Wien
Massiver Andrang – Wiener Sozialmärkten geht Ware aus
Die massiven Teuerungen setzen Wiens Sozialmärkten zu. Neben Lebensmitteln werden auch helfende Hände dringend gesucht.
"Ich habe 150 Euro im Monat zum Leben. Deshalb komme ich regelmäßig hier her", erzählt Christian (Name geändert). Der 61-jährige verlor durch eine Verletzung seinen gut bezahlten Job und lebt seitdem von der Notstandshilfe. Er möchte anonym bleiben, zu groß ist die Scham. Viele Menschen in seinem Umfeld wüssten nichts von seiner Situation. "Ich bin so froh, dass es den Sozialmarkt gibt. Viele von uns würden sonst abrutschen und womöglich sogar auf der Straße landen - davon bin ich überzeugt."
Kundenzahlen in zwei Monaten fast veroppelt
Wie Christian geht es derzeit vielen. Sie alle wollen nicht erkannt werden, scheuen die Öffentlichkeit. Und es werden immer mehr: Beinahe verdoppelt hätten sich die Kundenzahlen in den letzten beiden Monaten, erzählt Georg Jelenko, Leiter der Sozialmärkte Wien des Samariterbundes. "Wir spüren die Teuerungen extrem. Täglich kommen 500 Kunden zu uns, zuvor waren es noch 300." Ein bestimmtes Klientel gäbe es nicht. Zwar kommen häufig Pensionisten und alleinerziehende Mütter, doch die Armut hat bereits fast alle Gesellschaftsschichten erreicht. Vor den Märkten bilden sich bereits morgens Schlangen.
Lebensmittel dringend benötigt
Fünf Sozialmärkte führt der Samariterbund in Wien – in der Donaustadt, Floridsdorf, Fünfhaus, Meidling und Favoriten. Sie bieten Menschen mit geringem Einkommen Nahrungsmittel und Hygieneartikel zu günstigen Preisen. Weiters haben sie das Ziel, Lebensmitteln eine zweite Chance zu geben und dadurch Ressourcen und die Umwelt zu schonen. Doch die hohe Nachfrage führt zunehmend zu Leere in den Lagern. "Wir bekommen Probleme, noch ausreichend Produkte für die Kunden zu haben. Auch wenn wir uns bemühen, so viel Lebensmittel wie möglich einzusammeln", so Jelenko. "Aber wenn alles teurer wird, fallen immer mehr Bewohner unter die Armutsgrenze." Benötigt wird im Grunde alles: "Wir freuen uns über jede Spende, besonders gefragt sind allerdings Obst und Gemüse", so Andrea Cortea, Leiterin des Sozialmarktes in der Böckhgasse (Meidling). "Das geht besonders schnell weg, weil es jede Gruppe abdeckt, auch Vegetarier und Veganer." Aber auch bei Mehl, Reis oder Hygieneartikel werden dringend gebraucht.
Ehrenamtliche: "Jeder Tag ist ein Erlebnis"
Neben Lebensmitteln ist der Samariterbund derzeit auch dringend auf der Suche nach helfenden Händen. "Wir freuen uns über jede Hilfe, die wir kriegen können", so Cortea. "Egal ob längerfristig oder nur für einen Tag. Wer helfen möchte, soll sich einfach melden. Wir brauchen Leute, die Ware schlichten und aussortieren, einfache Arbeiten erledigen. Wir sind ein sympathisches Team und haben ein tolles Klima hier." Besonders während der Sommerzeit, aber auch aufgrund des zunehmenden Andrangs werden derzeit Ehrenamtliche benötigt.
Eine von ihnen ist Felicia. Die 65-jährige ist aus dem Sozialmarkt in der Böckhgasse nicht mehr wegzudenken. Seit fünf Jahren arbeitet die Pensionistin zwei Mal pro Woche, hilft Ware einzuräumen und Kunden zu betreuen. "Sie ist die gute Seele hier. Wenn sie einmal nicht da ist, fehlt sie", sagt Kundin Susanne (Name geändert). "In der Pension wollte ich nicht alleine zuhause sitzen", begründet Felicia ihre Entscheidung. "Es ist besser, wenn man helfen kann und mit anderen ins Gespräch kommt. Jeder Tag ist ein neues Erlebnis."
Nach dem Einkauf zur Sozialberatung
Im kleinen Büroraum neben dem Sozialmarkt bietet Sozialberaterin Eni Nyaguly Unterstützung an. Ihre Beratungstermine sind nun doppelt so schnell ausgebucht wie noch zuvor. "Die Menschen, die zu mir kommen wissen oftmals einfach nicht mehr, wie sie ihren Alltag finanziell bewältigen können", sagt sie. "Ich beobachte immer öfter, dass viele Menschen warten bis im Sozialmarkt Geschäftsschluss ist. Sie sammeln dann die übrig gebliebenen gratis Lebensmittel dankbar auf. Andere Kundinnen und Kunden schauen ganz genau auf die Preise, zählen ihr mitgebrachtes Kleingeld in ihren Händen immer wieder ab und überlegen lange, ob und was sie kaufen können." Die Beratung in den Samariterbund-Sozialmärkten hilft den Kunden bei unterschiedlichsten Belangen, wie der Wohnungs- oder Arbeitssuche sowie bei finanziellen Fragen. Zudem berät sie auch bei Themen wie Mindestsicherung, Familienbeihilfe oder Asylbescheiden.
So können Sie helfen
Wer in einem der Sozialmärkte ehrenamtlich mithelfen möchte, kann sich per Mail an [email protected] wenden oder das Team telefonisch unter 01 89 145 384 kontaktieren. Große Lebensmittelspenden werden in Wien und Umgebung gerne abgeholt. Dazu reicht ein Mail an [email protected]
Die Abgabe originalverpackter, frischer Lebensmittel ist in den Sozialmärkten von Montag bis Freitag zu den jeweiligen Öffnungszeiten von 09 bis 14 Uhr möglich. Im Markt in der Böckhgasse auch samstags von 09 bis 13 Uhr. Die Märkte befinden sich in der Gellertgasse 42-48 (Favoriten), Wagramer Straße 94 (Donaustadt), Böckhgasse 2-4 (Meidling), Pillergasse 20 (Fünfhaus) und in der Frömmlgasse 31 (Floridsdorf).