Ukraine

ORF-Star an Kriegsfront – so schlimm steht es um Ukrain

Wladimir Putin wirft die ganze Macht seiner Armee gegen die Verteidiger des Donbass. ORF-Reporter Christian Wehrschütz sagt, wie schlimm es steht.

Roman Palman
ORF-Korrespondent berichtete Anfang Juni 2022 aus Kramatorsk im ukrainischen Donbass.
ORF-Korrespondent berichtete Anfang Juni 2022 aus Kramatorsk im ukrainischen Donbass.
Screenshot ORF

Schon 105 Tage lang tobt der Krieg in der Ukraine. Die russische Armee hat nach der Pannen-Serie der ersten Wochen mehrere Fronten aufgegeben und konzentrierte sich nach der Eroberung des Südens auf den Donbass. Dort konnten aus Moskauer Sicht im Mai signifikante Fortschritte erzielt werden, doch ukrainische Gegenoffensiven konnten den Vorstoß wieder zum Halten bringen.

Seither tobt besonders in der bereits von Artillerie massiv beschossenen Stadt Sjewjerodonezk blutige Häuserkämpfe. ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz ist nun ebenfalls zurück in der Ukraine und wagte sich für einen Bericht in den Donbass, bis rund zwanzig Kilometer hinter die Front. Im Ö1 "Morgenjournal" schilderte er am Mittwoch seine Eindrücke.

Der Kriegsreporter berichtet von der völligen Luftüberlegenheit Russlands. "Ich habe vier MIGs gesehen, die praktisch völlig frei über dieses Territorium geflogen sind. Das ist nach wie vor ein Symbol der Schwäche für die ukrainische Luftabwehr." Zwar gebe es in diversen Telegram-Kanälen immer wieder Bilder von abgeschossenen Jets und Hubschraubern beider Seiten, doch "insgesamt macht es den Eindruck, dass es ein ungleicher Kampf ist."

Die ukrainischen Verteidiger versuchen nun massiv Ausrüstung und Soldaten in das umkämpfte Gebiet zu schaffen. Doch auch hier dürften die Verluste schwerwiegend sein. Wehrschütz erzählt, dass ihm alleine auf der rund vierstündigen Autofahrt in den Donbass rund 40 Rotkreuzfahrzeuge mit Blaulicht entgegengekommen seien. Diese hätten mutmaßlich das große Militärkrankenhaus in der Millionenstadt Dnipro zum Ziel. Die meisten Verletzungen der Soldaten seien auf Bombensplitter zurückzuführen.

Rückzug in Sjewjerodonezk nötig

Zu der verbissenen Verteidigung von Sjewjerodonezk hat Wehrschütz eine klare Meinung: die Ukraine sollte die Stadt aufgeben. "Sjewjerodonezk ist eine Stadt, die eine größere psychologische als militärische Bedeutung hat. Viel wichtiger wäre ein geordneter Rückzug auf die andere Seite des Flusses." Dort, in der Schwesternstadt Lyssytschansk, hätten die Ukrainer durch die erhöhten Positionen bessere Möglichkeiten, die Russen zu beschießen.

Rauchsäulen über der bombardierten Stadt Sjewjerodonezk.
Rauchsäulen über der bombardierten Stadt Sjewjerodonezk.
ARIS MESSINIS / AFP / picturedesk.com

Währenddessen versuchen Putins Truppen das gesamte Gebiet mit einer riesigen Zangenbewegung einzukesseln. Diese Bedrohung sieht der erfahrene ORF-Reporter – wie auch das britische Verteidigungsministerium – weiterhin bestehen.

Für die Ukrainer werde es wegen der enormen Artillerieüberlegenheit der Russen aber schwierig, die mittlerweile mehr als 1.000 Kilometer lange Frontlinie zu halten. Die Ukraine habe aber nur 95 Haubitzen von den USA erhalten, nicht genug um irgendwo mit Schwerpunkten das Feuer zu erwidern. Klar ist: "Die Ukraine kann ohne Waffenlieferungen des Westens militärisch nicht überleben."

Trommelfeuer durch Artillerie

Trotzdem haben die Russen kein leichtes Spiel. Während das Oblast Luhansk schon zu mehr als 90 Prozent unter ihrer Kontrolle ist, steht es im Oblast Donezk, zu dem auch etwa die Großstadt Kramatorsk gehört, für die Invasoren weit schlechter. "Da ist der Weg noch weit, doch da ist die Frage: Wer leidet im Abnützungskrieg am meisten?"

Es wird eng für die Ukrainer im Donbass: Er habe bei seiner Tour auch gesehen, wie mit Baggern hastig Schützengräben hinter der Front ausgehoben wurden, um dort einen russischen Durchbruch abfangen zu können. "Wenn das alles ist, dann ist das zu wenig", so die dramatische Einschätzung des Bundesheer-Reserveoffiziers Wehrschütz dazu. Wegen des Artilleriebeschusses brauche es "massive unterstände, alleine um dem Trommelfeuer auch moralisch standhalten zu können". 

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