Oberösterreich
"Klar, dass es Ausraster gibt" – Report aus Estis Häfn
202 geistig abnorme Rechtsbrecher werden zurzeit in der Justizanstalt Asten therapiert. Untergebracht sind sie in Zimmern, die nie zugesperrt werden.
Stacheldraht und Wachtürme sucht man in der Justizanstalt Asten (Bezirk Linz-Land) vergebens. Das Gebäude ist lediglich von einem grünen, hohen Zaun umgeben. In den Zaun eingebettet ist ein Tor mit Kamera. Wer ins Gefängnis hinein möchte, läutet dort.
Wenige Schritte nach dem Tor ist der Zugang zum Gebäude. Angst vor Ausbrüchen, scheint man hier nicht zu haben. Ein Justizwachebeamter fordert lediglich den Führerschein des Besuchers und händigt dann eine Karte aus, die sichtbar getragen werden muss. Vom Eingangsbereich aus führt ein langer Gang in Richtung Wohntrakt.
Der Gefängniskomplex wirkt wie ein Labyrinth, das nur aus weißen Wänden, Glasflächen und Stiegenhäusern zu bestehen scheint. Einige Gänge fallen aber auf. Dort hängen Bilder mit Tiermotiven. Vor allem Steppentiere haben es dem Maler angetan. Ein Bild zeigt einen Elefanten, ein anderes einen Leoparden. Der Maler ist Tomy, er sitzt einen Stock tiefer in seinem Zimmer.
Ein Einzelzimmer misst 16 Quadratmeter
Tomy ist ein begabter Maler, "das wollen wir unterstützen", sagt der stellvertretende Anstaltsleiter Herwig Nosko. Die Utensilien, die der Insasse für sein Hobby braucht, werden deshalb vom Gefängnis gestellt.
Gemalt hat Tomy die Bilder in seinem Zimmer, einem rund 16 Quadratmeter großen Raum, der mit einem Bett, einem Kleiderschrank, einem Schreibtisch und einem Fernseher ausgestattet ist. Von einem Zimmer auf einer Psychiatrie unterscheidet es lediglich ein Gitter vorm Fenster. Gemeinschaftsduschen gibt es in Asten übrigens nicht, dort haben die Bewohner eigene Nasszellen.
Aufgeteilt sind die Untergebrachten in Wohngruppen. Vergehen und Therapiefortschritt entscheiden, wer in welche Wohngruppe kommt.
Pro Gruppe leben dort 15 Personen. Ob ein Einzel- oder Doppelzimmer zugewiesen wird, bestimmen die Bedürfnisse des Bewohners. Innerhalb dieses Bereichs können sie sich frei bewegen, haben aber auch Zugang zu fünf weiteren Wohngruppen. Um 19.30 Uhr werden die Zwischentüren geschlossen.
„"Manchmal bilden sich etwa Freundschaften. Wir wollen, dass sich unsere Klienten auch untereinander besuchen können", so Nosko.“
43 der 202 Bewohner sind Frauen
Getrennt wird auch zwischen Männern und Frauen. 43 der 202 Untergebrachten sind dabei Frauen – darunter auch Doppelmörderin Estibaliz Carranza. Sie wurde 2017 nach Asten verlegt und ist eine von acht Mördern, die in der Justizanstalt einsitzen.
Die Gänge der Wohngruppe führen sternförmig zusammen. In der Mitte befindet sich jeweils ein Stützpunkt, besetzt mit Pflegern und anderen Mitarbeitern des Gefängnisses. Zutritt haben Klienten hier nicht, dafür stehen im Stützpunkt Bildschirme, die jede Bewegung der Untergebrachten aufzeichnen.
„"Wir wissen immer genau, wo sich jeder einzelne Klient befindet", so der stellvertretende Anstaltsleiter.“
15 Bewohner teilen sich eine Küche und kochen füreinander
Die 15 Insassen einer Wohngruppe teilen sich eine Küche mit Essbereich, einen begrünten Innenhof und ein Raucherkammerl. Vor allem im Sommer ist der Innenhof beliebt.
