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Libyen-Premier: "Tausende machen sich auf den Weg"
Fayiz Mustafa as-Sarradsch warnt: "Die Zahlen nehmen immer weiter zu, da das Schleppergeschäft für die kriminellen Banden sehr florierend ist
Dies sagt der libysche Ministerpräsident (57) in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung.
Immer wieder machen sich Flüchtlinge in Booten auf den Weg nach Europa, Hunderte Menschen ertrinken auf ihrem Weg. Seitdem die Balkanroute - auch auf Initiative Österreichs - für Flüchtlinge kaum noch passierbar ist, hat die Fluchtbewegung von Nordafrika über das Mittelmeer an Bedeutung gewonnen.
Fast 600 Tote in drei Monaten
Seit Jahresbeginn überquerten nach UNHCR-Angaben fast 22.000 Menschen das Meer, im selben Zeitraum 2016 waren es etwas mehr als 18 700. Seit Jänner starben bereits mehr als 580 Menschen. Die Zahl der Toten könnte weit höher sein, weil oft nicht klar ist, wie viele Menschen überhaupt auf den Booten waren.
Nach jahrelangen Kämpfen zwischen bewaffneten Milizen im Anschluss an den Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011, gibt es seit März 2016 in Libyen die von der UNO unterstützte Regierung der nationalen Einheit.
Fayiz Mustafa as-Sarradsch ist ein libyscher Architekt und seit dem 15. März 2016 sowohl der international anerkannte Ministerpräsident, als auch als Präsident des Präsidentenrates das neue Staatsoberhaupt Libyens.
As-Sarradschs Vater war bereits Minister im Königreich Libyen. Er selbst wurde 2012 als Abgeordneter des Parlaments in Tripolis, des Allgemeinen Nationalkongresses, gewählt. Während der kurzen Amtszeit von Ahmed Miitig wurde er zum libyschen Bauminister ernannt. 2014 wurde er als Abgeordneter wiedergewählt.
"Wetter sorgt für Zustrom"
"Die Zahlen nehmen immer weiter zu, da das Schleppergeschäft für die kriminellen Banden sehr florierend ist. Es ist dramatisch! Wir gehen von Tausenden aus, die sich allein in diesen Tagen auf den Weg machen. Das Wetter und die ruhige Meerlage werden für einen massiven Zustrom sorgen", ist sich Fayiz Mustafa as-Sarradsch sicher.
"Wir müssen endlich etwas tun, damit nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer sterben und die Zahl der Flüchtlinge in Europa weiter nach oben geht. Leider hat Europa uns aber bisher nicht geholfen, sondern immer nur leere Versprechungen abgegeben. Unsere Forderungen wurden bisher nie erfüllt. Wenn das so bleibt, wird das Ergebnis sein: Noch mehr Schlepper und noch mehr Flüchtlinge!"
Europa muss tätig werden
Es fehle an fachlicher Hilfe zum Schützen und Kontrollieren der Küsten. Dafür müssen die libyschen Küstenwachen besser ausgebildet werden. "Wir brauchen Satelliten, ein elektronisches Beobachtungssystem der Grenzen und personelle Hilfe."
Können am Ende nur internationale Truppen die Schlepper stoppen? "Die internationale Gemeinschaft hat Libyen zu lange im Stich gelassen, das hat zu vielen Problemen wie Sicherheitslücken und der Ausbreitung von kriminellen Organisationen geführt. Jetzt hat die internationale Gemeinschaft ihren Fehler hoffentlich eingesehen und will uns wieder helfen. Dabei geht es aber nicht um Bodentruppen. Das ist unmöglich."
Die große Mehrheit der Flüchtlinge, die von Libyen aus aufbrechen, seien keine Libyer. Europa müsse sich deshalb um die Rückführung direkt in die Heimatländer kümmern. Dies erfordere stärkeren Druck seitens der europäischen und der internationalen Gemeinschaft auf die südlichen Nachbarländer Libyens. (mle)