"Glattauer gibt Noten"
Kaum Deutsch: 40 % der Erstklässler ohne echtes Zeugnis
"Heute"-Bildungsexperte Niki Glattauer schlägt Alarm. Fast jeder zweite Wiener Volksschüler der ersten Klassen kann nicht beurteilt werden.
"Heute"-Bildungsexperte Niki Glattauer verabschiedet sich mit seiner aktuellen Kolumne in den Sommerurlaub. Bevor er die Zecherl in den Sand streckt, greift er aber noch ein jahrzehntelanges Tabu an und rüttelt kräftig am Nervenkostüm der Lehrerschaft.
Ja, wir brauchen eine neue Ferienordnung!
Ich sage seit 20 Jahren: Unsere Ferienordnung ist überholt. Sie ist familienfeindlich, teuer, leistungshemmend und hängt am meisten die ab, die sowieso ruacheln. Schluss mit 9 Wochen "Zwangentschulung". Die Schulen gehören ganzjährig geöffnet. "Urlaub" soll es aufs Jahr verteilt in vollem Umfang geben, aber schulautonom geregelt in kleineren Portionen. Individuel für Schüler wie für Lehrerinnen. Wie halt im richtigen Leben... Und noch etwas sage ich seit 20 Jahren: Unsere Schulen (VS, MS, AHS) gehören (schul)behördlich durchmischt. Unlängst sprach sich im "Standard" auch der Grün-Politiker und MS-Lehrer Felix Stadler offen dafür aus: Er sei nach New Yorker Vorbild dafür, dass sich Eltern fünf Schulen wünschen dürften. Welche es werde, entscheide aber nach pädagogischen und sozialen Kriterien - die Schulbehörde.
Statt Plan und Mumm nur Zaudern und Murks
Aus ist’s, Ferien sind. Seit dem Wochenende in ganz Österreich. Soll ich Bildungschefkoch Polaschek jetzt seinen "Fleck" geben, wie sich das hier viele wünschen? Nein, tu ich nicht. Der Minister hat halt mit dem gekocht, was da war, und für Neues die, pardon: Eier nicht gehabt. Dass Panieren und Salzen aber nicht reicht, wenn schon der ganze Fisch stinkt, zeigt sich - mit Marlene Engelhorn. Die Gute (meine ich ohne jede Ironie) ließ ja 25 ihrer Millionen verschenken. Bei der Verteilung bedachte ihr 50-köpfiger Rat nach den Bereichen "Natur" und "Armut" die "Bildung" mit den größten Summen (im Geldregen-Ranking die Plätze 5 und 6 von 77 für "Schule im Aufbruch" und „Teach for Austria“). Logisch. In der Bevölkerung ist angekommen, dass unsere Schulen gerade kaputt gehen, während die Politik… tja. Ich sehe null Plan, null Mumm, Salti nur rückwärts, ansonsten Zögern, Zaudern, föderalen Murks und Worte, denen keine Taten folgen. Es kann 2024/25 nur besser werden. Nein, es muss.
40% der Wiener Erstklässler nicht beurteilt!
Von "Schönfärberei und Augenauswischerei" spricht in einem mutigen "Heute"-Interview Evelyn Kometter, die oberste Eltern-Vertreterin in unseren Pflichtschulen. Sie zerreißt die angeblich so erfolgreiche Rekrutierung von Quereinsteigerinnen – die Initiative "Klasse Job" – in der Luft: Von 1700 Bewerbern seien kaum noch 350 im Dienst, die anderen hätten w.o. gegeben oder seien mangels Eignung gar nicht eingestellt worden. Verzweifelt suche man Personal für 100.000 Unterrichtsstunden, primär Mathe, Turnen und – Deutsch.
Ausgerechnet! Wo sich in den städtischen Schulen die Parallelgesellschaften weit ausgebreitet haben: In Wiens 1. Klassen blieben jetzt 40% der Kinder als "a.o.-Schüler" unbeurteilt, weil sie zu wenig Deutsch konnten, um ihre Lehrer zu verstehen. Dabei: Zwei Drittel dieser Kinder sind in Österreich geboren und mindestens ein Jahr in unseren Kindergarten gegangen... Das nenne ich Totalversagen. Nicht der Lehrer, sondern unserer Schul- und Integrationspolitik. Seit Jahrzehnten.
Und damit: schöne Ferien! :-)
Glattauer gibt Noten
Niki Glattauer war 25 Jahre Lehrer und Schuldirektor in Wien. Er hat bisher 13 Bücher veröffentlicht, alle zum Thema Schule wurden Bestseller. Jeden Montag vergibt er in einer Kolumne für "Heute" Schulnoten. Mail bitte an: [email protected]
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