Life
Lamborghini-Liebe auf den zweiten Blick
372-mal baute Lamborghini den Jarama. Das Frontmotorcoupé ist ein Granturismo reinster Schule, der auch für den Alltag taugt.
Etwas enttäuscht waren wir schon! Da fuhren wir in einem der teuersten und heissblütigsten Sportwagen der 1970er-Jahre durch gut bevölkertes Gebiet und trotzdem schien kaum jemandem der blaue Lamborghini Jarama 400 GTS aufzufallen. Mit einem Miura oder Countach hätte sich dies sicherlich komplett anders verhalten. Dabei teilte doch der Jarama nicht nur die Motorkonstruktion und die Philosophie hinter vielen Bauelementen mit den damaligen Supersportwagen aus Sant'Agata, sondern auch den Zeichenstift des Designers Marcello Gandini.
Als Basis für den am Genfer Auto-Salon 1970 präsentierten Jarama hatte man bei Lamborghini die Plattform des viersitzigen Espada genommen, sie aber auf den Radstand von 238 cm eingekürzt, womit der Abstand zwischen den beiden Achsen sogar noch 17 Zentimeter geringer ausfiel als beim abzulösenden Islero.
Trotzdem musste ein mächtiger V12-Motor, vier Sitzplätze und etwas Kofferraum untergebracht werden, was schließlich zu langen Überhängen und einer Gesamtlänge von 448,5 cm sowie einer Breite von 182 cm führte. Die Karosserie zeichnete Gandini betont dezent und unauffällig.
Ein typischer Lamborghini
Öffnet man die Motorhaube, blickt man auf den schön aufbereiteten Zwölfzylinder mit 3.929 Kubikzentimeter. Als 400 GTS, der ab 1972 verkauft wurde, wuchtet das Viernockenwellen-Aggregat 365 PS über ein Fünfganggetriebe auf die Kardanwelle.
Unter der Stahlkarosserie zeigt sich zeitgenössische Sportwagentechnik. Die Räder sind einzeln aufgehängt, gebremst wird mit Scheiben. Eine Servolenkung erhielt erst das verbesserte Modell 400 GTS. Bis (offiziell) 1976 – damals war Lamborghini in Schweizer Besitz – wurden 327 Jarama gebaut, die meisten mit Handschaltung, rund 150 als S-Modell.
Selbstversuch
Man besteigt einen Jarama 400 GTS mit Respekt. Vor allem wenn man weiss, dass es sich um ein spätes Exemplar von 1975/1976 handelt, in das über die letzten Jahre viel Restaurierungsaufwand geflossen ist. Trotz nur knapp über 60.000 km Laufleistung sah sich der Besitzer gezwungen, den Wagen komplett neu aufzubauen, was nicht zuletzt mit der doch eher nachlässigen Fertigungsqualität und Wartungsmängeln während der ersten 20 Jahren Nutzung zusammenhing.
Die Zuneigung, die dem blauen Jarama erwiesen wurde, zahlt sich aus. Der Motor startet auf Anhieb und verfällt sofort in einen ruhigen Leerlauf. Kupplung und Schaltung lassen sich mit geringem Kraftaufwand bedienen, der Schalthebel findet fast von selbst den Weg durch die drei Ebenen.
Dass man einem derartig gutgehenden und vertrauenseinflössenden Granturismo in den Siebzigerjahren verfallen konnte, lässt sich jedenfalls sehr gut nachvollziehen. Diesen Wagen könnte man wirklich im Alltag nutzen, nur der arg knappe Kofferraum zwingt zu Einschränkungen.
Einzig vom wohltönenden Motorsound würde man gerne noch etwas mehr hören im Interieur, aber die Geräuschdämmung war Lamborghini beim 400 GTS schon ziemlich gut geglückt. Aber bei Bedarf kann man ja (elektrisch) die Fenster öffnen.
Weitere Informationen zum Lamborghini Jarama, viele Bilder und ein Tonmuster gibt es auf www.zwischengas.com.