Große Überraschung
Le Pen abgewatscht! Linke gewinnen Frankreich-Wahl
Bei den Parlamentswahlen in Frankreich gibt es einen überraschenden Sieg. Das rechtsnationale RN bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.
Mit diesem Ergebnis hat wohl niemand gerechnet: Seit Wochen standen in Bezug auf die französischen Parlamentswahlen zwei Fragen im Mittelpunkt: Holt das rechtsnationale Rassemblement National (RN), die Partei von Marine Le Pen und Jordan Bardella, die absolute Mehrheit? Und wenn nicht: Wie stark fällt der erwartete Rechtsruck aus? Doch am Sonntag kam alles anders.
Laut ersten Hochrechnungen werden die Linken überraschend zur stärksten Kraft vor dem Mitte-Bündnis von Präsident Emmanuel Macron. Auf dem dritten Platz: die rechtsnationale Partei RN. Sie holt voraussichtlich nicht mehr als 155 Sitze. Der Politologe Gilbert Casasus (er ist emeritierter Professor für Europastudien und Direktor des Zentrums für Europastudien an der Universität Freiburg) beantwortet die wichtigsten Fragen zur überraschenden Wahl.
Herr Casasus, hätten Sie so ein Resultat für möglich gehalten?
Absolut nicht. Das ist ein historisches Resultat und eine der größten politischen Überraschungen der letzten Jahrzehnte. Normalerweise bestätigt der zweite Wahlgang in Frankreich den ersten, diesmal ist das aber nicht der Fall.
Die französische Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Sie besteht aus 577 Sitzen. Die Abgeordneten werden nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Entscheidend für das Wahlergebnis ist nicht der Anteil an den Gesamtstimmen, sondern die Zahl der gewonnenen Wahlkreise. Für eine absolute Mehrheit sind also 289 Sitze notwendig.
Erst vergangene Woche feierten Le Pen und Co. ein Top-Resultat und einen potenziellen Sieg. Was ist passiert?
Was sich klar abzeichnet, ist, dass die Wählerinnen und Wähler zwar soziale Veränderung, aber keine rechte Regierung wollten. Sie müssen in vielen Wahlbezirken alles daran gesetzt haben, den Sieg eines RN-Kandidaten zu verhindern. Somit ist die Strategie der geplanten Wählerwanderungen der Bündnisse aufgegangen. Mitte-Wähler haben in den Bezirken, in denen Linke kandidierten, Linke gewählt und umgekehrt. Am Abend werden Millionen von Menschen im ganzen Land aufatmen.
Was bedeutet das Resultat für RN?
Für Le Pen und Bardella ist das Resultat eine klare Niederlage, und das, obwohl die Partei das beste Parlamentswahl-Resultat in ihrer Geschichte erreichte. Die Partei hat definitiv damit gerechnet, die stärkste Kraft zu werden. Ich gehe davon aus, dass sie in die radikale Opposition gehen und versuchen wird, bis 2027 die Lehren aus dieser Wahl zu ziehen.
Als Macron im Juni das Parlament auflöste, gab es wenig Verständnis dafür. Kann man heute sagen, seine Strategie ist aufgegangen?
Absolut. Auch wenn Macron jetzt mit weniger Abgeordneten seiner eigenen Partei regieren wird, geht er gestärkt aus diesen Wahlen raus. Er konnte beweisen, dass das Land nicht bereit ist, eine rechte Regierung zu wählen. Er hat politischen Sinn bewiesen. Sein großes Wagnis hat sich ausgezahlt. Er kann schon fast behaupten, er habe die französische Demokratie gerettet.
Aber die nächste Regierung steht vor großen Herausforderungen, oder?
Auf jeden Fall. Die neue Regierung darf die Französinnen und Franzosen nicht enttäuschen. Die Europawahlen mit einem RN-Erfolg waren ein klares Warnzeichen. Die Botschaft bleibt: Es muss sich etwas verändern. Die Bevölkerung hat den Parteien nun die Chance dazu gegeben. Wenn sie dem nicht nachkommen, könnte sich die Situation schnell wieder radikal verändern.
Die große Frage nun: Wer wird der neue Premier?
Diese Frage lässt sich noch nicht beantworten. Die Mitte und die Links-Parteien müssen jetzt eine regierungsfähige Koalition bilden. Ich tippe aber auf eine linke Person für das Amt. Hier könnte sich in den nächsten Tagen noch eine ganz neue Kandidatin oder ein Kandidat finden lassen. Zum Ende des Wahlkampfs konnte sich aber zum Beispiel die Grünen-Chefin Marine Tondelier profilieren. Eine Person wie Jean-Luc Mélenchon oder jemand aus dem rechten Flügel des Mitte-Bündnisses wäre hingegen ein Fehler.
Wagen wir noch einen Blick in die ferne Zukunft: Was bedeutet das Wahlergebnis für die Präsidentschaftswahlen 2027?
Bis anhin war Marine Le Pen immer die klare Favoritin als Nachfolgerin von Präsident Macron. Nach dem doch ernüchternden Resultat der Parlamentswahlen ist sie heute wahrscheinlich nicht mehr in dieser Rolle. Bis zu dieser Entscheidung dauert es aber noch drei Jahre. Da kann noch viel geschehen.
Auf den Punkt gebracht
- Bei den Parlamentswahlen in Frankreich haben die Linken überraschend die meisten Sitze gewonnen, während das rechtsnationale RN weit hinter den Erwartungen zurückblieb
- Dieses historische Ergebnis zeigt, dass die Wähler soziale Veränderungen, aber keine rechte Regierung wollen
- Für Präsident Macron ist die Strategie aufgegangen, während Le Pen und das RN eine klare Niederlage erlitten haben
- Die neue Regierung steht vor großen Herausforderungen, da die Bevölkerung Veränderungen erwartet, und die Frage nach dem neuen Premierminister bleibt offen
- In Bezug auf die Präsidentschaftswahlen 2027 ist Marine Le Pens Position als Favoritin unsicher geworden