Auf metallenen Stühlen sitzen dort gerade zwei Männer, trinken Kaffee und tratschen. Im Raucherbereich gönnt sich ein weiterer eine Zigarette. Feuerzeuge sind in Asten aber nicht erlaubt. Zum Anzünden der Genussstangerl gibt es eigene, in die Wand eingelassene Geräte.
Einer der Männer am Kaffeetisch sitzt wegen Brandstiftung ein. Er trägt eine kurze schwarze Hose und ein schwarzes Shirt. Begangen hat er die Tat unter dem Einfluss einer Psychose. Nun ist er schon elf Jahre hier, kommt aber bald frei. Das ist aber nicht seine erste Entlassung.
Er war schon zwei Mal draußen, ist wegen Drogenkonsums aber immer wieder eingefahren. "Aber dieses Mal schaffe ich es", sagt er selbstbewusst.
Das Essen wird in der Justizanstalt übrigens von den Untergebrachten selbst gekocht und auch den Einkauf dafür erledigen die Insassen. Heute steht ein asiatisches Gericht auf dem Plan.
Alleine mit dem Bus nach Linz
Möglich machen den Einkauf draußen in der Freiheit Lockerungsstufen. Schafft es ein Untergebrachter in die Lockerungsstufe zwei, kann er die Gefängniszäune hinter sich lassen. Das gilt auch für einen verurteilten Mörder, der seit zehn Jahren in Asten einsitzt.
Es gibt drei Lockerungsstufen
Sie machen Kurz-Ausflüge in das nahegelegene Einkaufszentrum oder kaufen in einem Lebensmittelgeschäft ein. Begleitet werden sie von zwei Sozialarbeitern.
Schwieriger ist es für Klienten in der Lockerungsstufe drei. Ohne Justizwachebeamte setzen diese keinen Fuß vor das Gefängnis. Untergebrachte in der Stufe eins können hingegen auch etwa alleine mit dem Bus nach Linz fahren.
Gefängnis-Laden steht für alle offen
Aber auch jene, die nur schwer vor den Gefängnis-Zaun dürfen, haben die Möglichkeit, einkaufen zu gehen. Die Anstalt beherbergt einen kleinen Laden, die "Ausspeiß". Dort können sich die Untergebrachten etwa Kaffee, Tabak, Naschereien oder Softgetränke kaufen.
Aus Asten wieder rauszukommen, ist nicht so einfach. Jedes Jahr wird zwar geprüft, ob die Unterbringung noch gerechtfertigt ist, meistens dauert es aber Jahre, bis eine Entlassung erteilt wird, so Nosko.
Entscheidend für eine Entlassung sind ein externes Gutachten und die Einschätzung seitens des Gefängnisses. Die Letztentscheidung liegt aber beim Gericht.
Einer von jenen, die bald raus dürfen, ist ein arabisch-stämmiger Mann. Er sitzt seit 18 Jahren im Maßnahmenvollzug. In der Freiheit hat er eine Frau und eine Tochter.
Fünf bis zehn Jahre Nachbetreuung
Aber selbst wenn er die Gefängnismauern hinter sich lässt, Therapie und Beobachtung gehen auch im Freien weiter. Jeder Klient, der die Anstalt verlässt, zieht zunächst für fünf bis zehn Jahre in eine Nachbetreuungseinrichtung. Nosko nennt das eine Art "Probewohnen". Rund 50 verurteilte Straftäter befinden sich derzeit in so einer Nachbetreuung.
Erst danach kann er sich selber eine Wohnung suchen und wieder auf sich gestellt leben. "Ich mache deshalb auch noch keine Pläne. Ich freue mich schon auf Draußen und meine Familie, aber ich fange erst an zu planen, wenn ich wirklich raus bin", so der Mann.
Ziel der Therapie in Asten ist es deshalb, die Untergebrachten auf dieses Leben außerhalb der Gefängnismauern vorzubereiten. Therapieeinheiten und das Erlernen eines akzeptablen sozialen Umgangs spielen dabei eine tragende Rolle. Gleich nach dem Aufstehtraining und der Medikamentengabe geht es daher zur Behandlung.
Therapieangebot breit gefächert
Die Therapieangebote in Asten sind breit gefächert. Die Klienten können Musiktherapie, Ergotherapie, Arbeitstherapie, tiergestützte Therapie oder Psychotherapie wählen.
