Welt
"Möchte Eishockey spielen": So wimmelte Putin Macron ab
Was veranlasste Russen-Präsident Wladimir Putin zum Überfall auf die Ukraine? Ein enthülltes Telefonprotokoll offenbart einiges. Alle Details hier:
Kurz vor Ende der französischen EU-Ratspräsidentschaft hat der Élysée-Palast den Telefon-Mitschnitt eines Gesprächs zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem französischen Staatschef Emmanuel Macron freigegeben. Das Telefonat fand am 20. Februar statt, vier Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Am 30. Juni wird der Mitschnitt auch in einem Dokumentarfilm über den Ukrainekrieg vom staatlichen Fernsehsender France 2 zu hören sein. Ein Teil wurde bereits jetzt veröffentlicht, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet.
Gleich zu Anfang des Telefonats sprach Macron die "wachsenden Spannungen" an und bat Putin um eine Lagebewertung. Der russische Präsident, der Macron am 7. Februar und Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. Februar im Kreml empfangen hatte, erwiderte kühl: "Du siehst doch selbst, was passiert. Du und Kanzler Scholz, ihr habt mir gesagt, Präsident Selenski sei bereit zu einer Geste guten Willens, er habe ein Gesetz vorbereitet, um das Minsker Abkommen umzusetzen. (…) Aber unser lieber Kollege Selenski macht nichts. Er lügt. (…) Ich weiß nicht, ob du gestern seine Erklärung gehört hast, in der er sagt, die Ukraine müsse Atombomben bekommen."
Macrons Berater protestiert
Im Hintergrund protestierte Macrons diplomatischer Chefberater Emmanuel Bonne: "Aber nein, was für ein Unsinn!" Putin führte unbeirrt fort: "Ich habe auch deine (Macrons) Kommentare während der Pressekonferenz in Kiew am 8. Februar gehört. Du hast eine Revision des Minsker Abkommens verlangt, damit es – ich zitiere dich – umgesetzt werden könne." Im Büro des französischen Präsidenten im Élysée-Palast hörte man wieder die Stimme des Beraters: "Nein, das hat er nicht gesagt." Macron antwortete: "Wladimir, ich habe nie gesagt, dass eine Revision des Minsker Abkommens nötig ist. Weder in Berlin, noch in Kiew, noch in Paris. Ich habe gesagt, dass es umgesetzt werden muss."
Doch Putin reagierte nicht darauf, sondern verteidigte die Separatisten. "Ich verstehe nicht euer Problem mit den Separatisten. Sie haben wenigstens getan, was wir ihnen gesagt haben und haben einen konstruktiven Dialog mit der ukrainischen Seite begonnen", sagte Putin. Macron riss der Geduldsfaden. "Ich weiß nicht, wo dein Jurist studiert hat! (…) Ich weiß nicht, welcher Jurist sich zu der Behauptung versteigt, dass Gesetzestexte in einem souveränen Land von Separatisten ausgearbeitet werden und nicht von einer demokratisch gewählten Regierung."
"Ich habe Selenski gestern zu Ruhe aufgefordert"
Putin erwiderte hart und unnachgiebig: "Es handelt sich nicht um eine demokratisch gewählte Regierung. Sie ist über einen Staatsstreich an die Macht gelangt, es gab Leute, die lebendigen Leibes verbrannt wurden, es war ein Blutbad und Selenski ist einer der Verantwortlichen."
"Was du da sagst, lässt an deinem Willen zweifeln, das Minsker Abkommen zu respektieren. (…) Wenn du behauptest, du hättest es mit einer nicht legitimen und terroristischen Regierung zu tun", sagte Macron. "Hör mir gut zu", erwiderte Putin sichtlich aufgebracht. "Hörst du mich? Ich wiederhole noch mal, die Separatisten, wie du sie nennst, haben auf die Vorschläge der ukrainischen Seite geantwortet, aber diese hat nicht reagiert." Dann beschwerte sich Putin, von Anfang an hätte man Druck auf die Ukrainer ausüben müssen, "aber das ist nicht geschehen." Macron sagte: "Aber doch, ich lasse nichts unversucht, um sie zu drängen, das weißt du doch!" Woraufhin Putin lakonisch antwortete: "Aber das ist leider nicht effizient."
"Brauche ein wenig deine Hilfe"
"Ich brauche ein wenig deine Hilfe", sagte Macron. Die Situation an der Kontaktlinie sei sehr angespannt. "Ich habe Selenski gestern zu Ruhe aufgefordert. Ich werde ihm das wieder sagen, er soll alle zu Ruhe anhalten, die sozialen Netzwerke, die ukrainischen Streitkräfte. Aber du kannst auch deine in Stellung gebrachten Streitkräfte zu Ruhe anhalten. Es gab viele Bombardierungen gestern. Wenn wir dem Dialog eine Chance geben wollen, dann müssen wir das Spiel beruhigen. Wie siehst du die Militärmanöver?", fragte der Franzose. "Die Manöver laufen laut Plan", sagte Putin. "Das heißt, sie sind heute Abend beendet", fragte Macron. "Ja, wahrscheinlich heute Abend", erwiderte Putin ausweichend.
Macron unterbreitete ihm einen wichtigen Vorschlag. Präsident Joe Biden sei bereit, Putin "in den kommenden Tagen" in Genf zu treffen. "Ich habe am Freitagabend mit ihm telefoniert. (…) Er hat mir gesagt, dass er bereit ist", sagte Macron. "Vielen Dank, Emmanuel. (…) Es ist immer eine große Freude, mich mit dir auszutauschen, denn wir haben ein Vertrauensverhältnis", sagte Putin. "Also Emmanuel, ich schlage dir vor, die Dinge umzudrehen. Zunächst müssen wir dieses Treffen vorbereiten", sagte er.
"Möchte jetzt Eishockey spielen"
Macron ließ nicht locker und sagte, er verstehe ja, dass Putin sich nicht auf ein Datum für das Gespräch mit Biden festlegen wolle. Aber sei er "im Prinzip" einverstanden? "Es ist ein Vorschlag, der es verdient hat, beachtet zu werden", sagte Putin. "Ich schlage vor, dass unsere Berater einen gemeinsamen Text ausarbeiten“, sagte Macron. Woraufhin Putin ungeduldig antwortete: "Um dir nichts zu verbergen, ich möchte jetzt Eishockey spielen, ich spreche mit dir aus meiner Sporthalle, wo ich mit dem Training beginne. Ich rufe erst mal meine Berater an".
Eine gemeinsame Presseaussendung sollte es genauso wenig wie ein Treffen mit Biden in Genf geben. Vier Tage nach dem Gespräch marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. 21 Mal hat Macron seit dem 14. Dezember 2021 mit Putin telefoniert.