Ukraine-Krieg
Oberst verrät jetzt, warum Ukraine vor dem Ende steht
Die Unterstützung für die Ukraine bröckelt – und ohne sie werde das Land untergehen, sagen Beobachter. Ein Militärstratege analysiert die Situation.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wollte sich am Dienstag in Washington für eine Fortsetzung der US-Militärhilfen für sein Land einsetzen. Geplant waren Gespräche mit US-Präsident Joe Biden sowie mit Vertretern beider Kongresskammern. Selenski wollte auch den republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, treffen, dessen Partei neue Hilfen für die Ukraine seit Wochen blockiert. Bei seiner Ankunft in Washington hatte der ukrainische Präsident am Montag eindringlich vor einem Auslaufen der US-Hilfen gewarnt: Verzögerungen dieser Hilfen seien "wahr gewordene Träume" für den russischen Staatschef Wladimir Putin.
Die oppositionellen US-Republikaner hatten in der vergangenen Woche ein von Biden vorgelegtes Finanzpaket im Volumen von 106 Milliarden Dollar abgelehnt. Es enthält Ukraine-Hilfen in der Höhe von 61,4 Milliarden Dollar. Washington ist der wichtigste Unterstützer Kiews im Krieg gegen die russischen Invasionstruppen. Und wenn diese Unterstützung wegfällt? Das analysierte am späten Dienstagabend der Militärstratege Oberst Markus Reisner in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Armin Wolf. Verstärkte russische Bombardements der Ukraine und ein beispielloser Cyberangriff ließen vermuten, dass "Russland die Gunst der Stunde nützt", wenn die Unterstützung der Ukraine bröckelt.
„Die Werte, die wir leben, die Unabhängigkeit, die wir haben, die freie Meinungsäußerung – das ist nur möglich, weil es Staaten wie Russland nicht möglich gemacht wird, andere Länder zu überfallen. Und das muss uns allen klar sein.“
Möglicherweise erlebe man bald eine zweite Luftkampagne Russlands gegen die Ukraine, so der Militärstratege. "Die Ukraine möchte natürlich das besetzte Gebiet zurück in Besitz nehmen und befreien", so Reisner. Um das zu schaffen, brauche es aber dringend Ressourcen. Und wenn durch abnehmende Hilfszusagen Ressourcen fehlen würde, müsse "die Ukraine ihre Ziele zurückstecken und womöglich akzeptieren", dass Russland die Gebiete besetzt halte. Es bestünde zudem die Gefahr, dass Russland noch weiter in die Ukraine vorstoßen könne, so Reisner. Vor allem die Munitionslieferungen hätten zuletzt massiv abgenommen.
"Ukraine hätte nicht mehr die Grundlage, entgegenzuhalten"
"Das Momentum", da gebe es erste Indizien dafür, gehe auf russische Seite über, so der Experte. Das Dilemma bestehe darin, dass die russische Seite begonnen habe, die kritische Infrastruktur der Ukraine anzugreifen und die Ukraine dadurch auf Nachschublieferungen angewiesen sei – dagegen habe Russland die Militärproduktion hochgefahren und schaffe es halbwegs, gemeinsam mit Indien und China die westlichen Sanktionen zu kompensieren. Wenn Nachschub ausbleibe, "dann hat Ukraine nicht die Grundlage, entgegenzuhalten", so Reisner. Russland könne außerdem auf ein riesiges Arsenal aus Sowjetzeiten zurückgreifen, so Reisner.
Es handle sich um altes Militärgerät, aber es müsse dennoch bekämpft werden, so der Stratege. "Die Ukraine braucht jetzt vor allem Fliegerabwehrsysteme und Kampfflugzeuge", so Reisner, außerdem benötige sie "weitreichende Waffensysteme", um die Logistik der russischen Truppen attackieren zu können. Damit müssten sich die Russen neu formieren, das habe man bereits bei den Lieferungen der Himars-Waffensystemen gesehen. Und es brauche Störsysteme gegen die Drohnen am Himmel, so Reisner. "Auf jeden Fall" hoffe der russische Kriegsherr Wladimir Putin zudem auf einen Sieg Donald Trumps bei den Präsidentenwahlen in den USA, so der Experte.
Eine harte Ansage des Militärstrategen an ganz Europa
Putin glaube, er könne die amerikanische Unterstützung der Ukraine einfach aussitzen, so Reisners Einschätzung. "Das ist die Absicht, die Putin verfolgt", so Reisner. Alle Augen seien nun auf die USA gerichtet, die USA befürchte nämlich, dass Russland mit dem Krieg "durchkommen" könne und das "Schule macht". Die USA hätten aber auch noch Taiwan vor Augen, mit dem Säbelrasseln Chinas im Hintergrund, so der Militärstratege. Und am Ende eine harte Ansage des Militärstrategen an ganz Europa: "Die Werte, die wir leben, die Unabhängigkeit, die wir haben, die freie Meinungsäußerung – das ist nur möglich, weil es Staaten wie Russland nicht möglich gemacht wird, andere Länder zu überfallen. Und das muss uns allen klar sein."