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"New World" im Test: So gut ist das gigantische MMO
Gut Ding braucht Weile: Amazons neues MMORPG "New World" verschob sich immer wieder, das fertige Game überzeugt nun aber als gigantisches Abenteuer.
Schon mehrmals durften wir bereits bei den Betas in Amazons neues Game "New World" reinschnuppern. Nun ist es endlich Zeit für das finale Fazit: Im "Heute"-Test zeigen wir dir, was "New World" zu bieten hat, ob es sich mit MMO-Giganten wie "World of Warcraft", "Elder Scrolls Online" oder "Final Fantasy XIV" messen kann – und ob es genug Inhalt bietet, um die nächsten Monate oder gar Jahre damit beschäftigt zu sein. Los geht es mit einigen Schnelldurchlauf-Eindrücken, danach folgt der ausführliche Test.
Kein anderes Online-Multiplayer-Rollenspiel wie "New World" sorgte in den letzten Monaten für so einen erwartungsvollen Hype. Jetzt ist das Game erschienen und die Fans durften zum Start statt Erkundungsjagd stundenlang in der Warteschleife warten. Die Server wurden nämlich vom Ansturm zum Releasetag überrannt. "Sie sind in Position 1430", hieß es nach dem Erstellen des Charakters. Die Zahl sank nur schrittweise im Minutentakt. Vorbesteller und Spontankäufer zugleich mussten lange Wartezeiten auf sich nehmen. Das führte auch zu frustrierten Spielerinnen und Spielern.
Rekordbrechender Start verspricht Großes
Trotzdem hat "New World" einen rekordbrechenden Start hingelegt. Über 700.000 Spieler und Spielerinnen waren direkt nach dem Launch des Spiels gleichzeitig eingeloggt und katapultierten das Game an die Spitze von Steam. Einige User und Userinnen nehmen die Wartezeit aber locker. So schreibt jemand: "Super Warteschlangen-Simulator. Ich kann in der Zwischenzeit Kaffee kochen, die Wäsche machen und auch noch kochen! 10 von 10 Punkten für den Haushalt!" Immerhin schaltet Amazon nach und nach weitere Server online. So kamen wir auch in den Genuss des Spiels.
"New World" ist beim ersten Einstieg bereits optisch attraktiv. Die Grafik überzeugt und sieht in Anbetracht der riesigen Spielwelt durchaus modern aus. Das Kampfsystem ist simpel gehalten und actionorientiert. Kein Point-and-Click, sondern auf Knopfdruck schlagen, ausweichen und blocken. Es erinnert an Spiele wie "Elder Scrolls" oder "Dark Souls", wo Timing gefragt ist. Zur Auswahl stehen Waffen wie Äxte, Schwerter, Bögen oder Zauberstäbe. Abgesehen vom Kämpfen setzt das Spiel den Fokus auf Handwerken und Sammeln. Besonders auf Zweiteres.
Bäume fällen und Wildschweine jagen
Am Anfang ist viel Zeit und Geduld gefragt, um nur einen einzelnen Baum zu fällen oder Wildschweine auszunehmen. Im späteren Spielverlauf wird das Ganze etwas schneller. Für Ungeduldige ist das vielleicht ein Deal-Breaker. Am Anfang dauert Holzhacken, Tiere ausweiden und Bergbau aber ziemlich lange. Geduld ist gefragt. "New World" ist das erste große Spiel von Amazon Game Studios und erschien für den PC. Das Game wird in Zukunft vom schier unendlichen Budget des Onlinehändlers weiter unterstützt, große Updates dürften also garantiert sein.
Klar ist auch nach tagelangem Spielen: Alles haben wir im Test natürlich nicht gesehen, vielleicht sogar nur einen kleinen Bruchteil davon. Ausgelegt ist das Spiel nämlich auf Wochen, Monate und Jahre – alleine den Spielcharakter halbwegs stark aufzuleveln, dauert Tage. Dennoch macht das Spiel richtig viel Laune und hält bereits mit seiner Story an der Stange. "New World" versetzt uns in einer Zeit vor rund 400 Jahren auf die Insel Aeternum, die so mysteriös wie anziehend ist. Schätze unfassbaren Werts sollen sich dort verstecken, auch eine magisch wirkende Substanz, doch niemand überlebte den Ausflug.
