Jetzt wirds unbequem
Neue EU-Regel macht Baumwollkleidung illegal
Die EU peilt eine Kreislaufwirtschaft an, wobei die Baumwolle eigentlich keine Rolle mehr spielen darf. Aber: Ein Verbot hätte drastische Folgen.
Die EU übt Klimaneutralität und schraubt dafür an der eigenen Gesetzgebung: Umweltzuschläge auf Flüge, Verbrennerauto-Verbot ab 2035 – und nun soll es der Baumwolle an den Kragen. Baumwolle? Genau. Bis 2030 sollen 50 Prozent aller Textilien rezyklierbar und 25 Prozent vollständig kreislauffähig sein. Bis 2050 strebt die supranationale Union sogar die vollständige Kreislauffähigkeit im Textilsektor an.
Das Problem: Baumwolle – nach wie vor die beliebteste Textilie überhaupt – kann den neuen Vorgaben der EU nicht gerecht werden. Die Baumwollfaser ist zu klein und zu schwach, um vollständig in ein zirkuläres Modell zu überführen, schreibt unter anderem das Mode-Newsportal "Fashion United". Und wir wissen ja: EU-Regeln werden in der Schweiz im Normalfall übernommen.
Nur 20 Prozent Recycling ist möglich
Aber der Reihe nach: Baumwolle ist also nicht für modernes Recycling geeignet? "20 Minuten" lässt sich das von Tailorlux erklären. Das deutsche Unternehmen kümmert sich unter anderem um die Rückverfolgbarkeit von (rezyklierter) Baumwolle. Geschäftsführer Tobias Herzog führt aus: "Baumwolle wird heute hauptsächlich mechanisch recycelt, dabei verkürzt sich die Faserlänge, was die erneute Verspinnung zu einem Garn nur mit Neuware ermöglicht."
Nur 20 Prozent Recycling von zurückgegebener Baumwollkleidung sei deshalb möglich, so Herzog, ohne dass der Tragekomfort von neuen Erzeugnissen leidet. Heißt wiederum: Baumwolle wird bis 2030 wohl weiträumig verschwinden. Das Problem: Laut Umweltschutzorganisation WWF bestehen etwa 43 Prozent aller Textilien in der EU aus Baumwolle, wobei das Verhältnis in der Schweiz ähnlich hoch sein dürfte.
Durchschnittlich 15 Kilo Kleider pro Jahr
Bedenkt man dabei, dass die rund 450 Millionen EU-Bürger im Schnitt 15 Kilogramm Kleider pro Jahr kaufen, sprechen wir hier von einer gigantischen Menge Baumwolle, die von der Industrie in kürzester Zeit ersetzt werden muss.
Kein Wunder, befürchtet sind drastische Folgen: "Um sie zu ersetzen, müsste man ein Material finden, das bei gleichen Gebrauchseigenschaften nachweislich geringere Umweltbelastungen hervorruft und auch den Bedarf decken kann", sagt Experte Harald Junker vom deutschen Umweltbundesamt auf Anfrage.
"Fashion United" zeigt zu diesem Aspekt auf: Für die Herstellung von einem Kilogramm Standardbaumwolle braucht es etwa 10.000 Liter Wasser und einen Liter Chemikalien, darunter Pestizide, die den Boden auslaugen.
Kommt jetzt tatsächlich Plastik ins Spiel?
Stellt sich nur die Frage: Welcher Stoff könnte diese raue Menge an Baumwolle ersetzen? Die Antwort liegt für Modeexperte und Designer Jeroen van Rooijen nahe: Plastik. Dies fände er bedauerlich, wie er gegenüber "20 Minuten" sagt.
Denn Plastik verbrauche zwar weniger Wasser, sei aber hinsichtlich Tragekomfort deutlich schlechter. "Die Baumwolle ist etwas vom Angenehmsten, man kann sie das ganze Jahr tragen, das ist eine Schlüsselfaser für die Industrie", sagt van Rooijen.
Selbst wenn die Schweiz das Gesetz für einmal nicht übernimmt: Die internationalen Moderiesen würden für das Land wohl keine Ausnahme machen, sagt er. Dann dürfte es bald kaum noch Baumwolle geben. Nur Schweizer Hersteller könnten dagegen rebellieren. "Die Baumwolle wird dann vielleicht politisch und zum Luxusprodukt wie Seide", sagt van Rooijen.
Wie schnell reagiert die Technologie?
Er hofft, dass es mit der Verordnung eine technologische Entwicklung gibt, um den Recycling-Anteil von Baumwolle in Kleidern erhöhen zu können.
Laut Herzog gibt es diese Technologien zwar bereits am Markt, sie werden aber noch nicht wirklich in industriellem Massstab genutzt und gefördert. Die Recyclingquote insgesamt sei erschreckend gering.
Es werde aber keine Alternativen geben, als neue Recyclingtechnologien gezielt zu fördern. Eine Verdrängung der Baumwolle sei keine Lösung angesichts der Alternativen. "PET-Fasern lassen sich auch nur zu bestimmten Anteilen rezyklieren und sind dazu mit dem Problem des Mikroplastiks belastet. Andere Optionen, wie etwa die Zellulose, können eine Lösung sein, stehen aber noch bezüglich zirkulärer Rohstoffe am Anfang", so Herzog.
Letztlich sei Europa weder bei Baumwolle, PET oder Zellulose als Erzeuger relevant. Deshalb glaubt Herzog, dass die EU-Regel nochmals überarbeitet werden muss. Van Rooijen pflichtet bei und sagt gleichzeitig: Das beste Recycling ist immer noch Secondhand.
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Auf den Punkt gebracht
- Die EU plant, Baumwollkleidung bis 2030 weitgehend zu verbieten, um ihre Ziele einer Kreislaufwirtschaft zu erreichen, da Baumwolle nicht vollständig recycelbar ist.
- Dies könnte drastische Folgen haben, da Baumwolle derzeit einen großen Anteil an der Textilproduktion ausmacht und es schwierig sein wird, ein gleichwertiges Ersatzmaterial zu finden, das umweltfreundlicher ist und den Bedarf decken kann.