Vor drei Monaten stürzte im Bahnhof von Novi Sad ein Teil des Dachs ein und tötete 15 Menschen – "Heute" berichtete. Anlässlich des traurigen Jubiläums sind in der zweitgrößten Stadt Serbiens Zehntausende auf die Straße gegangen. Die Demonstranten blockierten am Samstag drei wichtige Brücken über die Donau. Eine davon sollte 24 Stunden besetzt werden.
Seit dem Unglück finden im Land fast täglich Demonstrationen statt. Es sind die größten Proteste seit den 1990er-Jahren, die einst zum Sturz Slobodan Miloševićs führten. Am Dienstag trat Ministerpräsident Miloš Vučević zurück. Der Schritt besänftigte die Massen ebenso wenig wie die Festnahme von Bauminister Goran Vesić oder Rücktritte anderer Minister.
Die Protestierenden geben der Regierung und dem Staatsapparat eine Mitschuld an dem tödlichen Unglück. Behörden und Justiz hätten bei der Ursachensuche nicht für Transparenz gesorgt. Die Rede ist auch von Korruption und Staatsversagen. Stasa Janbric (24) macht Präsident Aleksandar Vučić (54) für das Unglück verantwortlich: "Er versucht, die Geschehnisse zu vertuschen, aber viele Menschen wachen auf", so die Ingenieurstudentin zu "Le Monde".
Studenten und Studentinnen sind die treibende Kraft der Proteste. Hunderte junge Leute aus Belgrad liefen zu Fuß zum Protest in das 80 Kilometer entfernte Novi Sad. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist enorm: Bei ihren Stopps wurden die Studierenden begeistert empfangen und verpflegt, und Tausende protestieren mit ihnen – alles in allem eine neue Form der seit Monaten andauernden Massenproteste.
In erster Linie eine lückenlose Aufarbeitung des Unfalls in Novi Sad. Die Studierenden fordern zudem "Freiheit für unsere Kommilitonen und Mitbürger, die mit uns protestiert haben". Die Verantwortlichen für die Bahnhofstragödie von Novi Sad dürften nicht straflos davonkommen – "ebenso wenig wie die Beamten, die Studierende und Mitbürger bei den Straßenblockaden angefahren und geschlagen haben." Das brutale Vorgehen von Polizei und Sicherheitskräften gegen Protestierende erzürnt viele.
Die Proteste richten sich inzwischen generell gegen die weitverbreitete Korruption im Land. Bestechlichkeit und Intransparenz gelten nicht nur bei Bauprojekten als weit verbreitet. Präsident Aleksandar Vučić spielt dabei offenbar eine zentrale Rolle.
Unter ihm seien in Serbien "Gangster zu einem virtuellen Arm des Staates" geworden, schreibt die "New York Times". Der 54-jährige ehemalige Hooligan kontrolliere mittlerweile "fast jeden Aspekt" des öffentlichen Lebens. Parlament, Gerichte, Polizei und Wirtschaft behandelten mit "katzbuckelnder Ehrerbietung", wohingegen Serben, "die ihm in die Quere kommen, ihr Leben riskieren".
Der zurückgetretene Premier Vučević rief Anhänger der Regierungspartei und andere Gegner der Proteste auf, sich den Demonstrierenden nicht zu nähern, um Zwischenfälle zu vermeiden.
Unterdessen steht Präsident Vučić vor der Entscheidung, einen neuen Premier zu ernennen oder Neuwahlen vorzuziehen. Er wirft den Demonstranten vor, von "ausländischen Kräften" unterstützt zu werden.