Explosionen im Libanon
Nahost-Experte spricht von "Situation der Demütigung"
Über 3.000 Verletzte, fast 40 Tote. Die Explosionen zahlreicher Kommunikationsgeräte löste im Libanon eine Welle des Entsetzens und der Angst aus.
Bei den Explosionen zahlreicher technischer Geräte im Libanon wurden am Dienstag und Mittwoch nach offiziellen Angaben rund 3.000 Menschen verletzt und 37 getötet. Unter den Opfern sollen viele Hisbollah-Mitglieder sein, aber auch Zivilisten. Nach Behördenangaben wurden mindestens zwei Kinder getötet. Auch unter den Anhängern der Hisbollah sitzt der Schock tief. "Meine Schwester stand neben ihrem Ehemann, als plötzlich sein Pager explodierte. Sie hat ihr Auge verloren", erzählt eine Frau in einem Vorort von Beirut.
Bisher ist nicht klar, wie viele der Verletzten und Opfer Mitglieder der Hisbollah waren. Aus libanesischen Sicherheitskreisen hieß es, die Miliz sei stark getroffen. Ein Großteil der Opfer gehöre demnach der Schiitenorganisation an. Der Chef der schiitischen Organisation hat einen "schweren Schlag" gegen seine Miliz eingeräumt. Bei seinem ersten Auftritt seit den Angriffen sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Donnerstag in einer live übertragenen Fernsehansprache, Israel habe mit den Explosionen "alle roten Linien überschritten".
"An der Eskalationsschraube gedreht"
Mehr als angespannt sah auch Nahost-Experte Marcus Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung am späten Donnerstagabend in der "ZIB2" bei ORF-Moderatorin Margit Laufer die Lage im Nahost-Konflikt. "Es ist natürlich für die Hisbollah eine Demütigung", "eine große Niederlage", so Schneider, die vielleicht größte, seit die Hisbollah in den Krieg eingetreten sei. Auf der anderen Seite handle es sich laut Schneider aber um eine schlagkräftige und vielschichtige Organisation, einen solchen Schlag wegstecken könne. Dass sie weiter einsatzfähig sei, zeige, dass es weiter Drohnen- und Raketenangriffe auf Israel gebe.
Bildstrecke: Zweite Welle: Walkie-Talkies der Hisbollah explodieren
Es werde weiter "an der Eskalationsschraube gedreht", so Schneider, "ich denke, es kann durchaus sein, dass die Reaktion etwas warten lässt". Möglich sei nun aber auch, dass man "die Situation der Demütigung" von israelischer Seite ausnutze, israelische Kampfjets seien bereits über dem Libanon gesichtet worden. Hundertprozentig wisse man aber nicht, was jetzt folgen würde, gestand der Experte. Die "Gretchenfrage" sei, ob es gar zu einem Einsatz israelischer Bodentruppen im Libanon kommen werde.
Israel kündigte "neue Phase" des Krieges an
Nach den Explosionen elektronischer Kommunikationsgeräte im Libanon mit Dutzenden Toten und Tausenden Verletzten hatte Israel bereits zuvor ein verschärftes Vorgehen gegen die Hisbollah-Miliz in dem nördlichen Nachbarland signalisiert. Während Israel weiter gegen die mit der Hisbollah verbündete Hamas im Gazastreifen kämpft, kündigte Verteidigungsminister Joav Galant nun eine "neue Phase" des Krieges an.
"Der Schwerpunkt verlagert sich nach Norden", sagte Galant nach Angaben seines Büros. Dort liefert sich Israels Armee seit Beginn des Gaza-Krieges vor fast einem Jahr Gefechte mit der Hisbollah. Es besteht die Sorge, dass ein ausgewachsener Krieg gegen die Miliz bevorstehen könnte.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Im Libanon haben Explosionen zahlreicher technischer Geräte zu über 3.000 Verletzten und fast 40 Toten geführt, wobei viele Opfer der Hisbollah angehören
- Nahost-Experte Marcus Schneider bezeichnet die Situation als "Demütigung" für die Hisbollah, während Israel eine "neue Phase" des Krieges ankündigt und die Eskalation im Nahost-Konflikt weiter voranschreitet