Wer Fantasy mag, wird "New World" lieben
Unser Held oder unsere Heldin schreckt das natürlich nicht ab und lernt direkt bei der unsanften Ankunft auf der Insel, dass sie jede Menge Gefahren zu bieten hat. Knapp die "Anreise" überlebt, stehen wir monströsen Kreaturen – offenbar einstige Abenteurer – gegenüber und werden in einen beinharten Kampf der überlebenden Inselbewohner hineingezogen. Die eher typisch startende Handlung bietet zwar klassische Fantasy- und Abenteuer-Zutaten, weiß aber mit geschickt erzählten Details und einer toll inszenierten Story (leider bisher aber nur in den Hauptmissionen) zu gefallen. Wer Fantasy mag, wird "New World" sicherlich lieben.
Bombastisch gewandelt hat sich im Vergleich zu den Betas übrigens die Grafik .Ruinen, Hütten und Häuser waren in den Betas eher grob gestaltet und auch sonst zeigte die Insel-Atmosphäre mit Wald-, Strand- und Bergarealen eher nicht im Hochglanz-Look. Das ist nun ganz anders: Die Videosequenzen machen Hollywood-Kino Konkurrenz und direkt bei unserem Eintreffen am Strand der Insel sind die Eindrücke fantastisch: Zertrümmerte Schiffe türmen sich an der Küste auf, der Sandstrand geht in felsiges Schluchten über, die zu saftigen Dschungelgebieten führen. All das bietet traumhafte Details, beeindruckende Tag- und Nachtwechsel und bombastische Lichteffekte. Das Spiel ist traumhaft schön geworden.
Etwas andere MMO-Herangehensweise
Schön gelöst ist auch, dass es in jeder Region und Umgebung nicht nur abwechslungsreiche Tier- und Pflanzenwelten gibt, sondern auch recht unterschiedliche Ressourcen und Materialien zu finden sind. Und gesammelt wird in "New World" viel. Wobei es hier kein simples "Finden und Aufheben" gibt – Holz wird von gefällten Bäumen gewonnen, Fische aus dem Wasser geangelt, das Wildschwein wird selbst fachgerecht zerlegt. Das macht die eigentlich eintönige Materialsammlung abwechslungsreich, auch wenn einige Spieler, die einfach schnell Materialien einstreifen wollen, genervt davon sein könnten. Die Spielwelt selbst zeigt sich riesig und verfügt über massig Schätze. Begrenzt ist die freie Erkundung aber dadurch, dass je nach Region die Feinde wie Tiere, aber auch gigantische Monster, oft über weit höhere Level-Klassen verfügen, als wir sie mit unserer Spielfigur bisher erreicht haben.
Was allerdings bisher schade für PvE-Spieler ist: Die Neben-Quests sind noch ziemlich handlungsarm gestaltet. Auftraggeber sagen uns, was wir töten oder sammeln sollen – und das erledigen wir. Andere Rollenspiele haben da spannende Geschichten zu erzählen, die die Handlung vorantreiben, in "New World" bleibt es bisher beim simplen Auftrag abseits der spannenderen Hauptaufgaben. Will "New World" allerdings auch für Gamer, die lieber solo unterwegs sind, attraktiv bleiben, müssen dringend mehr und attraktivere Missionen Einzug halten. PvP-Player dagegen – sie schalten den Kampf gegen andere Spieler einfach in den Dörfern der Spielwelt frei – bekommen neben den nervenaufreibenden Spieler-Gefechten auch weit bessere nebenaufgaben spendiert.
Der beste Sound, den Spiele zu bieten haben
Entschädigt wird der Spieler jedoch mehr als genug von der Spielwelt selbst. In kaum einem anderen MMORPG ist sie tatsächlich so lebendig wie in "New World" ausgefallen: Sand wirbelt im Wind herum, Bäume biegen sich bei Sturm, Tiere kreuzen immer wieder unseren Weg – das Spiel wirkt einfach zu keinem Moment "starr". Dazu kommt ein unglaublich gut abgestimmter Sound: Jeder Windstoß, jedes Tier, jede Bewegung bekam einen eigenen Effekt spendiert, mit Einheits-Gepiepe ist endlich Schluss. Heult spätnachts eine riesige Kreatur im Wald oder schreit uns ein Helm-bewehrter Feind blechern an, entsteht eine Atmosphäre, die die meisten AAA-Games nicht zu bieten haben.
Ganz große Klasse sind auch die Kämpfe. Wer erwartet, mit Prügel, Schwert, Speer oder Zaubersprüchen einfach auf Gegner draufzuhalten, wird über die kämpferischen Freiheiten verwundert sein. Die Waffen bieten verschiedenste Angriffsmöglichkeiten – Speere etwa können dazu genutzt werden, um Feinde von den Beinen zu fegen und sie mit gezieltem Stechen auf Abstand zu halten, aber sie können auch geschleudert werden. Jede Waffe zeigt übersichtliche, aber Waffen-spezifische Move-Sets. Jede Waffe bietet zudem zwei Skill-Trees mit Spezialisierungen, die sich automatisch durch die Nutzung der jeweiligen Waffe freischalten.
