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"Linke geben sich tolerant, schießen unter Gürtellinie"

Zwei Nationalratskandidatinnen erleben Sexismus auf Social Media. Die Jungpolitikerinnen sind schockiert.

"Du bist auch ohne Daisy-Duck-Wimpern und mega gemalten Augenbrauen sehr schön" oder "Siehst leider aus wie eine aufblasbare Gummipuppe" sind einige der Kommentare.
"Du bist auch ohne Daisy-Duck-Wimpern und mega gemalten Augenbrauen sehr schön" oder "Siehst leider aus wie eine aufblasbare Gummipuppe" sind einige der Kommentare.
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Die 21-jährige Vivienne Huber kandidiert für die JSVP als Nationalratskandidatin. Auf ihren jüngsten Tweet "Außen modern, im Kern konservativ. Mit vollem Elan in den Wahlkampf" und dem hinzugefügten Bild, auf dem Huber geschminkt und mit roten Lippen zu sehen ist, gab es nicht nur Erfolgswünsche. Neben Kommentaren zu ihrem Äußeren, darunter "Durch ihr Make-up kann man keine Person mehr erkennen" oder "Du bist auch ohne Daisy-Duck-Wimpern und mega gemalten Augenbrauen sehr schön", folgten auch anzügliche Bemerkungen wie "Rote Lippen soll man küssen".

Hinzu kamen sexistische Kommentare wie "Soll das eine Bewerbung für den Nationalrat oder für die Langstraße sein", "Du siehst leider aus wie eine aufblasbare Gummipuppe", "Können Enten überhaupt in den Nationalrat gewählt werden?" oder "Ein junges Mädchen, das Erfahrung im Bereich Wimperntusche und Lippenstift hat, möchte genau wo und als was arbeiten?". Einige Kommentare stammen dabei von bekennenden Links-Wählern. Das sorgte für Kritik aus den eigenen Reihen.

Gegenüber "20 Minuten" sagt Huber: "Auch wenn ich solche Kommentare nicht persönlich nehme, hat mich der Sexismus schockiert." Insbesondere da einige der Kommentare von bekennenden Links-Wählern gekommen seien: "Sie geben sich tolerant und schießen dann weit unter der Gürtellinie gegen jeden, der eine andere Meinung hat." Die medizinische Praxisassistentin, die klassische SVP-Positionen wie die Begrenzung der Zuwanderung vertritt, will sich nicht unterkriegen lassen: "Aus meinem Umfeld habe ich viel Zuspruch erhalten. Auch meine Parteikolleginnen und -kollegen stehen hinter mir und schätzen meine Arbeit."

"Baby Jesus und Pornostar stürmen das Bundeshaus"

Shayleen Schweri von der Bürgerrechtsbewegung "Massvoll", einem Verein, der sich während der Pandemie unter anderem mit Referenden gegen die Coronapolitik des Bundes wehrte, machte diese Woche eine ähnliche Erfahrung. Unter einem Tweet, in dem die Nationalratskandidatin sich und ihre politischen Ansichten kurz vorstellte, folgten Kommentare wie "Baby Jesus und Pornostar stürmen das Bundeshaus", "Heiß, was ist echt unter dem blauen T-Shirt?" oder "Ein schönes Ausschnittli und ich wähl das Schnittli". Für die 24-Jährige, die früher bei der JSVP war, nicht überraschend: "Frauen in der Politik sind oftmals solchen Äußerungen ausgesetzt. Einige Kommentare haben mich aber schon schockiert, wie sexistisch und beleidigend sie sind."

Camille Lothe, Präsidentin der Stadtzürcher SVP, muss sich ständig mit beleidigenden und sexistischen Kommentaren auseinandersetzen: "Es ist harte Realität, dass Politikerinnen für ihr Aussehen kritisiert werden, besonders wenn sie stärker geschminkt sind." Gerade Politikerinnen aus dem bürgerlichen Lager seien diesen Angriffen ausgesetzt: "In diesen Parteien gibt es weniger Frauen, dadurch stehen sie stärker im Rampenlicht."

Angriffe auf junge Frauen aus dem bürgerlichen Lager keine Seltenheit

Laut dem Politologen Karsten Donnay von der Universität Zürich sind Politikerinnen allgemein stärker von Hass im Netz betroffen als ihre männlichen Kollegen. Insbesondere Angriffe auf junge Frauen aus dem bürgerlichen Lager seien dabei keine Seltenheit. "Sie geraten schnell ins Visier verschiedener Gruppierungen. Einerseits ecken sie aufgrund ihrer politischen Einstellung und ihren teilweise polarisierenden Aussagen bei der Gegenseite an", erklärt Donnay.

Andererseits seien sie als Politikerinnen ohnehin mehr Hass ausgesetzt, auch von ihrer grundsätzlich eher traditionell ausgerichteten Wählerschaft. Auch wenn dieses Phänomen nicht neu sei, sei der Ton in den letzten Jahren deutlich rauer geworden. "Durch die Anonymität online sinkt bei vielen die Hemmschwelle und die Shitstorms nehmen zu", sagt Donnay.

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    Medienpsychologe Stefan Caduff glaubt nicht daran, dass soziale Medien stärker eingeschränkt werden sollten.
    Medienpsychologe Stefan Caduff glaubt nicht daran, dass soziale Medien stärker eingeschränkt werden sollten.
    Sapia

    "Inzwischen ist jede Social-Media-Plattform toxisch"

    Auch Politologe Mark Balsiger sagt: "Inzwischen ist jede Social-Media-Plattform toxisch. Wer sich dort exponiert, muss jederzeit mit Kritik, Häme oder sogar einem Shitstorm rechnen." Gerade auf Twitter habe sich eine Unkultur herausgebildet: "Eine Legion an Usern arbeitet sich regelmäßig an anderen ab. Zielscheiben werden zumeist solche, die sich mit provokativen Aussagen bekannt gemacht haben. Viele von ihnen werden politisch am rechten oder am linken Rand verortet."

    Laut Balsiger wird Twitter in der Schweiz von deutlich mehr Leuten, die die Welt aus einer linken Perspektive beurteilen, genutzt: "Entsprechend ist die Wucht der Kritik, die rechte Protagonistinnen trifft, oftmals heftiger als für solche aus dem linken Lager."

    Initiativen im Netz, die sich der Aggressivität auf Social Media entgegenstellen, wie etwa "Stop Hate Speech", seien grundsätzlich sehr wertvoll: "Für ebenso wichtig halte ich es, dass möglichst viele Einzelpersonen stoisch einen respektvollen Umgang einfordern. Es ist keine Option, aufzugeben und dem wütenden Mob die Plattformen zu überlassen", so Balsiger.