Analyse zum Ukraine-Krieg

Oberst Reisner sieht erste Signale für Waffenstillstand

Die Ukraine steht in ihrem Abwehrkampf vor beinahe überwältigenden Herausforderungen. Markus Reisner nennt nun drei Szenarien für ein Kriegsende.

Roman Palman
Oberst Reisner sieht erste Signale für Waffenstillstand
Oberst Markus Reisner begleitet den Ukraine-Krieg seit Beginn mit seinen inzwischen auch international beachteten Analysen.
YouTube/Österreichisches Bundesheer

"Die Ukraine ist mit einer schwer lösbaren Situation konfrontiert", sagt Oberst Markus Reisner in seiner jüngsten Lageeinschätzung zum Ukraine-Krieg auf ntv. Die russische Armee wirft mittlerweile täglich mehr als 100 Gleitbomben auf die ukrainischen Stellungen ab. Diese haben bis zu 3.000 Kilo schwere Sprengköpfe: "Das heißt, ein durchschnittlicher ukrainischer Kompaniestützpunkt oder Zugstützpunkt wird hier faktisch einfach vernichtet. Und das ist natürlich ein großes Problem", führt der Offizier in einem Interview mit "Ukrinform" weiter aus.

Die Ukraine bräuchte dagegen "massierte, aktive und passive Fliegerabwehr" unterschiedlicher Reichweite. Mindestens 25 Patriot-Systeme und 100 weitere Systeme mittlerer Reichweite wären aus seiner Sicht notwendig. Inklusive jüngster Zusagen bekommt Kiew aber nur 7 Patriot-Batterien. Die ebenfalls versprochenen F-16-Kampfjets könnten hier als aktive Komponente helfen, die russischen Flieger am Bombenabwurf zu hindern oder zumindest zu zwingen, noch weiter in ihren eigenen Luftraum zurückzuweichen.

"Wenn man es nicht schafft diesen massierten Einsatz von aktiver und passiver Fliegerabwehr für die Ukraine aufzustellen, dann wird es sehr, sehr schwierig, denn Russland hat die Möglichkeit, mit seinen Ressourcen, auch unterstützt von seinen Verbündeten, sukzessive diese Art der Kriegsführung zu steigern."

Selbst wenn die Ukraine weiter tapfer kämpft, kann sie nur ihr Ziel erreichen, wenn der Westen weiter zur Ukraine steht.
Markus Reisner
Oberst des Bundesheeres, Historiker, Kriegsanalyst

Einen solchen Abnutzungskrieg könne ein Land nur mit guten Verbündeten durchstehen. Das Dilemma der Ukrainer: Es scheitert nicht am eigenen Kampfeswillen, sondern faktisch ist der Wille ihrer Unterstützer entscheidend. Reisner: "Selbst wenn die Ukraine weiter tapfer kämpft, kann sie nur ihr Ziel erreichen, wenn der Westen weiter zur Ukraine steht."

Drei Szenarien für ein Kriegsende

Er zeichnet drei Szenarien vor, wie dieser Krieg enden könnte:

1) Die Ukraine bricht durch. Die russische Front gibt nach, die besetzten Landesteile werden wieder befreit, es endet mit der Wiederherstellung der Grenzen von 1991. Aufgrund des Drucks, den die russische Armee derzeit aber noch machen kann, ist die Wahrscheinlichkeit dieses Ausgangs laut Reisner gering.

2) Die Russen brechen durch. Die ukrainische Verteidigung kollabiert und die Russen erobern das Land bis nach Lemberg im Westen. "Auch hier Wahrscheinlichkeit gering, aber etwas höher als das erste Szenario", so der Offizier weiter. Die Kreml-Armee hätte für eine vollständige Eroberung wohl selbst nicht genügend Ressourcen. Wohl könnte sie einen Durchbruch oder Einbruch der Front aber weiter ausnützen.

3) Der Konflikt friert ein. Zu einem solchen Waffenstillstand entlang der Kampflinien könne es aber nur kommen, wenn beide Seiten auch einen Nutzen darin sehen. "Aber momentan sehen wir diese Situation im Kriegsverlauf noch nicht." Es gebe aber aus seiner Sicht bereits Signale in diese Richtung. Reisner erinnert dabei an die überraschende Aussage von Präsident Wolodimir Selenski, dass Russland bei der nächsten Friedenskonferenz dabei sein solle. "Möglicherweise ist das auch der Beginn von einem Sondieren hinsichtlich möglicher Verhandlungen."

Wir erleben gerade historische Ereignisse und niemand kann sagen, welche Entscheidung die richtige und die falsche ist.
Markus Reisner
Oberst des Bundesheeres, Historiker, Kriegsanalyst

Schon jetzt habe die Ukraine aber mit ihrem bisherigen Abwehrerfolg der russischen Invasion Geschichte geschrieben, betont der Historiker: "Hunderte Bücher werden über das geschrieben werden."

Doch: "Das bedeutet natürlich jetzt nicht, dass die Ukraine knapp vor einem Sieg steht. Vielleicht wird es einen Kompromiss geben aufgrund dieses elenden Ressourcenkrieges." Auch Deutschland habe Jahrzehnte der Teilung durchstehen müssen, bis es schlussendlich wieder zusammengefunden habe.

Geschichte ist nicht das Jetzt

"Das ist jetzt kein Vorgriff, aber ich möchte nur ganz kurz darstellen, dass die Geschichte nicht das Jetzt ist, sondern eine Aneinanderreihung von Ereignissen, die in der Vergangenheit stattgefunden und die in der Zukunft noch passieren werden."

Was am Ende wirklich passieren wird, darüber kann nur spekuliert werden. Reisner stellt klar: "Wir erleben gerade historische Ereignisse und das ist den meisten nicht bewusst. Niemand kann sagen, welche Entscheidung die richtige und die falsche ist. Das wird der Historiker erst in der Nachschau sagen."

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    Auf den Punkt gebracht

    • Oberst Markus Reisner warnt vor der schwer lösbaren Situation im Ukraine-Krieg
    • Er betont die Notwendigkeit massierter Fliegerabwehr und kritisiert die unzureichende Unterstützung seitens des Westens
    • Reisner skizziert dabei auch drei mögliche Szenarien für ein Kriegsende
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