Bente Scheller
Nahost-Expertin: Hamas-Vernichtung ist unrealistisch
In der ZIB2 äußerte sich die deutsche Politologin Bente Scheller zum Krieg im Gazastreifen und erklärt, warum den US-Friedensplan (noch) keiner will.
US-Präsident Joe Biden hatte am Freitag Details eines Entwurfs für einen Friedensplan in drei Phasen präsentiert, dem allerdings weder Israel noch die Hamas bisher zugestimmt haben.
Der Drei-Stufen-Plan sieht zunächst eine vollständige und uneingeschränkte Waffenruhe von sechs Wochen vor. In diesem Zeitraum würde eine bestimmte Gruppe von Geiseln freigelassen. Im Gegenzug würden Palästinenser freikommen, die in Israel inhaftiert sind.
In der nächsten Phase würden die Kämpfe dann dauerhaft eingestellt, die verbliebenen Geiseln freigelassen und die israelische Armee abgezogen werden. In einer letzten Phase solle der Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.
Nur: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist vom wachsenden Druck aus Washington gar nicht begeistert, lehnt einen Waffenstillstand ab. Somit verhärten sich auch die Fronten zwischen den beiden Verbündeten zunehmend.
Nahost-Expertin über den Plan
In der ZIB2 war dazu Dienstagnacht erneut die deutsche Politwissenschaftlerin und Nahost-Expertin der Heinrich-Böll Stiftung Bente Scheller zu Gast. Sie war zuletzt Mitte April und davor im Oktober 2023 aus Berlin ins ZIB2-Studio zugeschaltet gewesen.
Im Gespräch mit Armin Wolf erklärte sie, dass die USA großes Interesse hätten, hier zu einem schnellen Ende des Krieges beizutragen. Daher auch der Druck auf die israelische Regierung aus dem Weißen Haus. Im vorgelegten Plan seien viele Dinge aber noch nicht ausbuchstabiert. So sage er nicht, wer danach im Gazastreifen regieren solle. Fest steht nur für Israel, dass die Hamas nicht an der Macht bleiben könne. Doch: "Ein Plan ist auch dazu da, damit man sich an ihm abarbeiten kann."
Hamas-Auslöschung unrealistisch
Israel verfolgt derweil weiter das erklärte Ziel der vollständigen Vernichtung der Hamas. Dass das erreichbar ist, zieht die Expertin in Zweifel. "Mit wem will Israel am Ende verhandeln, wenn die gesamte Führung der Hamas ausgelöscht ist?", fragt sie. "Ein Teil der Strukturen wird bleiben und eigentlich braucht man ja auch einen Partner für die Verhandlungen, selbst wenn man gewiss ist, am Ende sollen nicht die Hamas hier regieren."
Ob etwa die palästinensische Autorität im Westjordanland auch im Gazastreifen übernehmen könne, sei unklar. Man wisse nicht, wie legitim bzw. angesehen sie dort ist. Auch stünden für sie viele ungeklärte Fragen im Raum. Nicht zuletzt auch, wie man mit verbleibenden Hamas-Strukturen umgehen werde.
Der Gazakrieg begann mit dem furchtbarsten Massaker an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg und doch gibt es jetzt weltweit Proteste, die sich gegen Israel richten, und drei EU-Staaten haben zuletzt Palästina als Staat anerkannt. "Auf perverse Weise scheint die Hamas durch ihr Massaker mehr erreicht zu haben, als Israel. Oder?", fragt Moderator Wolf.
"Sie haben es gesagt: es war der fruchtbarste Anschlag auf jüdisches Leben in Israel seit der Shoa. Es ist auch klar, dass das Leid der Israelis noch andauert." Gerade für die Geiseln und ihre Familien sei dies auch noch nicht vorbei.
Proteste gegen Regierung
Es gebe aber einen Unterschied in den internationalen Rechtsauflagen. Menschenrechtsverbrechen auf allen Seiten würden getrennt gewichtet. "Diejenigen, die protestieren ja nicht gegen Israel als Staat. Sie protestieren dagegen wie genau diese Regierung diesen Krieg führt". Israel sei bereits mehrfach an die Einhaltung des Völkerrechts, und dazu gehört der Schutz von unbeteiligter Zivilbevölkerung, erinnert worden.
Doch Gaza ist nicht die einzige Front an der Israel kämpft. Im Norden geht es gegen die im Libanon ansässige Hisbollah. Eine militärische Reaktion gegen den Libanon hält Scheller für "durchaus möglich". Sie erinnert aber daran, dass die Raketenangriffe nicht einseitig stattfinden würden, sondern von beiden Seiten der Grenze ausgingen. Die Angst vor einer Eskalation sei auch im Libanon groß. Auch diese Situation erfordere die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft, um einen Flächenbrand zu verhindern.