Darum der Vergleich mit "Dark Souls"
Ein klassisches Klassen-System bietet "New World" nicht, was es vor allem jenen Spielern leichter macht, die gerne mit verschiedenen Ausrüstungen experimentieren. Die Waffe bestimmt nämlich die Art, wie ein Kämpfer im Spiel auftritt: Schwertkämpfer sind starke Nahkämpfer, Bogenschützen Fernkämpfer und Speerträger flinke Mittelstrecken-Kämpfer mit einer guten Balance aus Attacken und Ausweichen. Elf Waffen stehen bisher zur Verfügung, mit denen man die Spielfigur individualisieren kann. Massenschlachten gibt es zwar, der Fokus liegt aber eher auf Begegnungen von kleineren Gruppen, und da spielt sich "New World" tatsächlich etwas wie ein "Dark Souls".
Auch überlevelt können einfache Feinde schnell zum Spieltod führen, wenn man sie unterschätzt und direkt draufhält. Jeder Feind verfügt über eigene Bewegungsmuster und Schwachstellen, die erkannt und geschickt ausgenutzt werden sollen. Attacken kann man per Tastendruck ausweichen oder die mit spezieller Ausrüstung blocken, angegriffen wird mit leichten (schnelleren) und starken (langsameren) Bewegungen. Jede Waffe verfügt außerdem über drei Spezialeffekte, die allerdings nach dem einmaligen Aktivieren lange brauchen, bis sie sich wieder aufgeladen haben. Entsprechend muss man taktisch vorgehen und kann nicht einfach nur Angriffe und Spezialfähigkeiten spammen. Ein spannender Ansatz, der gefällt. Und: Es finden sich auch zwei automatisch aufladende Magie- und Ausdauerleisten, die man im Auge behalten muss.
Viele Rätsel, viel Experimentierfreude
Doch die Kampf-Mechanik geht noch viel mehr ins Detail: Bei der Waffenherstellung lassen sich durch Materialien Effekte und Buffs auf den Items anbringen, um den Schaden und die Reichweite zu erhöhen, Magie hinzuzufügen oder sogar Flächenschaden anzurichten. Und je nach getroffener Stelle am Körper des Feindes steigt und sinkt nicht nur der Schaden, auch die Wartezeit für besondere Attacken kann sich erhöhen oder verringern. Durch Statuswerte sowie Ausrüstung sind auch verschiedenste Builds möglich, wobei vor allem bei den Ressourcen noch gerätselt wird, welche Materialien zu welchen Gadgets kombiniert werden könne. Zwischen zwei Waffen darf man übrigens jederzeit im Kampf wechseln.
Den Waffen ähnlich zeigen sich die Rüstungen, die man erst tragen kann, wenn man die für das jeweilige Teil notwendige Charakterstufe erreicht hat. Auch sie bestimmen je nach Schwere und Art, ob wir mehr Treffer aushalten oder und schneller bewegen können – riskanteres Spiel mit leichter Rüstung sorgt zudem für mehr ausgeteilten Schaden, dafür können starke Rüstungen Gegner auch ins Straucheln bringen oder gar kurzzeitig außer Gefecht setzen. Der Raum zum Experimentieren ist jedenfalls gigantisch, ebenso der Spaß daran. Rollenspiel-typisch gibt es zusätzlich aber auch ein ganz klassisches Fähigkeiten-System, in dem man nach jedem erspielten Rang Punkte vergeben darf.
Wer im Kampf bestehen will, muss sich organisieren
Sie "klassisch" verteilten Skill-Punkte wirken sich nicht nur auf Gesundheit und Stärke aus, sondern sind ebenfalls mit allen anderen Mechaniken verzahnt, lassen besser Beute einstreifen oder bestimmen, mit welchen Waffen oder mit welcher Magie man mehr Schaden anrichten kann. Verskillen kann man sich nie, denn alle Werte lassen sich für Ingame-Währung zurücksetzen und neu vergeben. Überschaubar ist, was man sonst noch im Kampf nutzen kann: Zwar gibt es unzählige Tränke und Kräuter für Heilung und Buffs, aber nur vier Plätze für den Schnellzugriff. Auch hier muss also gut organisiert werden, was man in welcher Situation brauchen wird.
