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"Oxenfree II: Lost Signals" im Test – ein Indie-Juwel
Lange mussten Fans warten, bis der Nachfolger des ausgezeichneten "Oxenfree" endlich kam. Nun ist "Oxenfree II: Lost Signals" da und begeistert.
"Oxenfree" war 2016 ein beeindruckendes kleines Spiel. Nicht nur gelang es dem Indie-Titel von Night School Studio, mit reduzierter Optik und (fast) ohne Jumpscares eine bedrückende Atmosphäre zu schaffen: Trotz der Teenie-Horror-Prämisse waren die Dialoge glaubhaft – und das ohne sichtbare Mimik der Protagonisten. Die Handlung um von Geistern besessene Teenager, die eigentliche eine Partynacht auf einer Insel erleben wollten, und alternative Realitäten fesselte sofort. Doch die Bedeutung vieler Details und Entscheidungen, die im Spielverlauf ganz ohne dementsprechende Hinweise (à la Telltale) getroffen werden, erschlossen sich erst später. Entsprechend motivierte das Game zu zahlreichen neuen Spieldurchgängen.
Nicht anders verhält es sich nun mit dem zweiten Teil für PC, PlayStation 4 und 5 sowie Nintendo Switch. "Oxenfree II: Lost Signals", bei dem man sich eigentlich nur fragt, warum die Entwickler sieben Jahre lang gebraucht haben, um einen würdigen Nachfolger des legendären Games auf den Markt zu kriegen. Wieder dreht sich die Handlung um junge Menschen zwischen jugendlichem Abenteuersinn und Erwachsensein, und wieder mischt das Spiel eine ordentliche Portion Mystery und etwas Horror in die Formel. Noch besonderer wurde indes die Optik: "Oxenfree II" ist nicht mehr ganz so düster, sondern hat einen sehr künstlerischen, zeitweise bunten und fast schon psychedelisch anmutenden Look spendiert bekommen.
Von kurzer Spieldauer nicht abschrecken lassen
Außerdem ist das Kunstwerk nun nicht mehr ein stillstehendes, denn teilweise kommen neue Animationen ins Spiel, die Bewegung in die Sache bringen. Die Story von Riley und Jacob, die auf einer rätselhaften Insel Orte für Störsignale, die eine mysteriöse Bedrohung bannen sollen, dauert dieses Mal mit sechs Stunden nur unwesentlich länger als die des Vorgängers. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen, denn auch "Oxenfree II" bietet einen immensen Wiederspielwert durch verschiedenste Handlungsoptionen, sich immer neu zeigenden Story-Wendungen und erst im Nachhinein aufklärenden Geschehnissen neben wundervoll geschriebenen Charakteren und einer spannenden Handlung.
Beim Gameplay erwartet Kenner des Vorgängers viel Gewohntes: Riley Poverly sucht sich titelgemäß eine bestimmte Frequenz im Radio aus, um die Geister, die von Begleitern Besitz ergreifen, zu unterdrücken, daneben gibt es nur minimale Erkundung und Tätigkeiten, Story und Handlung werden zum größten Teil über Präsentation und Dialoge vorangetrieben. Und einmal mehr wurden die Charaktere mit der feinen Klinge herausgearbeitet. Auf der einen Seite Riley Poverty, die ihre Heimatinsel verlassen hat und irgendwie nicht im Erwachsenenleben Fuß fassen kann, auf der anderen Seite ihr ehemaliger Schulkollege Jacob Summers, der in seinem Heimatdorf blieb und sich darum kümmerte, dass Geld in die Kasse kam.
Das "Stranger Things" der Videospiel-Welt
Das ungleiche Duo wird schließlich von der rätselhaften Evelyn damit beauftragt, Sendestationen auf der mysteriösen Insel zu errichten, auf der das Abenteuer spielt. Dort berichten Zeugen von merkwürdigen Funksignalen, deren Ursprung und Sinn unbekannt ist. Auch Spieler werden lange Zeit im Ungewissen gelassen, denn das Game versteht es perfekt, sie auf eine Spur zu führen, nur um mit absolut überraschenden Wendungen und verrückten Geschehnissen plötzlich einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Das gemischt mit atmosphärischen (und manchmal auch ganz schön gruseligen) Grafik-Effekten wird das Insel-Idyll schnell zu einem Albtraum, in dem Kinder wieder eine Pforte zur Geisterwelt öffnen wollen.
