Buch über Kraftausdrücke

"Nicht Deppat": Wienerin hat Doktortitel für Schimpfen

Oksana Havryliv schrieb ihre Doktorarbeit über das Schimpfen. Nun will sie aber auch Menschen außerhalb der Forschung das Schimpfen nahebringen.

Wien Heute
"Nicht Deppat": Wienerin hat Doktortitel für Schimpfen
Oksana Havryliv kam 1994 als frisch gebackene Germanistik-Absolventin aus der Ukraine nach Wien
NDR/Uwe Ernst

Als sie als Studentin am Naschmarkt als "Du Deppate!" beschimpft wurde, hat sich Oksana Havryliv gefreut. "Immer wenn ich neues Schimpf-Material entdeckt habe, war das eine Freude für mich".

Am schönsten ist es, wenn die Wiener poetisch beleidigen, findet die Wahlwienerin Oksana Havryliv. "1994 kam ich, als frisch gebackene Germanistik-Absolventin, aus der Ukraine im Rahmen eines Austauschprogramms nach Wien. Damals war ich auf der Suche nach einem interessanten Thema für die Doktorarbeit. Ich hatte zwei Kriterien: Es sollte unerforscht und lebensnah sein: So kam ich zur Erforschung von Schimpfwörtern."

In der heiteren Heurigen-Atmosphäre mit Freunden klang das Thema damals wahnsinnig interessant. Im wissenschaftlichen Alltag erwies es sich aber als eine echte Herausforderung, so die Autorin und VHS-Referentin Oksana Havryliv. In Meidling gibt sie am 26. April eine Kostprobe ihrer Forschung - "im Seminar geht es um interkulturelle Besonderheiten des Schimpfens sowie der Wahrnehmung von Schimpfwörtern und Reaktionen auf Beschimpfungen", verspricht sie. Und das gratis.

Von den Schulhöfen und aus dem Nahen Osten kommt die Verwandtenbeleidigung

Oksana Havryliv hat festgestellt, dass man sich beim Schimpfen meist aus einem der vier Kategorien beleidigt: Im Deutschen gibt es eine Fixierung auf den fäkal-analen Bereich (z.B. "du Arsch!") - das ist auch üblich in Frankreich und der Ukraine. "Die sexuelle Schimpfkultur
ist sehr verbreitet im serbischen, englischen und russischen Sprachraum. (Jebem ti majku (B/K/S "Ich f*** deine Mutter", иди нахуй / "idi nachuj" (russisch wörtlich "Geh auf den Sch..." sinngemäß "f*** dich"/schleich di."

Die sakrale Schimpfkultur ist in Spanien und Italien sowie in bayrischen und österreichischen Gegenden mit katholischer Geschichte verbreitet und wird vor allem von älteren Leuten verwendet (Beispiel: "Sakra! Himmel, Herrgott A**** und Zwirn!")

Die vierte Kategorie war in Österreich bislang nicht so verbreitet, breitet sich in Folge von Sprachkontakten aber über die Schulhöfe allmählich in der Jugendsprache aus: Aus dem Nahen Osten kommt die Verwandtenbeleidigung, insbesondere die rituelle Mutterbeleidigung. Manche machen es sich noch leichter, die sagen: "Shit!", "Fuck!" oder "AMK" (türkisch für "Ich f*** dich"). Oksana Havryliv weiß das, denn sie forschte auch an 12 Wiener Schulen. Sie hat tausende Schimpf-Belege gesammelt, mündliche Umfragen gemacht und 700 Wiener interviewt. Dabei wurde sie finanziell vom FWF-Wissenschaftsfonds unterstützt.

Schimpfen muss sein - aber beleidigend muss es nicht sein

An Schulhöfen, aber auch bei Erwachsenen hat Schimpfen eine wichtige Funktion: das Abreagieren. "Schimpfen hat eine reinigende Funktion. Man braucht negative Emotionen nicht unterdrücken, die sind normal. Aber es gibt die Möglichkeit, nicht beleidigend zu schimpfen."

Man könne schimpfen und Dampf ablassen, ohne die Person zu beleidigen. Das gelingt, indem man die Wut auf eine Situation oder Sache umlenkt. Statt "Du Idiot, wo bleibt die Abrechnung?!" wäre ein "Verdammt noch mal, wo bleibt die depperte Abrechnung?!" genauso deutlich – aber weniger verletzend. Noch mehr Wissen über das Schimpfen und auch Ideen, wie man auf höherem Niveau schimpft, hat die Forscherin in einem populärwissenschaftlichen Buch gebündelt, das jetzt neu auf dem Markt ist: "Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen", heißt es.

"Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen"
"Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen"
Heute

Dass Schimpfen eine Bildungsfrage ist, war eine Hypothese. "Meine Ergebnisse bestätigen das nicht. Bildung und Geschlecht machen beim Schimpfverhalten keinen Unterschied." Die Forscherin räumt ein, dass manche Befragten in den Umfragen womöglich aus Höflichkeit und Hemmungen weniger Material geliefert haben, als sie gekonnt hätten.

Sie promovierte nicht nur über die Schimpfwörter am Beispiel österreichischer modernen Literatur und erforscht seit 30 Jahren verbale Aggression und verbale Gewalt. Neben den über 80 sprachwissenschaftlichen Publikationen hat sie die Ergebnisse dieser langjährigen Forschungsarbeit in ihrem populärwissenschaftlichen und unterhaltsamen Buch präsentiert: "Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen" (Komplett-Media Verlag 2023).

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    Denise Auer, IStock (Symbolbild, Fotomontage)

    Auf den Punkt gebracht

    • Oksana Havryliv, eine Wahlwienerin und Germanistik-Absolventin aus der Ukraine, hat ihre Doktorarbeit über Schimpfwörter geschrieben und erforscht seit 30 Jahren verbale Aggression und Gewalt
    • Sie stellt fest, dass Schimpfen eine wichtige kathartische Funktion hat und nicht unbedingt beleidigend sein muss, da man seine Wut auf eine Sache lenken kann, anstatt eine Person zu beleidigen
    • Sie hat auch ein populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel "Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen" veröffentlicht, in dem sie einige poetische Beleidigungen aus verschiedenen Sprachräumen präsentiert
    • Am 26.April wird sie eine kostenlose Kostprobe ihrer Forschung in Meidling geben
    red
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