Richtig Klasse spielen sich übrigens nicht nur die Kämpfe gegen die KI-Figuren und -Monster, sondern auch gegen menschliche Mitspieler. Wichtig dabei: Sie bleiben immer fair, auch das ist ein Vorteil des einfach wirkenden, aber ausgeklügelten Kampfsystems. Wer dabei zögert oder Bewegungen der Feinde nicht richtig erkennt, zieht schnell den kürzeren. Doch es geht natürlich nicht nur gegeneinander: Auf Expeditionen muss man zwingend andere Spieler mitnehmen, je nachdem wie viele es sind, desto mehr und stärkere Gegner treten in dem Abenteuer auf. Je mehr es sind, desto hektischer wird es aber auch. Unser Tipp: Gruppen klein halten, dann steht man sich nicht im Weg und behält die Übersicht. Gerade die größeren schlachten waren nicht unbedingt nach unserem Geschmack, weil es zu viel zum Gewusel ausartet.
"New World" nimmt Bekanntes und macht Neues daraus
Dass "New World" zwar klassische MMO-Prinzipien nutzt, diese aber gekonnt neuartig auslegt, zeigt sich auch in vielen anderen Bereichen des Spiels. Berufe erlernen, Gebäude errichten, Ressourcen sammeln, Items herstellen? Alles vorhanden, allerdings meist nicht ganz so, wie man es erwartet. Jeder Beruf kann nur eine überschaubare Anzahl an Dingen herstellen, die wiederum für bessere Items mit anderen Produkten kombiniert werden müssen. Gleichzeitig sind die grundlegend notwendigen Materialien massig vorhanden, müssen jedoch nicht simpel eingesammelt, sondern mit der Spitzhacke aus dem Stein geschlagen oder mit der Axt aus dem Baum gehackt werden.
Zurück zum Rätseln: Während man bei vielen Materialien weiter nicht weiß, für was sie überhaupt gut sind und verwendet werden können, trickst das Spiel beim Craften etwas: So gut wie alle herstellbaren Gegenstände und Waffen können aus mehr als nur einem gesammelten Material produziert werden. Heißt: Spieler werden kaum überschüssige Rohstoffe besitzen, denn ähnliche Materialien wie etwa verschiedene Kräuter können zum selben Ergebnis, nämlich einen Heiltrank, zusammengebrüht werden. Je nach verwendeten Materialien besitzt dann auch dieser verschiedene Stärken und Schwächen. Ein kluger Schachzug, so macht Sammeln und Craften mehr Sinn als in zahlreichen anderen Games. Gleichzeitig spielt der Zufall eine weitaus weniger große Rolle – wer mühsam gesammelte Materialien verwendet, bekommt auch ein sehr gutes Item.
Gigantisch großes und gigantisch gutes Game
Zurück zu den Schlachten und dem PvP: Gekämpft wird nicht nur Spieler gegen Spieler, Zocker können sich auch einer der drei großen Fraktionen auf der Insel anschließen, die versuchen, das Dutzend Gebiete auf der Karte unter ihre Kontrolle zu bringen. Dazu muss die jeweils von einer Fraktion gehaltene Burg von der angreifenden Fraktion eingenommen werden, was nur zu bestimmten Spielzeiten möglich ist. Zuvor werden alle Beteiligten über die Schlacht informiert, ein Überrennen bei Nacht und Nebel ist dadurch nicht möglich. Auch hier hat Amazon gute Mechaniken eingesetzt, um die Balance zu halten: Je nachdem ob man einer herrschenden oder angreifenden, siegreichen oder unterlegenen Gruppe angehört, gibt es attraktive Boni, ein Sperrsystem verhindert das dauernde Wechseln der Fraktionen und gemeinsam wird bestimmt, welchen Zielen man sich in der Spielwelt widmen will.
Abseits vom Kampf und Entdecken darf man sich in "New World" übrigens auch Grundstücke kaufen, eigene Häuser bauen und diese sogar einrichten (klar, auch dafür gibt es Boni!), Outfits anpassen und Waffen personalisieren – letztere Punkte teils mit Echtgeld im Ingame-Shop. Anders als MMORPGs wie "Final Fantasy XIV" braucht es nach dem Kauf von "New World" nämlich kein monatliches Bezahl-Abo zum Zocken. Lobenswert: Im Shop gibt es trotzdem bisher keine spielerischen Vorteile zu kaufen. Was außerdem nach mehreren Spieltagen gewertet werden kann: "New World" ist in vielen Belangen ein gigantisch gutes Game geworden. Für eine Ablöse der bisherigen MMORPG-Granden braucht es zwar dringend noch ein besseres Quest-System – Crafting, Kampf, Entdeckung und Technik sind jedoch allererster Güte und dürften auch Genere-Neulinge schnell von den Reizen eines MMORPG überzeugen können.