nicht unsere Feinde sind und die wir nicht ins Visier nehmen wollen". Daher forderte das israelische Militär sie zur Flucht auf.
Israels Militär hat die Zivilbevölkerung im Norden des Gazastreifens aufgerufen, in den Süden des nur 40 Kilometer langen Küstengebiets zu gehen. Von der Anweisung wäre die Hälfte der mehr als 2,3 Millionen Einwohner betroffen, darunter Hunderttausende Menschen in Gaza-Stadt.