Falls jetzt irgendwer an die Netflix-Serie "Stranger Things" denkt, kommt das nicht von ungefähr, denn Netflix tritt tatsächlich als Publisher auf und das Mystery-Game ist zudem so gut geschrieben, dass es auch als Streaming-Serie begeistern würde. Es sind aber nicht nur die großen Wendungen und die spannenden Erzählungen, die so am Indie-Game begeistern, sondern auch die vielen Details im Hintergrund. Die Charaktere besitzen ihre ganz eigenen Werdegänge, mit Sorgen, Ängsten und Emotionen, Träumen, Wünschen und Erfolgen. Wo andere Spiele ein Abziehbild eines Protagonisten hinkleben, nutzt "Oxenfree II" Figuren, in die man sich als Spieler sofort hineinversetzen und sie auch verstehen kann.
Zahlreiche Verbesserungen im Vergleich zum Vorgänger
Das Gameplay wiederum stellt sich als (gut gemeinter) Walking-Simulator dar. Während das Duo die Insel abläuft und nach den richtigen Stellen für seine Sendetürme sucht, spulen sich Dialoge am laufenden Band ab, in denen der Spieler Dutzende Entscheidungen über die Antworten treffen muss. Im Gegensatz zum hektischen Vorgänger hat man zur Wahl nun etwas mehr Zeit, dennoch wirkt die Wahl manchmal etwas zu gehetzt. Während die Texte als Sprechblasen beziehungsweise Untertitel auf Deutsch eingeblendet werden, gibt es eine nur englische, dafür aber hervorragende Sprachausgabe. Als Rätsel-Mechanik kommen dann noch kleine Raum-Zeit-Reisen ins Spiel, mit denen einige nette Puzzle gelöst werden sollen.
Verbessert im Vergleich zum Vorgänger wurden zahlreiche kleine Kritikpunkte. So spricht nun eine Figur ihren Satz fertig, wenn man währenddessen eine Dialog-Antwort auswählt und Gespräche werden auch beim Fortbewegen mit dem Wechsel der Hintergrund-Szenen fortgesetzt. Weiter hat man es aber mit zahlreichen Mini-Ladezeiten zu tun, da die Insel in verschiedene Bereiche untergliedert ist, die beim Wechseln geladen werden müssen. Beu wiederum ist ein Funkgerät, das von Riley beziehungsweise vom Spieler bedient werden muss – man spielt etwas an Reglern für die richtige Frequenz herum.
"Oxenfree II: Lost Signals" im Test – ein Indie-Juwel
Cool ist wiederum, wie sehr die Geschichte von den Charakteren, die man im Verlauf des Abenteuers trifft, beeinflusst wird. Hier kann man verschiedenste Wendungen, aber auch die eine oder andere Nebenaufgaben im sonst eher linearen Game herausholen. Dabei steht es dem Spieler oder ser Spielerin aber immer offen, wie man sich in den Dialogen verhält und ob man gestellte Nebenaufgaben wirklich erledigt oder die einfach links liegen lässt. Das alles wird von einem wunderbaren Soundtrack begleitet, der tatsächlich etwas an die Netflix-Serie "Stranger Things" erinnert. Auch Ruckler gibt es keinerlei.
"Oxenfree II: Lost Signals" zeigt sich als konsequente Weiterentwicklung des spannenden Vorgängers, mit einer neuen Handlung und wieder atemberaubend gut geschriebenen Charakteren. Das "Stranger Things" der Videospielwelt hat sich einen Platz unter den besten Games überhaupt redlich verdient, auch wenn sich das Gameplay in einem überschaubaren Rahmen bewegt. Dank eines enormen Wiederspielwerts zahlt sich das pro Durchlauf eher kurze Abenteuer aus. Lange mussten Fans warten, bis der Nachfolger des ausgezeichneten "Oxenfree" endlich kam. Doch das Warten hat sich gelohnt.