Wien
Ein Anruf, ein Schicksal: "Heute"-Tour mit dem Kältebus
Über 1.300 Mal klingelte das Caritas-Kältetelefon heuer schon. Sozialarbeiter gehen jedem Anruf nach - "Heute" durfte sie einen Abend lang begleiten.
"Haben wir das Wasser und die Suppen?", ruft Susanne Peter ihrer Kollegin Theresa G. zu. Bevor die Sozialarbeiterinnen die Fahrt mit dem Kältebus antreten, muss dieser gefüllt werden. Winterfeste Schlafsäcke, Isomatten, Wolldecken, Hauben und Schals sind darin ebenso zu finden wie Wasser für Tee und Suppen, Schokolade oder Hundefutter. Dann kann es losgehen: "Heute" darf das Team einen Abend lang begleiten.
Erster Schneefall: 200 Anrufe an einem Tag
Susanne Peter und Theresa G. gehen all jenen Meldungen nach, die beim Caritas Kältetelefon einlangen. Entdecken Passanten eine obdachlose Person, die Hilfe benötigt oder einen vermeintlichen Schlafplatz, rückt das Team aus - allerdings nicht sofort, wie Peter betont. "Handelt es sich um Notfälle, bitten wir die Rettung zu verständigen. Denn wir sind keine Blaulichtorganisation." Meldungen werden nach Dringlichkeit gereiht. "Aber wir gehen jedem Anruf nach!" Über 1.300 mal klingelte es in diesem Winter bereits, beim ersten Schneefall sogar 200 Mal an einem Tag. Dann müssen auch schon mal zwei Teams parallel ausrücken, wie die Leiterin erklärt.
Einsatz am Stadtrand: "Das Herz schlägt schneller"
Die erste Meldung führt das Caritas-Team an den Stadtrand Wiens. Weit ab von Adventmärkten, Hektik und Weihnachtstrubel, mitten in einem entlegenen Wald, soll sich ein Schlafplatz befinden. Es scheint wie eine Reise in eine andere Welt. Mit Taschenlampen, Stirnlampen und festem Schuhwerk ausgerüstet, schlängeln sich Theresa G. und Susanne Peter bei kaltem Wind durch das nasse Dickicht. Bei Einsätzen sei man stets zu zweit unterwegs, niemals alleine, betonen sie. "Wir wissen nie, welche Person hinter einer Meldung steckt", so G. "Oft müssen wir jemanden aufwecken und wissen nicht, wie er oder sie auf uns reagiert und welche Geschichte uns erwartet. Da schlägt das Herz auch mal schneller."
Nach kurzem Fußmarsch erreicht das Team einen Bunker. Nach einer Inspektion scheint klar: Der Schlafplatz ist mittlerweile verlassen. Von seinen ehemaligen Bewohnern zeugen lediglich Decken, Zeitungen und Zigarettenstummel. Es ist nicht das erste Mal, dass Peter und ihr Team an diesen Ort kommen. "Wir haben bereits Folder hinterlassen und Fotos gemacht. Da wir aber nie jemanden antrafen und der Platz verlassen aussieht, ist das hier für uns erledigt. Wir gehen nicht davon aus, dass hier noch jemand wohnt." Und doch war der verlassene Bunker einst das Zuhause von - wie Peter sagt - zumindest zwei Personen.
"Es ist wichtig, Orte genau anzugeben"
Es geht weiter auf die Donauinsel. Zwischen Bäumen und Sträuchern soll eine Person in einem Zelt leben - so lautet die Meldung. Eine lange Suche beginnt, Stück für Stück wird der Abschnitt vom Team abgegangen - ohne Erfolg. Auch eine weitere Meldung, erneut am Stadtrand, scheint ins Leere zu führen. Das Fazit der routinierten Sozialarbeiterin: "Für uns ist es sehr wichtig, dass der Ort genau beschrieben wird." Auch eine Telefonnummer sollte hinterlassen werden, damit in solchen Fällen Rückfragen gestellt werden können.
Wird eine Person angetroffen, gilt es zunächst, das Eis zu brechen. "Wir versorgen sie mit Tee, Suppe oder kleinen Goodies. Denn bei uns ist es dasselbe: Wenn man hungrig ist oder friert, redet es sich nicht so gut", so Peter. Danach kommt man meist ins Gespräch. Wie die Begegnung ausgeht, ist ganz unterschiedlich: "Manche kommen mit in ein Notquartier, andere möchten das nicht. Unsere Angebote sind freiwillig. Es gab auch Fälle, bei denen man jahrelang regelmäßig mit der Person in Kontakt ist, bevor der nächste Schritt beginnt. Und findet dann jemand einen permanenten Schlafplatz sind das große Erfolge." Ist medizinische Unterstützung gefragt, hilft auch das neue Projekt "med4hope" aus - wir berichteten.
"Die Solidarität ist größer geworden!"
Für die Sozialarbeiterinnen ist kein Tag wie der andere - und was einen erwartet, weiß man nie. Ein herausfordernder Beruf, der aber auch viel zurückgibt: "Es ist eine schöne Arbeit, weil keine Erwartungen an Menschen gestellt werden", sagt Theresa G. "Wir wollen nichts von ihnen, stellen keine Bedingungen. Jeder Mensch kann so sein, wie er ist und wird von uns versorgt."
Besonders berührt ist sie von der Solidarität der Menschen - die in ihren Augen gestiegen ist. "Ich habe das Gefühl, seit wir alle merken, dass die Ressourcen knapper werden, kann man sich besser in obdachlose Menschen hineinversetzen. Und es ist immer wieder schön zu sehen, dass Leute sich interessieren und nicht wegschauen. Erst kürzlich hat ein Anrufer zwei Stunden mit einer Klientin gewartet und ihr dann sogar ein Taxi gezahlt. Das berührt."
So können Sie helfen!
Bei den meisten Klienten gehe es vorrangig um Perspektiven. "Wie kann jemandem geholfen werden, der keine Familie oder schlechte Deutschkenntnisse hat?", so Theresa G. "Viele fallen durch ein soziales Raster und haben keinen Anspruch auf Unterstützung. Wir vermitteln und beraten hier. Und manchmal geht es um niederschwellige Dinge wie eine einfache Decke, die benötigt wird. Wichtig ist, dass wir einen direkten Zugang zu Menschen haben und auf Augenhöhe kommunizieren." Darum bittet die 27-jährige auch die Wiener: "Wenn euch etwas auffällt, jemand auffällt, fragt einfach mal nach, wie es der Person geht und ob sie Hilfe braucht. Und wenn ja, meldet euch bei uns!"
Um 22 Uhr ist für Susanne Peter, Theresa G. und uns Feierabend – nicht aber für die Obdachlosigkeit. Der Einsatz des nächsten Teams steht deshalb bereits bevor. Das Kältetelefon der Caritas ist unter 01/480 4553 oder unter [email protected] erreichbar. Wer mit Geld- oder Sachspenden aushelfen möchte, findet hier alle wichtigen Informationen.