„"Die Therapien sind sehr individuell zugeschnitten, je nachdem, was die Menschen brauchen", so Nosko.“
Mit den Besuchszeiten wird im Gefängnis locker umgegangen. "Wir wollen, dass die Untergebrachten so viel Besuch als möglich erhalten", so der stellvertretende Amtsleiter. Gesetzlich steht ihnen aber pro Woche mindestens eine halbe Stunde und alle sechs Wochen eine Stunde Besuch zu.
Einmal die Woche haben Untergebrachte auch das Recht auf einen Langzeitbesuch. Dann können Freunde und Familie für einen ganzen Nachmittag kommen und in einem eigenen Zimmer mit ihnen Zeit verbringen. Rein theoretisch können die Untergebrachten dann auch Sex haben.
Die Rückfallquote liegt bei zehn bis 15 Prozent
Der weitverbreitete Glaube, nur unzurechnungsfähige Straftäter können in Asten landen, ist übrigens falsch. Natürlich sitzen dort auch Menschen, die unzurechnungsfähig sind, eben aber auch welche, die für durchaus zurechnungsfähig erklärt wurden.
In Asten sitzen zurechnungsfähige und unzurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher. Sie wurden nach Paragraph 21 des Strafgesetzbuches verurteilt. Beiden gleich ist, dass sie ihre Tat unter dem Einfluss einer "geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad" begangen haben.
70 Prozent der unzurechnungsfähigen Straftäter leiden an Schizophrenie, die restlichen 30 Prozent teilen sich auf affektive Störungen und Persönlichkeitsstörungen auf. Grundsätzlich seien die Krankheiten gut behandelbar, "es gibt aber schwere Fälle, bei denen auch Medikamente und Therapie nichts ausrichten können", so Nosko.
Ist jemand aus Asten draußen, kommt er zumeist nicht so schnell zurück. Die Rückfallquote liegt bei nur zehn bis 15 Prozent. Es gibt aber durchaus auch Straftäter, die immer wieder rückfällig werden.
Einer, der bereits zum zweiten Mal in Asten ist, ist ein junger Mann, der gerade auf einem schwarzen Sofa in einer Wohngruppe sitzt. Er hat im Drogenrausch einen Menschen schwer verletzt und bedroht. Einmal war er bereits draußen, hat dann aber wieder Drogen genommen und musste in die Anstalt zurück. Bald darf er wieder raus, dann wird er es schaffen, davon ist er überzeugt.
Immer mehr Einweisungen
In den letzten zwei Jahren wurde die Justizanstalt ausgebaut. 100 weitere Straftäter haben nun Platz. Die Eröffnung lässt aber auf sich warten, denn das nötige Personal fehlt. Dass in forensischen Anstalten Platzmangel herrscht, führt Nosko darauf zurück, dass mehr eingewiesen wird, weil das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung gestiegen sei.
Das Gefängnis hat aber auch seine gefährlichen Seiten, vor allem für Pfleger und Justizwachebeamte. Immerhin sitzen in Asten die meisten wegen "Gewalt gegen Leib und Leben" ein. Das beginnt bei gefährlicher Drohung und endet bei Mord.
„"Viele der Untergebrachten sind schwerst psychisch krank, da ist es klar, dass es manchmal zu Ausrastern kommt", so Nosko.“
16 Übergriffe auf Justizwachebeamte
So hat es etwa 2019 bis zum 19. Juli 28 strafbare Handlungen unter den Insassen und 16 gegen Justizwachebeamte sowie elf sonstige strafbare Handlungen gegeben. Heuer sei die Anzahl an Übergriffen laut stellvertretendem Amtsleiter bislang sogar noch höher.
Dreht jemand durch, kommt er oder sie ins Krisenzimmer. Meistens lege sich der Anfall innerhalb von ein paar Stunden. Ist mit einer längeren und aufwändigeren Behandlung zu rechnen, wird der Klient ins Krankenhaus eingewiesen, natürlich immer mit dabei ein Justizwachebeamter.
Das ist laut Nosko aber nicht der Grund, warum nur wenige im Gefängnis arbeiten wollen. "Alle suchen händeringend nach Personal, so eben auch wir."